Ihr habt gehört, daß gesagt ist. ,Liebe deinen Nächsten und hasse deinen Feind.' Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet..." (Mit 5,43f)
Es dürfen diese Worte nicht zur Propagierung eines Friedens um jeden Preis mißverstanden werden, denn es gibt keinen Frieden um den Preis der Wahrheit. Das sagt Christus ganz deutlich bei seinen Abschiedsreden: “Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht so, wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch" (Joh 14,27).
Der Friede Christi besteht im Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes. Wenn die Welt unter Vorgabe von Frieden Ungehorsam gegenüber den Geboten Gottes verlangt, ist kein Friede möglich. Denn das wäre ein Friede um den Preis der Wahrheit, die Christus, also Gott ist: “Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben" (Joh 14,6). Und eine andere Wahrheit gibt es nicht, wie jene Philosophen beweisen, welche die Wahrheit ohne Gott finden wollen: bei ihnen gibt es so viele “Wahrheiten" wie Philosophen...
Bei der Aufforderung zum “Hinhalten der anderen Wange" darf etwas Wichtiges nicht außer acht gelassen werden: Es ist Jesus Christus, der das zu uns sagt. Die alten Römer hatten ein Sprichwort: “Quod licet Jovi, non licet bovi"; wörtlich: “Was dem Jupiter erlaubt ist, gebührt sich nicht für den Ochsen." Oder sinngemäß: “Der Mensch maße sich nicht an, Gott sein zu wollen."
Auf die Textstelle übertragen: Jesus Christus steht es zu, das von uns zu verlangen, aber es steht uns nicht zu, das vom Nächsten zu verlangen. Wenn ich in der Nachfolge Christi bereit bin zu sterben, ohne mich zur Wehr zu setzen (wie das beispielsweise der heilige Stephanus getan hat), so stelle ich diese radikale Forderung an mich selbst. Ich bin aber nicht berechtigt, dasselbe von einem anderen zu verlangen.
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Wir dürfen den Frieden des Herrn nicht als etwas betrachten, das man besitzen kann. Sein Friede muß durch die tägliche Arbeit erbetet und gelebt werden. So ist das “ora et labora" zu verstehen. Den Frieden des Herrn leben heißt, Seinen Frieden den anderen bringen. Wer meint, er habe Christi Frieden im Besitz, dem schickt Gott als eine Mahnung solcher Eitelkeit Unfrieden. Je eitler er ist, je mehr er den Frieden des Herrn zu besitzen glaubt, um so mehr Unfrieden schickt ihm Gott, bis hin zum Streit mit dem liebsten Menschen, was einem Blick in die Hölle gleichen kann.(...)
Eigentlich ist die Meinung, den Frieden Christi im Besitz zu haben, schon Sünde. Nur eine Gemeinschaft, die mit den Außenstehenden in Frieden leben will, kann auch unter sich in Frieden leben. Eine Familie, die Unfrieden in die Umwelt bringt, lebt auch mit sich im Unfrieden. Was für die Familie gilt, gilt für das ganze Volk; das beweist die Geschichte der Eroberungszüge. Nur wer mit Gott im Frieden lebt, kann auch mit den Menschen in Frieden leben. Und mit Gott im Frieden leben, heißt, Gott lieben.
Max Thürkauf
Auszüge aus "Unruhig ist unser Herz", Christiana Verlag 1990 und "Franziskus im Atomzeitalter", Verax-Verlag 1999