Immer wieder bekommen wir heute zu hören, dass die Kreuzzüge brutale, imperialistische und räuberische Feldzüge des christlichen Abendlandes gegen einen gebildeten, toleranten und friedlichen Islam waren. Diese Sichtweise ist inzwischen auch zur gängigen Geschichtsschreibung geworden. Ein sehr lesenswertes Buch des amerikanischen Religionssoziologen Rodney Stark räumt nun mit diesem Mythos auf und bringt neues Licht in die Geschichte der Kreuzzüge. Stark, ein renommierter Wissenschaftler, hat übrigens auch die Studie Der Aufstieg des Christentums geschrieben, die für den Pulitzer-Preis nominiert war.
In der Diskussion um die Kreuzzüge wird oftmals ihre Vorgeschichte ausgeblendet oder zumindest nicht richtig wiedergegeben. Der Autor des Buches schildert die Geschichte der Eroberung weiter Teile Europas, des Mittleren Ostens und Nordafrikas durch den Propheten Mohammed und dessen Nachfolger. Im Jahr 711 etwa unterwarfen muslimische Krieger die gesamte iberische Halbinsel, aber auch Teile des heutigen Italiens, wie die Insel Sizilien, fielen in der Hände der neuen Eroberer. Die Schlachten von Tours und Poitiers markierten einen Wendepunkt im Vormarsch des Islams in Europa.
Rodney Stark behauptet, dass keine Schlacht in der Weltgeschichte von größerer Bedeutung gewesen sei als diese beiden. Hätte Karl Martell den Arabern nicht Einhalt geboten, hätten sie weite Teile Europas überlaufen und dem Islam unterworfen.
Dem Ersten Kreuzzeug ging der Hilferuf des byzantinischen Kaisers Alexios I. Komnenos an den Grafen von Flandern voraus, Byzanz vor der Invasion der gerade zum Islam konvertierten Türken zu schützen. Berühmtheit erlangte auch der Aufruf Papst Urbans II. an die Ritter Europas, den Byzantinern zu helfen und den Weg der christlichen Pilger ins Heilige Land abzusichern.
Der Autor geht in der Vorgeschichte zu den Kreuzzügen auch auf die Behandlung der Juden und Christen in den besetzten Ländern und auf Massaker ein, die an den christlichen Pilgern stattfanden, die ins Heilige Land aufbrachen. Spannend beschreibt Rodney Stark dann die sieben großen Kreuzzüge von der Anwerbung der Ritter über die Finanzierung bis hin zu den blutigen Schlachten und analysiert ihre Siege und fatalen Niederlagen.
Dabei geht es dem Autor keineswegs darum, die Grausamkeiten zu verharmlosen, die auf beiden Seiten geschahen, sondern ein realistisches Bild der Kämpfe und Schlachten zu zeichnen. Detail- und facettenreich berichtet Stark vom Verlauf der sieben Kreuzzüge sowie von der Schaffung, der Verteidigung, und schließlich vom Verlust der Kreuzfahrerstaaten. So entsteht ein realistisches Bild, was von 1095 bis 1291 in Europa und im Nahen Osten wirklich geschah.
Stark räumt auch mit dem Klischee auf, die arabische Kultur wäre zur Zeit ihrer Eroberungen der europäischen Kultur überlegen gewesen. Der Autor weist darauf hin, dass erst im 19. Jahrhundert, als das osmanische Reich zum „kranken Mann am Bosporus“ wurde, das muslimische Interesse an den Kreuzzügen erwachte. Die muslimischen Erinnerungen an die Kreuzzüge und die Erbitterung über das längst vergangene Geschehen wurden so zu einer Errungenschaft des 20. Jahrhunderts, zu der nicht zuletzt der britische und französische Imperialismus nach dem Ersten Weltkrieg und die Gründung des Staates Israel nach dem 2. Weltkrieg beigetragen haben. Das alles hinterließ bei den Arabern ein bitteres Gefühl der muslimischen Schwäche dem Westen gegenüber, was einer der Gründe ist, die zur unrealistischen Geschichtsschreibung über die Kreuzzüge führte.
Gottes Krieger, Verlag Haffmans & Tolkemitt, ca. 400 Seiten, Preis: Euro 23,60