Jahrzehnte des wirtschaftlichen, technischen, medizinischen… „Fortschritts“ – und dennoch wächst das Unbehagen. Die Welt wirkt auf viele bedrohlich. Aus dem Gewirr der Heilsangebote wird die Lehre der Kirche immer deutlicher als zukunftsträchtige Wegweisung erkennbar.
Es mehren sich die besorgten Meldungen über das Bienensterben. Insbesondere die USA und Europa sind betroffen. Bis zu 85% betragen die Verluste in manchen Regionen. Die Ursachen sind nicht einfach zu klären. Da spielt vieles hinein: Umwelteinflüsse, gering konzentrierte Gifte, Strahlung von Mobiltelefonen, Anfälligkeit für Viren… – kurzum: veränderte Umstände des Lebensraums. Ein Beispiel nur für ein Phänomen, das zunehmend Sorgen bereitet: das Artensterben. Bis zu 120 Pflanzen- und Tierarten seien täglich vom Aussterben betroffen, liest man. Und die Klimaerwärmung werde die Ausfallsquote weiter steigern, behauptet ein Bericht in „Focus“.
Was das mit dem Thema „Verwirrung“ zu tun hat? Wenn es um Pflanzen- und Tierarten geht, wächst heute das Bewußtsein, daß es lebensfeindliche Umweltbedingungen gibt, die den Fortbestand von Arten gefährden. Bei Rindern und Hühnern macht man sich Gedanken über deren artgerechte Haltung. Tierschützer steigen auf die Barrikaden, um gegen Massentierhaltung, die man den Tieren nicht zumuten dürfe, zu protestieren.
Wer hingegen die Ansicht vertritt, auch der Mensch bedürfe bestimmter gedeihlicher Rahmenbedingungen, um leben und sich entfalten zu können, der wird als ewig gestrig belächelt. Dabei zeigen gerade die oben erwähnten, vom Bienensterben befallenen Regionen, Europa und die USA, daß dort Lebensbedingungen herrschen, die dem Fortbestand der „Spezies Mensch“ nicht zuträglich sind: systematische Ausmerzung des Nachwuchses durch Abtreibung, Förderung eines unfruchtbaren homosexuellen Lebensstils, Abwertung der Mütterlichkeit, von Ehe und Familie und als logische Folge massiv rückläufige Geburtenfreudigkeit, Überalterung, Anfälligkeit der Jugend für Drogen, Alkohol, psychische Labilität, beeinträchtigte Bindungsfähigkeit…
Warum werden diese Zusammenhänge nicht klarer erkannt? Weil eine Verwirrung um sich gegriffen hat, die es den Menschen vielfach unmöglich macht, die einfachsten Dinge wahrzunehmen, um den Hausverstand zu gebrauchen und eins und eins zusammenzuzählen.
Zwar werden bei auftretenden Problemen, etwa der Jugendkriminalität, sofort Heerscharen von Forschern losgeschickt, um das Geschehen von allen Seiten abzuklopfen und zu beleuchten. Mit einer Fülle von Detailwissen wird nun untersucht, befragt, nach Lösungsansätzen gesucht. Psychologen, Pädagogen, Sexualwissenschafter, Mediziner unterschiedlichster Fachrichtungen, Soziologen, Integrationsforscher, Sozialarbeiter, Familientherapeuten erteilen Ratschläge, Kommissionen erarbeiten Richtlinien und Gesetzesentwürfe, Hilfsstellen und Beratungseinrichtungen werden eingerichtet – und die Mißstände schreiten trotz der vielen partiellen Lösungsansätze weiter voran.
Unwillkürlich ist man an die Geschichte vom Turmbau von Babel erinnert: viel guter Wille, viel Anstrengung, sehr viel sogar, viel Aktivität – aber man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Es fehlt das Fundament, der Blick für das Ganze, für die Realität des Menschen ist verlorengegangen.
Man kann das Leben des Menschen aber nicht an dessen Grundgegebenheiten vorbei gestalten. Es reicht nicht, ihm zu essen und zu trinken zu geben, ihn zu bekleiden und ihm ein Dach über dem Kopf zu bauen, er findet nicht sein Auslangen mit fortgesetzter Unterhaltung und seichten Vergnügungen, mit Sex und Sportübertragungen… Um all das bemüht sich die Gesellschaft heute, mit all dem – und zwar stets mehr und mehr davon – will sie ihn beglücken. Allein, es funktioniert nicht. Und warum? Weil der Mensch als Abbild Gottes eine unausrottbare Grundsehnsucht in sich trägt, die gestillt werden muß: Die Liebe in der Wahrheit, wie Papst Benedikt in seiner 3. Enzyklika einleitend feststellt: „Die Liebe in der Wahrheit, die Jesus Christus mit seinem irdischen Leben und vor allem mit seinem Tod und seiner Auferstehung bezeugt hat, ist der hauptsächliche Antrieb für die wirkliche Entwicklung eines jeden Menschen und der gesamten Menschheit.“
Um diese Wahrheit kommt man einfach nicht herum. Die Liebe ist das Fundament menschlicher Existenz. „Sie ist das Prinzip nicht nur der Mikro-Beziehungen – in Freundschaft, Familie und kleinen Gruppen –, sondern auch der Makro-Beziehungen – in gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenhängen.“ (Caritas in veritate)
Das mag zunächst sehr abgehoben klingen. Ja, schön, schön, mag mancher denken. Aber wir haben dringendere Probleme zu lösen. Mit solchen Allgemeinplätzen kommen wir jetzt nicht weiter. Genau diese Haltung ist jedoch Ausdruck der heute vorherrschenden Verwirrung, die sich in Details verliert und das Wesentliche ausblendet. Indem man nicht mehr nach der Basis fragt, baut man am Turm von Babel mit immer verfeinertem Instrumentarium weiter und übersieht die bedrohlichen Risse, die mangels solidem Fundament überall weiter und weiter werden.
Die Verwirrung und die Fehlentwicklungen unserer Tage sind eine Chance, wieder über die Grundtatsachen menschlicher Existenz zu reden: Der Mensch ist ein Geschöpf Gottes, von Gott geliebt und zur Liebe berufen. Er gelangt zu seiner Entfaltung nur in dem Maß, in dem er Liebe erfahren hat und daher Liebe weiterschenken kann. Daher die zentrale Bedeutung der stabilen, kinderfreudigen Familie. Wo sollen Kinder Liebe erfahren und tanken, wenn sich ihre Eltern in außerhäuslichen Aktivitäten (Beruf, Hobbys…) erschöpfen und sie von klein auf in Fremdbetreuung stecken? Das Wissen um die Bedeutung der Liebe gibt somit Entscheidungshilfen in Fragen der Familienpolitik, in Sachen Abtreibung, Euthanasie, Humangenetik, aber auch auf Fragen, die den Umgang mit der Schöpfung, die Gestaltung der Wirtschaft und der internationalen Beziehungen betreffen.
Noch einmal sei es gesagt, was im Dschungel des vorherrschenden Relativismus unter den Tisch fällt: Der Schöpfung, dem Menschen ist nicht alles zumutbar, weil sie das Werk Gottes sind, der in sie Ordnungen gedeihlicher Entfaltung gelegt hat. Diese sind uns in unüberbietbarer Weise geoffenbart worden, als Gott in Jesus Christus als Mensch unter uns gelebt hat. Er hat uns alles Wesentliche mitgeteilt. Er hat dafür gesorgt, daß diese Botschaft über die Jahrtausende hinweg durch das Lehramt des Petrus unverfälscht erhalten geblieben ist. Wie dankbar sollten wir für diesen Leuchtturm sein, der auch in der Wirrnis unserer Zeit zuverlässig den Weg weist.
Daß der Zeitgeist gegen diese Felsen anbrandet, darf uns nicht irremachen. Das ist normal. Allein ein Rückblick auf die großen Gestalten der letzten 150 Jahre auf dem Stuhl Petri (sel. Pius IX:, Leo XIII., hl. Pius X., Pius XII., sel. Johannes XXIII., Paul VI:, Johannes Paul II., Benedikt XVI.) kann uns beruhigen: Wir sind trotz aller rundherum geäußerten Kritik als katholische Christen sicher in der Wahrheit gehalten, haben in der Wirrnis unserer Tage einen zuverlässigen Anhaltspunkt, wenn wir nach Orientierung Ausschau halten.
Christof Gaspari