Noch nie war die Zahl der Teilnehmer an Papst-Audienzen und an päpstlichen Liturgien so groß wie in den ersten Monaten des neuen Pontifikats. Ebenfalls großer Anklang in den Medien – aber auch einiges an Kritik an Papst Franziskus, sogar von Katholiken, die es mit dem Glauben ernst meinen. Eine merkwürdige, interessante Konstellation…
Bevor wir diese Situation zu analysieren versuchen, möchte ich Sie, liebe Leser, einladen, einen Blick zurück zu werfen. Wie war das damals im März 2013? Gerade etwa 24 Stunden dauerte das Konklave, das zur Wahl von Papst Franziskus geführt hatte – nur fünf Wahlgänge waren nötig. 552.383 Beter hatten sich an der Aktion „Adopt a Cardinal“ im Internet beteiligt. Sie hatten Gott bestürmt, den Kardinälen im Konklave den Heiligen Geist zu senden, um den vom Herrn Auserwählten zu küren. Ein nie dagewesener, weltweiter Gebetssturm. Und die Kardinäle einigten sich in kürzester Zeit auf Jorge Bergoglio, auf keinen der vorher medial herumgereichten Favoriten. Wer konnte da noch ernsthaft daran zweifeln, dass dieser Mann auch wirklich der war, den Gott zum Nachfolger des großen Papstes Benedikt XVI. erwählt hatte?
Allerdings war vom ersten Moment an zu spüren, dass sich mit diesem Papst vom „anderen Ende der Erde“ einiges ändern würde. So waren die ersten Worte des neuen Pontifex: „Guten Abend, Brüder und Schwestern!“, er trug keine Mozzetta und bat die auf dem überfüllten Petersplatz versammelten Gläubigen, für ihn zu beten, bevor er ihnen den Segen „Urbi et Orbi“ erteilte. Es folgten weitere Handlungen, die Aufmerksamkeit erregten: Papst Franziskus zog nicht in die für den Papst vorgesehenen Gemächer ein, er trägt keine roten Schuhe, fährt einen Mittelklassewagen, telefoniert mit Bekannten, vor kurzem hat er zwei Ehrentitel für Priester abgeschafft… All das erregt Aufmerksamkeit, erweckt bei vielen, insbesondere den weltlichen Medien, die Hoffnung, die Kirche öffne sich endlich für die „Errungenschaften“ der Moderne: neue Strukturen, neue Antworten auf die seit Jahrzehnten umstrittenen „heißen Eisen“.
Besorgnis hingegen bei vielen, die dem „konservativen“ Lager zugerechnet werden, Verunsicherung. Was wird sich da noch alles ändern? Immer wieder werden Aussagen des Papstes zu wichtigen Fragen in den Medien herumgereicht, die schwer mit der Lehre der Kirche vereinbar erscheinen. Besondere Aufmerksamkeit erregte, was Eugenio Scalfari dem Papst in einem Interview in den Mund gelegt hat: Jeder müsse dem Guten folgen und das Böse bekämpfen entsprechend der Vorstellungen, die er davon habe. Und kein Wort von Gewissensbildung war da zu lesen. Das kann schon Besorgnis erregen.
Genau dieser Fall machte aber deutlich, wie vorsichtig man mit Medienberichten sein sollte. Es stellte sich nämlich heraus, dass der 89jährige, dem Glauben fernstehende Journalist bei seinem Interview auf Tonband und Notizen verzichtet hatte. Und da kann manches schon zumindest verkürzt, wenn nicht überhaupt falsch wiedergegeben worden sein.
Leider bilden sich auch sehr viele Christen ihr Urteil aufgrund von Berichten weltlicher Medien. Dass diese jedoch nicht einfach nur objektiv berichten, sondern – gerade in Fragen, die den Glauben und die Kirche betreffen – Politik betreiben, sollte sich endlich herumgesprochen haben. Ein typisches Beispiel: Zum Thema Homosexualität werden laufend Hinweise herumgereicht, der Papst werde die Lehre der Kirche in dieser Frage abschwächen. Unter den Tisch fallen die klaren Worte, die Kardinal Bergoglio anlässlich der Einführung der Homo-„Ehe“ in Argentinien zu diesem Thema gesprochen hatte: Es handle sich um einen „Angriff auf den Plan Gottes“, einen „Schachzug des Teufels“… Warum sollte er jetzt als Papst anders denken, vor allem da er immer wieder betont, er sei „ein Sohn der Kirche“?
Wir Katholiken müssen endlich eines lernen: Uns unser Urteil nicht von den Medien verbilden zu lassen. Auch nicht von solchen, die sich fromm geben, wie Die Warnung. Sie hat durch ihre Ankündigung, der Nachfolger von Benedikt werde ein Verführer sein, bei vielen – auch solchen, die sie nicht für eine echte Offenbarung halten – eine kritische Haltung Franziskus gegenüber begünstigt. Wer also die Anliegen des Papstes und seine Haltung wirklich kennenlernen will, muss lesen, was er während der Audienzen, bei seinen Predigten, in seinen Lehrschreiben sagt. Und das ist aufbauend, heilsam für unsere Zeit, heilsam vor allem für uns Christen hier in Europa.
Papst Franziskus stellt uns nämlich seit Beginn seines Pontifikats vor die Frage: Wie hältst Du es mit Jesus Christus? Welchen Stellenwert hat Er in Deinem Leben? Erinnert sei an seine erste Predigt vor den in der Sixtinischen Kapelle versammelten Kardinälen. Da sagte der Papst wortwörtlich: „Wenn man Jesus Christus nicht bekennt, da kommt mir das Wort von Léon Bloy in den Sinn: ,Wer nicht zum Herrn betet, betet zum Teufel.’ Wenn man Jesus Christus nicht bekennt, bekennt man die Weltlichkeit des Teufels, die Weltlichkeit des Bösen.“
Hier werden wir auf das Zentrum unseres Glaubens hingewiesen: Es geht um Tod und Leben, Segen oder Fluch. Alles entscheidet sich an Jesus Christus – und nicht primär an christlichen Werten und Tugenden, so wichtig diese auch sind! Dem Papst geht es ums Ganze. Er will nicht, dass sich unsere Gespräche mit unserer agnostischen Umwelt im Kampf für Werte und Tugenden erschöpfen, im ewigen Kreisen um Fragen wie Zölibat, wiederverheiratete Geschiedene, Homo-„Ehe“, und, und… Er ruft uns auf, dass wir endlich von Jesus Christus sprechen, von unserem Leben mit Ihm, von der Kraft, die uns zuwächst in der Auseinandersetzung mit dem Teufel, der uns in diesen Zeiten von vielen Seiten zusetzt.
Ich habe es bei meiner eigenen Bekehrung erfahren: Es war die überzeugende Art, wie einige Männer von ihrem Leben mit Christus erzählt haben, die in mir den Wunsch weckte, meinen Agnostizismus fallen zu lassen und einen neuen Weg, den des Glaubens, einzuschlagen. Auf diesem Weg wurde mir allerdings dann bewusst, dass mir vieles von der Lehre eigentlich fremd war. Wäre ich mit all dem nur in Diskussionen konfrontiert worden, ich wäre wahrscheinlich kopfscheu geworden. Aber so ergab sich Folgendes: Auf meinem Weg zu und mit Jesus Christus erwachte in mir auch der Wunsch, Ihn und Seine Lehre besser kennenzulernen. Und so entdeckte ich Schritt für Schritt manche – zunächst misstrauisch betrachteten – Glaubenswahrheiten als Hilfen für ein erfülltes Leben.
Ich denke, es geht vielen, die zum Glauben finden ähnlich: Ein gutes Wort, eine Hoffnung, die aufblitzt, eine Freude, die ansteckt, eine unerwartete Hilfe, ein liebevoller Blick, ein nebenbei gesagtes wahres Wort, das ins Herz trifft – das sind die Botschaften Gottes, die das Leben verändern können.
Uns für dieses Wirken des Heiligen Geistes zu öffnen, dazu will uns Papst Franziskus ermutigen: Von der Freude zu reden, die uns Gott ins Herz gelegt hat: Evangelii Gaudium – die Freude, die große Freude am Evangelium! Darum geht es. Ja, die Freude.
In dieser Weihnachtszeit – was haben wir da nicht von der Freude gesungen! Aber, Hand aufs Herz: Sind wir überhaupt von dieser Freude bewegt? Oder sehen wir vor allem die Gefahren, die Mühen des Lebens, das Voranschreiten der Glaubensfeindlichkeit und das, was in der Kirche schief läuft?
Keine Frage: All das gehört zu unserer täglichen Erfahrung. Wir sollen es auch nicht verdrängen. Aber lassen wir uns hier in Europa durch den scheinbaren Niedergang der Kirche nicht allzu leicht die Freude an unserem Glauben vermiesen? Entsteht nicht der Eindruck, dass es unsere wichtigste Aufgabe sei, den sich abzeichnenden Untergang des Abendlandes aufzuhalten – oder wenigstens zu bremsen? Ja, wir haben gute Argumente für die Standpunkte, die wir dabei vorbringen. Die beiden letzten Päpste haben uns Christen durch ihre Schreiben klar vor Augen geführt, dass die Lehre Christi für die brennenden Probleme unserer Zeit wirklich sinnvolle Antworten liefert.
Aber wie wenige lassen sich von diesen lebensträchtigen Lehren beeindrucken! Ja, wer will sie überhaupt hören, obwohl wir in einer Zeit leben, in der fortwährend diskutiert und „getalkt“ wird? Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass das viele Diskutieren und Dialogisieren im allgemeinen – soweit wir das beobachten können – bei denen, die die Position der Kirche nicht schätzen, kaum Lernprozesse auslöst. Vielmehr werden diese Gespräche oft zur Verunsicherung und Demoralisierung der Gläubigen benützt. Das sollte uns doch zu denken geben. Fühlen wir Christen uns hier im alten Europa nicht allzu sehr in die Defensive gedrängt?
Und in dieser Situation kommt nun Papst Franziskus aus einem anderen Kontinent und tut das einzig Richtige: Er ruft uns in einer Welt, in der rundherum eine durch Selbstüberschätzung übertünchte Ratlosigkeit herrscht zur Mission, zur Offensive auf. „Seid Euch bewusst, an wessen Seite Ihr steht!“, ruft er uns zu: „Ihr steht auf der Seite des Siegers, des Siegers über jedes Unheil, über den Teufel, über den Tod. Der Herrscher über das All, der Herr der Geschichte hat Eure Namen in Seine Hand geschrieben, Er begleitet Eure Wege! Freut Euch – und lasst andere an Eurer Freude teilhaben!“
Christof Gaspari