VISION 20002/2002
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Mit der Stola und der Lederjacke

Artikel drucken Père Guy Gilbert, der Rockerpriester von Paris und seine große Liebe für jugendliche Verbrecher (Von Alexa Gaspari)

Jedesmal, wenn ich Père Guy Gilbert, den “Rocker Priester" von Paris, auf dem Podium sehe, reißt er die Zuhörer mit Schwung und einer gehörigen Prise Provokation mit. Heiterkeitsausbrüche des Publikums bleiben nie aus. Langweilig wird da keinem, denn Guy Gilbert kennt eine Unmenge an “gros mots" (Sammelbegriff für ordinäre Ausdrücke und Schimpfworte), mit denen er seine Ausführungen - unlängst im Keller eines Wiener Szenelokals - spickt.

Unwillkürlich fragte ich mich, ob sein Repertoire damit erschöpft sei. Keineswegs, bestätigt er mit einer Anekdote, die er mir nach seinem Auftritt erzählt: Im Anschluß an einen Vortrag sei eine ältere Dame zu ihm gekommen, um ihm spitz mitzuteilen, er habe heute 67 Schimpfwörter verwendet. “Das tut mir aber leid", habe er geantwortet, “hätte ich gewußt, daß Sie extra wegen dieser Worte gekommen sind, hätte ich weit mehr verwendet."

Kein Wunder, dieses Repertoire. P. Gilbert hat ja die besten Lehrmeister: die Straßenkinder von Paris und die härtesten jugendlichen Gewaltverbrecher. Wenn er nun über sein Leben mit ihnen erzählt, hautnah, ohne zu beschönigen, so ist es nicht verwunderlich - wohl auch beabsichtigt -, daß etwas mitschwingt von der Atmosphäre, in der er sich täglich bewegt. Und da passiert es schon auch, daß er etwas übers Ziel schießt. Denn Provokation gehört zu seinem Alltag: Immer wieder wird er selbst, sein Glaube, seine Kirche in übler Art und Weise angegriffen.

Bei seinen Vorträgen, seinen Auftritten in Rundfunk und Fernsehen geht es ihm allerdings in erster Linie natürlich weder um Provokation noch um Heiterkeit. Gros mots sind dann die Verpackung für den Inhalt, der seine Zuhörer aufrütteln, zum Überdenken ihres Lebens anregen oder tief bewegen soll.

Und tief bewegend ist es schon, wenn der Père über seine Kindheit spricht. Selten hört man einen Mann mit solcher Liebe, Dankbarkeit und Hochachtung von seinen Eltern sprechen: Guy - am 12. September1935 in Rochefort sur Mer geboren - ist als drittes von 15 Kindern in einer Arbeiterfamilie groß geworden.“Die erste Liebe meines Lebens ist der Blick, den ich in der Wiege als Baby, dann als Kind und als Jugendlicher erhalten habe, der Blick eines Mannes und einer Frau, die mich unendlich geliebt haben. Meine Mutter ist jetzt 90 und ich bade noch immer in ihrem Blick voll Liebe und Zärtlichkeit. Meine Eltern haben alles, was sie hatten, uns 15 kleinen Vogerln gegeben. Wir waren arm, aber unglaublich reich an Liebe. Bevor man mir noch von einem Gott der Liebe erzählt hatte, wußte ich schon: Gott existiert. Ich sah Ihn jeden Tag im Gesicht meiner Eltern, in jeder Geste voll Liebe und Zärtlichkeit für meine 14 Geschwister und für mich."

Diese Zärtlichkeit, diese Liebe, aber auch diese Armut haben sich bei ihm in Stärke gewandelt, davon ist der Père überzeugt. Und stark muß er wohl sein bei der Aufgabe, die er übernommen hat: Möglichst viele Kinder und Jugendliche in Paris von der Straße wegzubringen und jugendlichen Gewalttätern in einer wiederaufgebauten Ruine in der Provence - der Bergerie von Faucon - ein wenig Heimat, Hoffnung, Vertrauen und Liebe zu schenken. Ein großes Programm.

Wer diesen Mann zum ersten Mal sieht und nichts über ihn weiß, kommt nie auf die Idee, einen Priester vor sich zu haben. Père Guy tritt seit Jahrzzehnten in einem schwarzem Leder-RockerLook auf. Jeder Mann seines Alters - Guy Gilbert ist mittlerweile 67 - würde damit auffallen, aber erst recht, wenn dieser Mann ein Priester ist: Auf seiner Lederweste prangen jede Menge Anstecker - wenn ich mich nicht irre, sogar ein Kreuz. Auch seine ungebändigte Frisur trägt nicht unbedingt dazu bei, ihn als Priester zu identifizieren.

Wie kam es zu diesem originellen bis provokanten Outfit? Begonnen hat alles als ihn seine Mutter erwartete. Damals bittet sie nämlich Gott, doch einen ihrer Söhne Priester werden zu lassen. Wohl als Zeichen, daß sie an die Erfüllung der Bitte glaubt, stickt sie aus einem Stück ihres Hochzeitskleides ein Korporale. Sie wird es Guy viele Jahre später zur Feier seiner ersten Heiligen Messe geben und ihm die Geschichte des Tuches erzählen.

Schon als kleiner Bub kümmert sich Guy besonders um Kranke. Schon damals sei er auf leidende Menschen zugegangen, um sie zu trösten, habe er viel Freizeit verbracht bei Menschen, die Hilfe brauchten, erzählt ihm die Mutter später. “Noch ohne besonders an Christus zu denken - der Katechismus interessierte mich nicht sehr - dachte ich, daß es ein Heilmittel gegen das Leid geben müsse. Ein wenig verschwommen war es wohl schon damals Christus. Nur wußte ich das nicht", erinnert er sich.

Diese, ihm wohl schon in die Wiege gelegte Gabe, wollte er schon bald ausbauen: Mit 13 Jahren erklärt er seinen Eltern, er wolle Priester werden. Und der Wunsch vergeht nicht, wie sein Vater zunächst meinte. “54 Jahre später bin ich mir bewußt, daß ich nichts anderes hätte werden können. Ich habe nie einen Zweifel gehabt. Es war ein unbesiegbarer Wunsch", erklärt er dezidiert. Allerdings hätte er Landpfarrer werden wollen.

In La Rochelle-Saintes beginnt er mit dem Priesterseminar, wird aber bald zum Algerienkrieg eingezogen. Er weigert sich Araber zu töten und wird Krankenpfleger.“Man tötet doch keinen, den man nicht einmal kennt. Bevor man einander umbringt, sollte man doch wenigstens miteinander auf ein Bier gehen, und über die beste Art, sich gegenseitig umzubringen, diskutieren", stellt er ironisch fest.

Guy übersteht den Krieg, trotz Sonderkommandos, dem er zugeteilt wird, weil er gegen das Foltern ist. Nach einer Wallfahrt nach Lourdes - 500 Kilometer zu Fuß als Dank und um weitere Weisungen zu erhalten - kehrt er nach Algerien zurück. Er lernt arabisch, um dem Volk möglichst nahe zu sein, und wird 1965 dort zum Priester geweiht. Fünf Jahre ist er Kaplan in Blida. Er, der eigentlich irgendwo in Frankreich Landpfarrer werden wollte, findet sich in einer arabischen Welt wieder, die ihn zwar fasziniert, in der es aber kaum noch Katholiken gibt.

Eines Nachts - es ist zwei Uhr Früh - kehrt P. Guy von einer Veranstaltung heim und sieht einen Buben am Straßenrand sitzen. Was er denn so spät allein auf der Straße mache? “Geh doch lieber heim", sagt der Priester. “Nein, dorthin kehre ich nicht mehr zurück", antwortet der Bub. Niemand wolle ihn dort haben, er dürfe immer erst nach dem Hund aus dem Freßnapf essen.

Guy, der das nicht glauben kann, nimmt ihn für diese Nacht zu sich - und behält ihn sieben Jahre! Alain, so heißt der 12jährige, spricht in der ersten Zeit fast nichts. Guy meint schon, einen Fehler gemacht zu haben. Endlich eines Abends, etwas lockerer, weil er sich allein ein Bier genehmigt hat, spricht sich der Bub zum ersten Mal aus: “Guy, wenn du meine Hand losläßt, gibt es absolut nichts mehr, was ich auf dieser Welt habe."

“Alain hat mir alle seine Freunde, die wie er im Dreck der Straße lebten, gebracht", erzählt der Priester weiter. “Er hat mich die Armut der Welt erst richtig gelehrt. So bin ich Straßenerzieher geworden." Endlich hat er seine eigentliche Berufung gefunden.

1970 schickt ihn sein Bischof nach Frankreich zurück. In Algerien ist das Leben für einen Priester mittlerweile zu gefährlich geworden. In Paris setzt P. Guy nun dort fort, wo er in Algerien begonnen hatte: bei den Straßenkindern.

Es sind vor allem die 13- bis 16jährigen, derer er sich annimmt. Kinder, die niemand haben will, junge Prostitutierte, Drogenabhängige oder Kinder, die wegen Mißhandlung von zu Hause weggelaufen sind. “15 Jahre war ich in den Straßen von Paris auf einem großen Motorrad unterwegs, das die Jugendlichen fasziniert hat. So konnte ich mit ihnen in Kontakt kommen." Einige Priester schließen sich ihm an.

Nachdem er nun die Soutane - “die ich sieben Jahre gerne getragen habe" - gegen einen Anzug mit römischen Collar, eingetauscht hat, kommt der Tag, an dem er sein Outfit total verändern wird. Anschaulich erzählt er: “Oft in der Nacht, wenn ich mit Jugendlichen unterwegs war und wir von der Polizei aufgehalten wurden, war man zu mir als Priester höflich, behandelte die Jugendlichen aber wie den letzten Dreck. Eines Tages habe ich mich im Gespräch mit den Jugendlichen darüber aufgeregt: ,Ich bin doch kein Diamant inmitten von Dreck. Ich sehe das nicht ein: Ihr macht keinen Blödsinn, wenn wir zusammen sind, und trotzdem werde ich viel besser als ihr behandelt.' ,Kein Problem', sagt einer der Jungs, ,kleide dich wie wir. Du wirst schon sehen...' So habe ich mir den Look der Rocker, wie sie damals halt angezogen waren, zugelegt. Eines Nachts werden wir von einem dicken Polizisten angehalten. Der sagt zu mir: ,Du da, du alter Zuchthäusler komm her.' Ich darauf: ,Ich habe mit dir doch nicht gemeinsam Schweine gehütet.'" (Guy tut sich übrigens nicht schwer, jemanden zu duzen. Im Laufe des Abends stelle ich fest, daß er alle unter 90 duzt.)

“Ein Wort gibt das andere: Der Polizist findet ich habe eine Diebsvisage, sei ein alter Trottel, ich sage ihm, er sehe aus wie ein Kohlkopf. Als er dann auf dem Kommissariat meine Papiere sieht, entschuldigt er sich. ,Zu spät', habe ich geantwortet: ,Mein Bruder, wenn du Menschen nur nach dem Äußeren beurteilst, wie soll das dann weitergehen?" Und für die Zuhörer fügt er hinzu: “Eigentlich sollten wir die Menschen nur mit einen bestimmten Blick betrachten, dem Blick, den uns nur Christus geben kann und mit dem wir jeden als unersetzliches. liebenswertes Wesen erkennen können."

Solange die Kirche ihm erlaubt, mit den Jugendlichen zu leben, werde er aus Achtung und Respekt vor ihnen diese Lederjacke anbehalten - obwohl sie schon längst aus der Mode ist.

Wie aber gelingt es diesem Priester, den Jungen, gewalttätig geworden durch eine Umgebung, hart wie der Beton der Pariser Straßen, von Gott, von der Liebe zu erzählen? Er erinnert sich, daß er es einmal offensichtlich zu früh bei einem Burschen versucht hat. “Deinen Gott kannst du dir sonstwo hinstecken", hat ihn dieser unterbrochen. Später erfährt P. Guy, daß der Vater den Buben vor dem Schlafengehen immer mit einem Ochsenriemen geschlagen hat. Auch wenn dieser sich zu verstecken versuchte, habe der Vater keine Ruhe gegeben, bevor nicht Blut gespritzt sei. “Wie soll so ein Kind, das nie Liebe erfahren hat, verstehen, was Liebe ist? Da wußte ich, daß ich den Mund halten muß und den jungen Menschen zuerst zeigen soll, was Liebe ist, bevor ich ihnen von Gott erzählen kann". P. Guy hatte verstanden.

Auch Jean-Claude wollte zunächst nichts von Gott wissen: “An die Liebe glaube ich nicht," hat er gesagt, “denn als ich klein war, wurde ich egal ob Tag oder Nacht, Sommer oder Winter aus dem Haus geworfen, mußte in der Scheune schlafen. Dort haben mich zwei Hunde gewärmt. Hunde mag ich, die Menschen nicht."

“Sechs Monate lang," so erzählt P. Guy, “hat der dann bei uns auf der ,Bergerie' gelebt. Wegen einer alten Sache mußte er dann ins Gefängnis. Als er da herauskam, hat er mich sofort besucht und mich folgendermaßen begrüßt: ,Guten Morgen, Guy. Der Herr sei mit Dir!' ,Na das sind aber ganz neue Töne', habe ich erstaunt geantwortet. ,Was ist Dir denn zugestoßen?' ,Ja', war Jean-Claudes Antwort, ,im Gefängnis hab ich die Bibel gelesen. Da war die Rede vom Teilen, vom Vergeben, daß der Kleinste beschützt werden muß... All das, so ist mir aufgefallen, habe ich bei Euch erlebt. Ihr habt mir so oft vergeben, wenn ich Blödsinn gemacht habe, habt mit mir geteilt, und die Schwächsten sind stets besonders beschützt worden. Gab es etwas zu sagen, hat man es gesagt, wie es ist: Euer Ja war ein Ja, Euer Nein ein Nein. Weil ich all das bei Euch erlebt habe, habe ich jetzt verstanden. Jetzt glaube ich daran, daß Christus der Sohn Gottes ist.'"

Die “Bergerie", einst eine Ruine, hat Guy Gilbert auf Drängen der Straßenjugend vor 28 Jahren gekauft. Gern kam er diesem Wunsch nach, sah er doch, daß es sehr schwer war, Jugendliche in der Großstadt aus eingefahrenen Bahnen herauszuholen - trotz des guten Kontakts zu ihnen. Raus aus Paris, war die einzig mögliche Lösung. Die Jugendlichen selbst wollten das Haus mit ihren eigenen Händen renovieren.

Und so geschah es dann auch: Zehn Jahre lang wurde gearbeitet. Ein wunderschönes Haus ist daraus geworden. Eines Tages überraschen die Jugendlichen P. Guy bei seiner Ankunft: Auf ihren Händen tragen sie den Priester zu seinem mit Girlanden geschmückten und festlich beleuchteten Zimmer...

Was ist das Besondere an dem Haus in Faucon? Außer den Jugendlichen und ihren Betreuern - jeder Jugendliche hat einen eigenen - leben hier die unterschiedlichsten Tiere: neben Kühen, Hendeln und Hunden gibt es Wildschweine, Känguruhs, Strauße, Büffeln, Lamas und andere exotische Tiere. “Damit sie die Liebe in den Herzen der Menschen kennenlernen, muß man bei diesen Jungen den Umweg über die Tiere nehmen", erklärt P. Guy. “Das wirft eine wesentliche Frage auf: Wie schlecht mußten diese Jugendlichen behandelt oder mißhandelt worden sein, daß sie Liebe eher im Herz eines Tieres vermuten, als in dem eines Menschen?" Ein Bub habe einmal festgestellt: “Ein Tier nimmt sich nie zurück, was es einem einmal ge-geben hat."

Durch den Kontakt mit den Tieren - jeder darf sich selbst ein Tier zum pflegen aussuchen - sollen die Jugendlichen ihre Gewaltbereitschaft ablegen lernen. Das ist Teil der Therapie. Übrigens hat P. Guy eine dreijährige Ausbildung als Pädagoge absolviert.

Diese Jugendlichen ab 13 - sie sollten eigentlich noch Kinder sein - bekommt er vom Gericht zugewiesen. Anstatt in eine Haftanstalt zu kommen, verbringen sie eine gewisse Zeit in Faucon. Einmal hatte ein Richter Bedenken: Die Burschen würden dort sicher alle Brief- und Handtaschen stehlen. “Keine Angst", war P. Guys Antwort: “Ich habe die Hendln bei uns noch nie mit Hand-, die Wildschweine nie mit Brieftaschen herumlaufen gesehen."

Guy Gilbert nimmt die allerhärtesten, jene, die niemand mehr haben will: Burschen, die Mordversuche hinter sich haben, 13jährige Vergewaltiger. Denn jeder von ihnen sei im Grunde genommen ein Wesen des Lichts, so die Überzeugung des Priesters, jeder habe seine liebenswerten Seiten, sei einzigartig, auch wenn das Gute erst wie mit einem Hammer aus ihnen herausgemeißelt werden muß.

Faucon - das ist eine neue Zukunft für junge Gewaltverbrecher. Viele der Burschen müssen erst lernen, sich an Regeln zu halten: “Ich habe hier gelernt, mich zu entschuldigen, zu arbeiten, andere zu respektieren, weniger Dummheiten zu machen", erzählt einer von ihnen in einem Film, der in Faucon gedreht wurde. Hier könnten sie erfahren, daß man sie mag, daß sie gebraucht werden.

Mit gesunder Autorität - “wenn es sein muß und Gewalt ausbricht, muß ich auch so antworten: erst die Faust, dann der Segen. Doch Gott sei Dank ist das nur sehr selten der Fall" - und geistigem Unterscheidungsvermögen, mit viel Demut und Liebe leitet P. Guy die “Bergerie" in Faucon. Wie sehr er geschätzt wird, hat einmal ein “Ehemaliger" so formuliert: “Weißt du Guy, wenn du eines Tages im Rollstuhl sitzen mußt, dann werde ich mich um dich kümmern. Das wichtigste ist einfach, daß du da bist."

Wenn Guy in Faucon ist, gibt es täglich eine Heilige Messe, meist unter freiem Himmel. Für die Jugendlichen ist sie zum - freiwilligen - Fixpunkt geworden. Und für manche mehr: Eines Tages gibt es einen Tumult beim Abendessen. Christophe tut kund, er wolle getauft werden. Jetzt glaube er, daß Jesus Gottes Sohn ist - und daß Gott die Liebe ist, das sei phantastisch! Erst als er das hört, fällt dem Père ein: Der Bursche hat schon seit längerem alle Arbeiten, meist still und unbedankt, übernommen, wenn die anderen schon zu hungrig oder müde dazu waren.

Guy beschließt, ihn möglichst bald zu taufen. “Es war gut, daß ich diesmal die Zeit bis zur Taufe verkürzt hatte", fügt er hinzu, “denn kurz darauf wurde Christophe wegen einer alten Sache für 5 Jahre eingesperrt!"

Wie aber wird all das finanziert? Spenden, Guys eigener Gehalt, und der Erlös seiner 19 Bücher werden in Gehälter für Faucon und für den Empfangsdienst in Paris umgewandelt. Guy selbst ist äußerst bescheiden: Seine Möbel stammen von einer Entrümpelungsaktion.

Bei seinen Burschen hält sich Père Gilbert zwar mit Glaubensgesprächen zunächst zurück, bei seinen Vorträgen spricht er aber engagiert über Gott und die Kirche. Beim Weltjungendtreffen mit dem Papst in Paris habe ich das erlebt, als er zu den Österreichern gesprochen hat. Kardinal Schönborn hat damals übersetzt und die jungen Leute waren von Guys direkter, lebendigen, aber auch sehr zu Herzen gehenden Art begeistert: “Ihr entdeckt hier das weltweite, wunderbare Gesicht der Kirche. Die Berufungen und Charismen sind verschieden - und auch die Looks: Seht her! Da der große Erzbischof und hier der kleine Priester."

Sie sollten sich mit Papst und Bischof gemeinsam auf den Weg der Kirche machen, ruft er den Jugendlichen zu. “Wir sollten aufeinander zugehen, einander achten, und endlich damit aufhören, uns gegenseitig innerhalb der Kirche zu beschimpfen." Dem Applaus nach zu schließen, sprach er der Jugend damit offensichtlich aus dem Herzen.

Ein wichtiges Anliegen ist ihm auch diesmal das Gebet: “Ich lebe täglich mit der Gewalt, dem Haß und der Verzweiflung. Würde ich mich nicht alle 10 Tage, für 48 Stunden zurückziehen, meine Gosch'n halten und auf Jesus Christus hören, ich wäre längst nicht mehr Priester". Und weiter: “Nehmt euch Zeit für's Gebet, nehmt euch Zeit für's Maulhalten, für die Stille! Der Mensch braucht das Gebet so notwendig wie das Atmen."

Die Stunde, die er sich jeden Morgen für Gott nimmt, sei sein Sauerstoff, den er zum leben braucht, sagt P. Guy bei jeder Gelegenheit. “Und mein ,Zaubertrank' ist ein Satz aus dem Evangelium, aufgeschrieben und immer wieder während des Tages gelesen. Und der Rosenkranz, den ich manchmal erst im Auto beende, ist die liebende Gegenwart Marias die den ganzen Tag über bei mir bleibt."

Wie gerne höre ich ihm zu wenn er erklärt:“Es ist der schönste Moment in meinem Leben, an jedem Tag, wenn bei der Heiligen Messe durch meine Hände aus Ton die Liebe herabkommt. Das geschieht aber nur", fügt er hinzu, “damit ich als Priester die Liebe überall hinbringe, wo immer ich hingehe." Die Zeit die Guy sich für Gott nimmt, gewinnt er als unschätzbare Zeit für andere Menschen, in denen er nun Christus begegnen kann, dazu.

Guy Gilbert, so wie ich ihn bei Vorträgen und dem kurzen Interview erlebt habe, zeigt eine rauhe äußere Schale, die er aber immer wieder öffnet, um Zeugnis für seine Liebe zu Gott, zur Kirche und nicht zuletzt für die im Herzen verletzten Kinder und Jugendlichen zu geben. Ich glaube ihm, wenn er sagt, daß er im Alltag so zu leben versucht, “daß allein durch die Art wie ich lebe, man denken muß, daß es unmöglich ist, daß Gott nicht existiert."

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