VISION 20002/2002
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Aschermittwoch in Rom

Artikel drucken Ein junger Benediktiner begegnet dem Papst (Fr. Bernhard A. Eckerstorfer OSB)

“Einmal im Jahr kommt der Papst zu uns!" Diesen Satz hatte ich schon vor fünf Monaten gehört, als ich im internationalen Benediktinerkolleg Sant' Anselmo eingezogen bin...

Die Gemeinschaft, in der ich seither lebe, ist im wahrsten Sinn des Wortes katholisch - weltumspannend: Die 120 Professoren und Studenten, die im Haus wohnen, stammen aus 38 verschiedenen Nationen.

Der Papst kommt immer am Aschermittwoch auf den Aventin, einen der sieben Hügel der Ewigen Stadt. In Rom lebt nämlich der antike Brauch, daß der Bischof einer Stadt die Kirchen zum Zeichen der Einheit an festgesetzten Tagen der Fastenzeit besucht, noch fort: An diesen 40 Tagen ist jeweils eine andere “Stationskirche" an der Reihe, zu der viele Menschen am entsprechenden Tag kommen. Zum ersten Stationsgottesdienst der Fastenzeit kommt der Papst.

Wie bereits in der Antike üblich, findet vor der Eucharistiefeier eine Prozession statt, die am Aschermittwoch bei uns in Sant' Anselmo beginnt. Weil Johannes Paul II. dafür zu schwach war, erwartete er die Prozession in Santa Sabina. Ich hatte die Aufgabe, die ankommenden Kardinäle und Bischöfe zu empfangen und in die Kirche zu führen. Auch hier wurde mir der weltweite Charakter unserer Kirche bewußt: Kardinal Kasper freute sich, ein “Grüß Gott" zu hören und meinte gleich: “Sie kommen wohl aus Österreich."

Die Namen vieler anderer erfuhr ich erst vom vatikanischen Sicherheitspersonal, für das eine solche Ansammlung von Würdenträgern gar nichts Besonderes mehr ist. Mehrere argentinische Bischöfe waren anwesend, befanden sie sich doch gerade auf ihrem Ad-Limina-Besuch. Rom ist und bleibt die Hauptstadt der Kirche, das merkt man besonders an solchen Festtagen.

Nach einem kurzen Gebet begann die Prozession nach Santa Sabina. Während wir durch die abgesperrte und gut bewachte Straße zogen, rezitierten wir eine lange Heiligenlitanei. Geschichte und Gegenwart verbanden sich, viele dieser Heiligen hatten ihre Wirkungsstätte hier in Rom - oder ihr gewaltsames Ende.

Als ich die Basilika aus dem 5. Jahrhundert betrat, sah ich vorne schon Johannes Paul II. sitzen. Wir Mönche durften im Chorgestühl Platz nehmen; so saß ich nur zehn Schritte entfernt gegenüber vom Papst! Während der langen Feier schaute ich ihn immer wieder an. Er wirkte schwach und doch geistig so rege. Was dieser Mann schon alles gesehen, was er nicht schon bewegt hat! Im vierten Jahrhundert stand an diesem Ort eine Hauskirche, dachte ich, und jetzt filmt man den Nachfolger Petri auf Schritt und Tritt mit riesigen Kameras und ist darauf bedacht, daß er auch genau das Zeremoniell einhält.

Wen diese Kirche in ihrem 1600jährigen Bestehen schon beherbergt hat! Unzählige Christen, die die Geschichte namenlos ließ, deren Gebet jedoch diesen Ort spürbar mitgeformt hat. Auch der hl. Dominikus muß oft hier gewesen sein; eine in den Fußboden eingelassene Gedenktafel hält die Stelle fest, an der er sich oft zum Gebet niedergeworfen hat. Thomas von Aquin und Albert der Große haben im angrenzenden Kloster einige ihrer Werke geschrieben; bis heute hat die Ordensleitung der Dominikaner hier ihren Sitz.

Mitten in diesen Gedanken wurde ich von der Liturgie des Aschermittwochs eingeholt: Die Kardinäle traten zum Papst, der ihnen eine gehörige Portion Asche aufs Haupt streute. Wie sonst kaum kamen hier Prunk und Vergänglichkeit gleichzeitig zum Ausdruck. Die Asche hinterließ auf so manchem Kardinalspurpur eine deutliche Spur. Völlig überrascht war ich, als wir jungen Benediktiner aufgefordert wurden, ebenfalls vor den Papst zu treten.

Einzeln wurden wir von Johannes Paul II. daran erinnert, daß wir aus Staub sind und zum Staub zurückkehren. Ich war schon stolz, bei dieser Feier ganz vorne dabeisein zu können, und hatte bereits heimlich überlegt, welchen Freunden in Österreich ich zuerst davon berichten sollte. Mit einem Mal war dieser Gedanke verflogen; tief berührt ging ich zurück auf meinen Platz.

Die Asche auf meinem Kopf war noch keine drei Tage abgefallen, da hatte ich Gelegenheit, im Rahmen eines Kongresses meine erste Privataudienz zu erleben. Der alte Mann hat zwischen diesen beiden Begegnungen sicher ein dichtes Programm zu bewältigen gehabt - ich kam mir fast fehl am Platz vor, ihn schon wieder zu “belästigen". Zusammen mit etwa 30 Theologen aus verschiedenen Ländern wurde ich ins Innere des Vatikans vorgelassen, durch die vornehmen Repräsentationsräume geführt und mit einem Zeremoniell konfrontiert, das ich nur bei einem Kaiser erwartet hätte.

Dieses befremdliche Gefühl entwich jedoch rasch, als der Heilige Vater gebückt und auf einen Stock gestützt erschien, umgeben von seinem Gefolge. Bei seiner Ansprache spürte man, daß dem kreativen Philosophen und Dichter die Theologie ein Anliegen ist. Auch wenn die Worte nur noch mühsam von den Lippen gingen, waren sie doch mit dem Herzen im Einklang.

Einzeln wurden wir ihm vorgestellt. Nachdem ich seinen Ring geküßt hatte, trafen sich unsere Blicke auf gleicher Höhe. Ich fügte erklärend hinzu: “Ich bin aus Österreich". Er schaute mir fest in die Augen und antwortete in bestem Deutsch: “Schön, aus Österreich!". Vielleicht dachte der begeisterte Schifahrer an unsere Berge. Auch in dieser Gesellschaft schämte ich mich nicht meiner nassen Augen, sah ich doch, daß selbst Professoren ebenso berührt von Johannes Paul II. weggingen wie ich.

Der Autor, Jg. 1971, ist Benediktiner (Kremsmünster) und studiert Monastische Theologie in Rom.

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