Österreichs Bischöfe haben 2002 zum Jahr der Berufung erklärt. Im folgenden Gespräch haben wir den Wiener Erzbischof gefragt, was Berufung bedeutet und wie man Berufungen heute besser fördern könnte.
Herr Kardinal, wie erkennt man eigentlich eine Berufung zum Priester oder in den Ordensstand? Und wer unterscheidet, ob diese Berufung echt ist?
Kardinal Christoph Schönborn: Berufung hat immer zwei Seiten: den subjektiven, persönlichen und den objektiven, institutionellen Aspekt. Im ersten Fall geht es um die Frage, ob ich eine Berufung erfahre, ob ich glaube, eine Berufung zu haben. Und im zweiten, ob dies von der Seite anerkannt wird, die in dieser Frage Autorität hat.
Wer hat dazu die Autorität?
Schönborn: Das kommt darauf an. Wenn ich etwa an meine eigene Geschichte denke: Ich bin mit 18 Dominikaner geworden und hatte den Eindruck, dazu berufen zu sein. Als Jugendlicher hatte ich einen Dominikaner kennengelernt, dessen Erzählungen über den Orden mich sehr interessiert haben. Bei den Dominikanerinnen habe ich oft im Kloster ministriert und einiges vom heiligen Dominikus, vom heiligen Thomas gehört. Priester wollte ich sowieso werden. So hat sich das für mich präzisiert: Ich möchte in den Dominikanerorden eintreten. Eines Tages habe ich den Provinzial des Ordens gebeten, mich aufzunehmen - was er erstaunlicherweise getan hat. Zunächst war der Novizenmeister und dann der Provinzial zuständig, um zu sagen: Den behalten wir auch. Es genügte nicht, daß ich kommen wollte, es mußte das auch geprüft werden.
Bei Priestern entscheidet der Bischof...
Schönborn: Letztlich ja. Dazu beauftragt er aber normalerweise den Regens und die Oberen des Priesterseminars. Sie wägen ab, ob der Betreffende eine Berufung hat und sie ihn daher dem Bischof als Priester vorschlagen können. Es braucht also immer beides. Es gibt immer wieder Leute, die glauben eine Berufung zu haben, aber es gibt keine Anerkennung dafür. Der heilige Benedikt Labre, der heilige Clochard, der jahrelang in größter Armut auf den Straßen Europas gepilgert ist, wurde nie von einem Kloster aufgenommen, obwohl er es bei den Trappisten, den Karmeliten an verschiedenen Orten versucht hat. Vielleicht hatte er wirklich keine Klosterberufung, aber ein Heiliger ist er geworden.
Ab welchem Alter sollte man hellhörig werden, ob jemand eine Berufung hat? Wann hat sich das bei Ihnen abgezeichnet?
Schönborn: Im Alter von zehn hat sich dieser Ruf sehr deutlich gemeldet. Das heißt nicht, daß es dann kontinuierlich ohne Fragen so weiter gegangen ist. Es kann aber schon mit zwei Jahren beginnen, wie bei der kleinen heiligen Theresia - oder sehr spät. Es gibt einen berühmten Dominikaner, P. Raimund Löwenstein: Er war Familienvater und hatte viele Kinder. Er ist mit 75 nach dem Tod seiner Frau Dominikaner geworden. Berufung hat kein Alter. Es kann auch sein, daß ein Ruf vorliegt, kirchlich anerkannt wäre, der Betreffende dieser Berufung aber nicht folgt. Gott läßt uns die Freiheit, nein zu sagen.
Kann es sein, daß in unserer Zeit mit den vielen zerrütteten Familien der Nährboden für Berufungen fehlt?
Schönborn: Sicher ist es nicht einfach für das Wachsen von Berufungen, wenn der Humus nicht da ist. Aber Gott ist nicht an die Bodenqualität gebunden. Er kann dem Abraham auch aus Steinen Kinder schenken, sagt Johannes der Täufer. Er kann Berufungen in den unglaublichsten Milieus schenken. Ich kenne die Situation einer starken, tiefen und echten Berufung, die im aussichtslosesten Obdachlosenmilieu gewachsen ist. Menschlich würde man sagen: Da kann keine Berufung wachsen. Doch Christus hat da ein Menschenkind in der schwierigsten Umwelt wirklich ergriffen, geführt, ja durch die Nacht getragen.
Worauf sollten Eltern achten, wenn sie mit einem berufenen Kind konfrontiert sind?
Schönborn: Als erstes ist von den Eltern die Bereitschaft zu erhoffen, eine Berufung anzunehmen. Was mir so Sorge macht: Heute ist immer wieder zu hören, daß Eltern die Berufung bei ihren Kindern nicht annehmen oder zum Teil zerstören. Sie sind nicht bereit, ja zum Ruf Gottes im Leben ihres Kindes zu sagen. Positiv gesagt: Eltern könnten die innere Offenheit haben: Herr, wenn Du eines meiner Kinder rufst, dann sind wir bereit, dann freuen wir uns. Sie könnten auch bitten: Nimm eines unserer Kinder in eine geistliche Berufung! Natürlich sollen Eltern auch um gute Ehen in der nächsten Generation beten. Das ist auch wichtig. Nur fällt das den Eltern leichter. Eltern wollen ja auch Großeltern werden...
Das können wir selbst sehr gut nachempfinden...
Schönborn: Ja, der Ruf Gottes in eine Nachfolge in der Ehelosigkeit ist aufs erste gesehen für die Familie ein Opfer. Allerdings ein sehr reich belohntes Opfer. Jedenfalls ist die Bereitschaft der Eltern zu diesem Opfer eine sehr wichtige Hilfe für Berufungen.
Heuer ist das Jahr der Berufung. In welcher Richtung wird es da Bemühungen geben?
Schönborn: Zunächst überhaupt auf das Thema aufmerksam zu machen: Christsein heißt, berufen zu sein. In gewisser Weise muß man es sogar vom Menschsein sagen: Wir sind ins Dasein gerufen. Wir verdanken unsere Existenz nicht einfach einem Zufall - auch wenn die Begegnung der Eltern, die zum Entstehen des neuen Menschenlebens führt, nicht auf Zeugung ausgerichtet war. Jedenfalls ist das neue Wesen, das entsteht, von Gott ins Dasein gerufen, ein unverfügbarer Mensch, nicht das Produkt der Eltern allein. Und jeder Mensch ist von seinem Menschsein her gerufen, Gott Antwort zu geben. Berufung impliziert ja Ruf auf eine Antwort hin. Und für den Christen ist die Taufe Berufung zu einem Leben in der Nachfolge Christi. Im Jahr der Berufung wird es darum gehen, diese Grunddimension von Berufung stärker bewußt zu machen - und natürlich auch die speziellen Berufungen. Jeder sollte sich fragen: Wozu bin ich eigentlich berufen? Was ist mein Auftrag? Was hat Gott mir zugedacht? Natürlich muß ich meine Arbeit tun, einem Beruf nachgehen, mich um meine Familie kümmern... Das Funktionieren des Lebens ist aber nicht alles.
Ist all das nicht auch unter dem Blickwinkel des Anrufs Gottes zu sehen?
Schönborn: Natürlich. Das Alltäglichste ist schon Antwort. Ich mag den Gedanken der kleinen heiligen Theresia, daß wir in den kleinsten Dingen des Alltags die kleinen Akte der Liebe Gott gegenüber setzen. Das ist Berufung im Alltag. Jeder kann so Antwort auf den Anruf Gottes sein.
Das gilt also auch für die Ehe...
Schönborn: Absolut. Man kann von einer Berufung zur Ehe sprechen. Die Ehe ist ja nicht etwas Selbstverständliches. Sie ist zwar auch etwas Natürliches, ist in der Schöpfungsordnung angelegt. Aber wenn zwei Menschen einander das Jawort sagen, ist das auch gegenseitiger Ruf und gegenseitige Antwort, die vor Gott geschieht. Das ist also Berufung. Wir sprechen dann aber noch von der spezifischen Berufung, wenn Gott einen Menschen in eine besondere Situation hineinruft. Das kann ein Ruf in eine schwierige Bekenntnissituation sein: ein Franz Jägerstätter in der Nazi-Zeit in ganz dramatischer Form. Er hat den Ruf gespürt, aus Gewissensgründen nein zu etwas zu sagen, was er aus dem Glauben heraus ablehnen mußte. Auch das ist Berufung. Im Jahr der Berufung geht es aber auch speziell um den Ruf in den priesterlichen Dienst, den geistlichen Stand - aber im großen Rahmen des stärkeren Bewußtseins, daß in jedem Menschen der Ruf Gottes da ist.
Es gibt heute relativ wenig Priesternachwuchs...
Schönborn: ... in Österreich...
Ruft Gott heute weniger Österreicher zum Priester oder in den Ordensstand?
Schönborn: Wir wissen es nicht, können keine Statistiken über Gottes Ruf führen. Das ist Sein Geheimnis. Ich kann nur eine Vermutung äußern: Ich glaube, es gibt in Österreich viele Berufungen in den Priester- und in den geistlichen Beruf. Viele von ihnen kommen aber nicht durch - wie im Gleichnis vom Sämann. Die Saat geht schnell auf, dünnes Erdreich - aber dann kommt die Hitze des Tages. Die Saat verdorrt. Oder die Dornen, die vieles überwuchern: Ablenkungen, Verlockungen, Zerstreuungen. All das läßt Berufung nur schwer oder gar nicht aufblühen. Die vorrangige Herausforderung im Jahr der Berufung ist es herauszufinden, wie man diese geistlichen Berufungen gut begießen kann, um sie zum Blühen zu bringen.
Das Gespräch führten Alexa und Christof Gaspari.