Camilla von Varano erblickte am 9. April 1458 als uneheliche Tochter des adeligen Herrschers von Camerino, Giulio Cesare von Varano und der Edelfrau Cecchina di Mastro Ciacomo, das Licht der Welt. In dieser Zeit war Camillas Vater mit der zwölfjährigen Giovanna, Tochter des Sigismund Malatesta, von Rimini verehelicht. Camilla hatte insgesamt sieben Geschwister, davon waren vier uneheliche. Das war beim damaligen Zeitgeist der Renaissance keineswegs ein Skandal.
Camilla wurde von ihrem Vater und seiner jungen Frau Giovanna sehr geliebt und gefördert. Ihre uneheliche Geburt hat scheinbar keinen negativen Einfluß auf ihre Persönlichkeit ausgeübt.
Als acht- oder zehnjährige hörte sie den Franziskaner-Observanten (Mitglied einer strengeren Richtung der Franziskaner), Br. Domenicus von Leonessa, predigen. Dieser Minderbruder wurde später einer ihrer geistlichen Begleiter.
Er beschrieb die Passion Jesu sehr tiefsinnig und ermahnte seine Zuhörer, wenigstens jeden Freitag in Erinnerung an die Passion Jesu eine Träne zu vergießen. Diese Worte machten der kleinen Camilla einen derartigen Eindruck, daß sie von da an tatsächlich Freitag für Freitag das Leiden Jesu zu beweinen begann. Mehr und mehr wurde ihre Träne Gebet, Betrachtung und Fasten.
Am Hof erzogen – sie lernte u. a. reiten – nahm sie allerdings wie alle jungen Leute dort an den rauschenden Festen teil, tanzte, spielte und sang mit großer Leidenschaft. Und sie wurde vor allem auch in humanistischen Fächern wie Poesie, Musik, Malerei und in der lateinischen Sprache unterrichtet.
Mit 18 Jahren hörte sie den Ruf des Herrn, sich ihm im Ordensstand zu weihen. Allerdings stellte sie sich diesem leisen Anruf Gottes entgegen. Ihr Herz war noch nicht bereit und noch zu sehr vom mondänen Leben angezogen. Auch fühlte sie sich damals zu einem Mann hingezogen.
Durch verschiedene Ereignisse ihres Lebens wurde sie aber immer stärker auf den Weg der inneren Reinigung geführt, der ihre Liebe zu Christus, dem Gekreuzigten, tiefer werden ließ. Und so entschloß sie sich schließlich, zum Erstaunen aller, bei den Klarissen einzutreten.
Mit diesem Wunsch nach einem klausurierten Leben, begann für sie ein großer Leidensweg: Ihr Vater, der sie sehr liebte, legte ihr alles nur Erdenkliche in den Weg, damit sie von diesem Ansinnen ablassen möge. Zuerst waren es Schmeicheleien, dann Drohungen und schließlich Gefangenschaft. Camilla erkrankte für sieben Monate, weil sie dem Wunsch des Vaters nicht entsprechen konnte und wollte. In dieser Zeit der Auseinandersetzung hatte Camilla eine Vision von Jesus. Sie sah in Seinem offenen Herzen die Worte geschrieben: „Camilla ich liebe dich!“
Nach zwei Jahren des Kämpfens und Ringens gab der Vater schließlich nach und Camilla konnte bei den Klarissen im Kloster S. Klara in Urbino eintreten. Wir schreiben den 14. November 1481. Im Kloster wurde ihr der Name ‚Battista’ gegeben. Nur drei Jahre später wurde sie von den Oberen beauftragt, das Kloster Urbino zusammen mit acht Mitschwestern zu verlassen, um in Camerino ein neues zu gründen. In diesem sollten sie streng, ohne irgendwelche Abstriche, ganz auf der Basis der Klararegel leben. In dieser Zeit wuchsen ihre mystischen Gaben: innere Erleuchtungen, Ekstasen, in denen sie in die göttlichen Tiefen eintauchen konnte. Sie hatte auch Engel- und Heiligenvisionen.
Es folgten nun Jahre vieler mystischer Ereignisse. Die Passion Jesu wurde zum zentralen Betrachtungspunkt. Sie empfand die Schmerzen Jesu in seinem menschlich-göttlichen Herzen. In ihren mystischen Erhebungen schrieb sie ein Buch mit dem Titel Die seelischen Leiden Jesu in seiner Passion. Dieses Buch ist das Hauptwerk ihrer Mystik. Es wurde zum Schlüssel der Betrachtung für viele Heilige und Gottessucher. In diesem Werk wünschte sich die Heilige sogar, „daß alle Tage des Jahres für sie wie ein einziger Karfreitag wäre.“
Weitere Werke sind eine Autobiographie, Lauden der Christusvisionen, Weisungen für einen Jünger, Gebete und verschiedene Briefe an geistliche und weltliche Adressaten. Leider sind diese Werke nur vereinzelt in deutscher Sprache veröffentlicht.
1502 kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen: Cesare Borgia, der Sohn des Renaissancepapstes Alexander VI., unterwarf dem päpstlichen Stuhl die gesamte Romagna und eroberte dabei auch Camerino, wo Camillas Kloster stand. Weil Giulio Cesare von Varano und seine Söhne dem Angreifer Widerstand leisteten, ließ der Herzog von Varano seinen jüngsten Sohn und die Frauen nach Venedig in Sicherheit bringen. Auch Sr. Camilla Battista mußte fliehen, zuerst nach Fermo und danach nach Atri, ins Königreich von Neapel, wo sie sich sicher fühlen konnte.
Cesare Borgia ließ Giulio Cesare Varano gefangennehmen und danach umbringen. Ähnlich erging es den Brüdern der Heiligen, Annibale, Pirro und Venanzio. Menschlich zutiefst verletzt, fand die Heilige nunmehr Zuflucht im Herzen ihres Bräutigams Jesus. Sie betete für die Mörder ihres Vaters und ihrer Brüder.
Als die Kämpfe vorüber waren, wurde die Herrschaft der Varanos durch den jüngsten Sohn Giulio Cesares, Giovanni Maria, wiederhergestellt, was allerdings nicht ohne Rache an den Feinden geschah. Nun kehrte auch Camilla in ihre Heimat nach Camerino zurück, wo sie als Äbtissin bzw. als Vikarin der Äbtissin waltete. In diesen Jahren schritt sie auf dem Weg der Vollkommenheit voran und die Schwestern liebten ihre Mutter und geistliche Schwester sehr. Ähnlich wie Jesus in seiner Passion erfuhr aber auch Camilla die Verlassenheit des Herrn.
Von ihren Mitschwestern und der Bevölkerung sehr geliebt, starb die Heilige an den Folgen der Pest am 31. Mai 1524 in ihrem Kloster. Sie wurde im Palast des Väterlichen Hofes von Camerino beigesetzt.
Papst Gregor XVI anerkannte den Kult und gab ihr den Titel einer Seligen. Das war am 7. April 1843. Papst Benedikt hat sie am 17. Oktober 2010 in den Kanon der Heiligen eingeschrieben.
Anläßlich ihrer Heiligsprechung sagte Papst Benedikt XVI.: „Das Leben der hl. Battista, das völlig in die Tiefen Gottes eingetaucht war, war ein ständiger Aufstieg im Leben der Vollkommenheit, mit einer heldenhaften Liebe zu Gott und zum Nächsten. Sie war von großen Leiden und mystischen Tröstungen gezeichnet; sie hatte nämlich beschlossen, wie sie selbst schreibt, ,in das Heiligste Herz Jesu einzutreten und im Ozean seiner bittersten Leiden zu ertrinken’.
In einer Zeit, in der die Kirche von einem Verfall der Sitten gezeichnet war, schlug sie entschlossen den Weg der Buße und des Gebets ein, beseelt von dem glühenden Wunsch nach der Erneuerung des mystischen Leibes Christi.“
P. Gottfried Egger OFM wirkt im Franziskaner-Kommissariat des Hl. Landes für die Schweiz.