Viel Verwirrung gibt es bezüglich der Frage, wie man die Tex?te des Neuen Testaments zu ver?stehen habe: Erzählen die Evangelien vom Leben Jesu oder handelt es sich nur um Geschichten, in denen die Christen viele Jahrzehnte nach den Ereignissen – die nicht mehr zu rekonstruieren seien – ihren Glauben darlegen wollten? Im Buch Vernünftig glauben weist der Historiker Walter Kardinal Brandmüller nach, daß es sich bei den Evan?gelien um geschichtliche Berichte handelt. Im folgenden Auszüge aus dem Buch:
Die Jungfrauengeburt
Die Frage des Jungfräulichkeitsgelübdes Mariens wurde bisher von vielen strikt verneint, weil man meinte, daß es im ganzen jüdischen Kulturkreis, im jüdischen religiösen Denken undenkbar sei, daß ein Mädchen nicht Mutter werden wollte. Da kommt nun allerdings Qumran ins Spiel. Hier haben wir nämlich einen Text aus der Zeit vor Christi Geburt, die sogenannte Tempelrolle. Und in dieser Tempelrolle werden u.?a. am Ende Vorschriften über verschiedene religiöse Verhaltensweisen gegeben. Da ist nun auch die Rede von Jungfräulichkeitsgelübden. Von Unverheirateten wie von Verheirateten. Das gab es also wirklich und es war im essenischen Milieu offenbar nicht ungewöhnlich. Eine gewisse Nähe der Familie Jesu zu essenischen Kreisen haben wir ja schon erwähnt.
Die Sterndeuter
Nun, auch der Magierbesuch und der Stern von Betlehem sind durch die jüngste Forschung als historisch gesichert dargetan. Da ist auf Konrad Ferrari d’Occhieppo zu verweisen, den bedeutenden Kenner der antiken Astronomie und langjährigen Direktor des Instituts für historische Astronomie an der Akademie der Wissenschaften in Wien, der 2007 gestorben ist. Dessen Buch ist in mehreren Auflagen erschienen. Er hat u.?a. nachgewiesen, daß selbst der Wortlaut des Matthäusevangeliums (2,1–13) Ausdrücke aus der astronomischen Fachsprache enthält. (…)
Da geht es etwa um den Terminus „Anatole“: „Wir haben seinen Stern im Morgenland gesehen.“ Das ist aber eine völlig falsche Übersetzung, richtig ist: „Wir haben seinen Stern bei seinem Aufgang gesehen!“ Wenn es „im Morgenland“ bedeuten würde, dann müßte es „en anatolais“ heißen, also im Plural stehen. Es steht dort aber „en anatolä“ und das ist der Frühaufgang eines Gestirns.
(…) Es handelt sich um eine dreimalige Konjunktion von Jupiter und Saturn im Sternbild der Fische. Und diese Konjunktion ist ein besonderes astronomisches Phänomen, das sich nur alle ca. 800 Jahre ereignet. Und das ist genau im Jahre 7 – 6 vor Christus passiert. Man hat tatsächlich einen ganzen Kalender des Jahres 7?–?6 vor Chr. in einer Keilschriftbibliothek in Mesopotamien gefunden. Ferrari d’Occhieppo und andere haben ihn dann ausgewertet. (…) Es ist in der Tat erstaunlich, daß gerade in jüngerer Zeit eine Reihe von archäologischen Funden die geschichtliche Zuverlässigkeit der Evangelien untermauern.
Die Auferstehung
Im Unterschied zu den Totenerweckungen, die Jesus tatsächlich bewirkt hat – nennen wir hier nur die Tochter des Jairus – bedeutet Auferstehung Jesu nicht einfache Rückkehr in das irdische menschliche Leben. Vielmehr handelte es sich, so der Tenor der neutestamentlichen Aussagen, um den Übergang aus dem Tod in eine den Gesetzen von Raum und Zeit enthobene, mit menschlichen Begriffen nicht faßbare, verklärte Existenzweise, in welcher der Auferstandene seinen Jüngern, seinen Freunden sicht- und greifbar begegnet ist.
(…) Die Auferstehung Jesu ist in der Tat für den modernen Menschen, auch manchen modernen Theologen, eine Provokation. So etwas, meint man, kann es nicht geben. Unmöglich! (…)Es ist zu deutlich, welche Verlegenheit die Auferstehung bereitet, wenn man nicht schlicht und einfach die Quellen ernst nimmt und akzeptiert, daß es eben so, unerklärlich, aber tatsächlich passiert ist.
Wenn man dazu nicht bereit ist, dann aber müßte man mir wohl erklären, und zwar historisch plausibel erklären, wie es möglich war, daß ein solcher unglaublicherSchwindel nicht schon vor 2000 Jahren entlarvt wurde. Ein Blick in das Grab hätte doch genügt, um den Betrug platzen zu lassen. Aber stattdessen geschah das genaue Gegenteil.
Aus der durch das Karfreitagsgeschehen völlig demoralisierten und total frustrierten Gruppe der Jünger entsteht an dem Ort des Geschehens, vor den Augen der Zeitgenossen und einer feindlichen Autorität, eine Bewegung, die in Jerusalem sogleich Tausende von begeisterten Anhängern zählt, die dann die bekannte Welt erfaßt und bis heute in Expansion begriffen ist.
Den Zweifeln, ganz gleich, in welchem Jahrhundert sie geäußert wurden, steht das eindeutige Zeugnis der unmittelbar Beteiligten entgegen: „Wir, die wir nach seiner Auferstehung unmittelbar mit ihm gegessen und getrunken haben“ (Apostelgeschichte 10,40–42). Im 1. Korintherbrief (15,3–8) sagt Paulus, der Auferstandene sei 500 Brüdern auf einem Berg in Galiläa erschienen. „Die meisten von ihnen sind noch am Leben.“ Das konnte man nachprüfen!
Auch dem nüchternen Historiker ist, wenn er das Neue Testament ernst nimmt, klar, daß nach Kreuzigung, Begräbnis etwas geschehen sein muß, was die Beteiligten nur mit dem Begriff „Auferstehung“, leibliche, doch verklärte Auferstehung bezeichnen konnten. Wer das nicht akzeptiert, erklärt die Verfasser der neutestamentlichen Schriften entweder als Verrückte oder als Betrüger. Fragt sich nur, mit welchem Recht. Mit historisch-kritischer Methode hätte das jedenfalls nichts mehr zu tun.
Gegen Fakten gibt es kein Argument
Wie viel hat sich nicht am Ende schon als tatsächlich erwiesen, was Jahrtausende als unmöglich galt? Es sollten uns doch die verhältnismäßig engen Grenzen der menschlichen Vernunft, des menschlichen Erkenntnisvermögens, bewußt bleiben.
Ergo: Wenn auf historisch-kritischem Wege die Tatsächlichkeit eines Faktums, eines Ereignisses, gesichert werden kann, dann gilt: Contra factum non valet argumentum. Eine Tatsache kann durch kein Argument aus der Welt geschafft werden.
Auszüge aus: Vernünftig glauben – Ein Gespräch über Atheismus. Von Walter Kardinal Brandmüller und Ingo Langner. fe-medienverlag 2010, 223 Seiten, 6,95 Euro (siehe Besprechung S. 20).