Vergeben - wie schwierig ist das, aber auch wie befreiend! Weil der Aufruf zur Vergebung im Zentrum der Botschaft Christi steht, ist es so wichtig, sich immer wieder dieser Herausforderung zu stellen...
Je öfter ich die Bergpredigt (Mt 5,1-7,29) lese und über sie nachdenke, desto klarer wird mir, welche Revolution die Worte Jesu für die Menschen gewesen sein müssen: Wenn Er von denen spricht, die selig sind, wenn sie arm vor Gott und barmherzig sind oder Frieden stiften. Oder wenn Jesus zur Versöhnung und Feindesliebe auffordert: “...geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe." Jesus trifft jedesmal den Kern des Problems der Vergebung, der Versöhnung, wohl wissend, wie schwer sie uns oft fällt.
Auch wenn wir ehrlich versuchen, so gut es uns möglich ist, in der Nachfolge Jesu zu leben - diese elementaren Wahrheiten in unserem Leben zu verwirklichen, ist schwer: zu vergeben, nicht zu verurteilen, also den Nächsten zu lieben. Aus eigener, leidvoller Erfahrung weiß ich, wie sehr die Worte im Vaterunser “... wie auch wir vergeben unseren Schuldnern", wunde Punkte in mir berühren.
Wie oft mußte ich mir schon eingestehen, daß es mir aus eigener Kraft unmöglich ist, tief verwurzelten Groll, Abneigung oder auch nur Vorbehalte loszuwerden. Jesus sagt aber: “Wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben. Wenn ihr den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben" (Mt 6,14); und: “Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!" (Mt 7,12).
Zu seinen Jüngern spricht Jesus: “Dies trage ich euch auf: Liebt einander!" (Joh 15,17) und dem Gesetzeslehrer, der ihn mit der Frage nach dem wichtigsten Gebot aufs Glatteis führen wollte, antwortet er: “Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" (Mt 22,37). Ich begreife nur zu gut, wenn es am Schluß der Bergpredigt heißt: “Als Jesus diese Rede beendet hatte, war die Menge sehr betroffen von seiner Lehre."
An unzähligen Stellen finden wir im Evangelium Hinweise darauf, daß unser Versöhntsein mit Gott, die Vergebung, die uns von Ihm zuteil wird, verknüpft sind mit der Vergebung gegenüber dem Nächsten, besonders dem, der uns verletzt hat. Und auch wir brauchen von unseren Nächsten die Vergebung, denn oft genug sind wir nicht nur Opfer, sondern auch Täter. Gottesliebe, Nächstenliebe, Vergebung, Versöhnung - alles Begriffe, die nicht von einander zu trennen sind.
Bei Exerzitien zum Thema Vergebung wurde mir all das durch das Wort Gottes bewußt gemacht. Ich wußte zwar, daß es darauf ankommt, daß ich vergeben “will", aber ich wußte aus meinem Leben auch, daß ich kaum Erleichterung, kaum Befreiung von Groll durch diesen allein aus dem Verstand kommenden Willensakt erfuhr. Denn tatsächlich geht es um die tiefen Bereiche in uns, die man mit von Herzen vergeben beschreiben könnte. Und gerade das ist schwer.
Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: es geht hier nicht um Gefühle. Worum aber geht es dann? Darum, sich die vielen seelischen Verwundungen bewußt zu machen, die wir im Laufe unseres Lebens (sogar schon im Mutterleib) erfahren haben.
Ebenso wichtig ist die ehrliche Auseinandersetzung mit den unseligen Erbschaften unserer Vorfahren, von denen wir Lasten mitbekommen haben, die sich bei uns häufig als Gewohnheitssünden zeigen: Stolz, Zorn, Neid, Habsucht, Unreinheit, Trägheit, aber auch Ängste, Minderwertigkeitsgefühle oder Mißtrauen. All das quält uns und wir können die Ursachen dafür oft nicht ergründen. Vergebung bezieht sich also auch auf das “Familienerbe", das wir alle mitbekommen, etwa Fehlhaltungen der Eltern, die sie unbewußt weitergegeben haben.
Daß es sich um ein Erbe handelt, soll keine Entschuldigung für eigene Fehlhaltungen oder Verfehlungen sein. Denn Gott hat uns Verstand, freien Willen und Einsicht gegeben, damit wir nicht nur von den Umständen und unseren Anlagen Getriebene sind.
Es ist wichtig, zur Erkenntnis zu gelangen, daß unsere Vorfahren unsere Vergebung genauso brauchen wie wir selber. Deshalb sollen wir sie ihnen schenken. Gerade dann, wenn eine persönliche Versöhnung nicht mehr möglich ist, ist unsere fürbittende, stellvertretende Versöhnung wichtig.
In der Vergebung legt uns Gott nicht nur eine Pflicht auf, sondern Er will uns damit das Heil, unsere wahre Freiheit, die Gesundung unserer Seele schenken. Deswegen setzte Jesus als große Hilfe das Bußsakrament ein, damit wir die Trennung von Gott (Sünde ist Sonderung) überwinden, innere Heilung erfahren und Befreiung erleben.
Aber wem geht es nicht auch so, daß er immer wieder dieselben Sünden zur Beichte trägt, einfach nicht über Fehlverhalten hinwegkommt? Auch hier stoßen wir auf tief in uns verwurzelte innere Verletzungen. Viele gehen damit zu Therapien, suchen dort ihr Heil, werden es aber nur selten finden - auch bei bestem Willen des Arztes. Viele landen bei esoterischen Praktiken, die sie immer weiter in die Irre führen.
Nicht bei Techniken, dem dauernden Graben in uns oder der Nabelschau liegt die Lösung, sondern im bewußten Vergeben. Im Gebet zeigt uns Gott, wo die Ursprünge der wunden Punkte sind, und Er zeigt uns, wo wir selbst der Vergebung bedürften und wer unsere Vergebung braucht, damit wir “Altlasten" loswerden. Wer sich auf Jesu Aufforderung zu vergeben einläßt, erkennt bald: Diese Worte sind wahrhaft eine göttliche Medizin.
Durch den Auftrag zu vergeben verbindet Gott uns gleichsam mit Seiner unendlich liebevollen Barmherzigkeit. Sie wurde offenbar, als Jesus selbst noch am Kreuz Seinen Peinigern vergab. Jesus, der am Kreuz Sein Blut vergossen und uns damit vom Tod durch die Sünde befreit hat, Er selbst möchte uns immer wieder durch Sein kostbares Blut befreien. Wir dürfen Ihn immer wieder um diese Reinigung bitten - für uns und für die Menschen, mit denen wir uns oft so schwer tun. Wieder hilft ein Blick in das Wort Gottes zum besseren Verständnis:
* “Ihr wißt, daß ihr aus eurer sinnlosen, von den Vätern ererbten Lebensweise nicht um einen vergänglichen Preis losgekauft wurdet, nicht um Silber oder Gold, sondern mit dem kostbaren Blut Christi, des Lammes ohne Fehl und Makel" (1 Petr 1,18).
* “Wieviel mehr wird das Blut Christi, der sich selbst kraft ewigen Geistes Gott als makelloses Opfer dargebracht hat, unser Gewissen von toten Werken reinigen, damit wir dem lebendigen Gott dienen" (Hebr 9, 14).
* “Wenn wir aber im Licht leben, wie er im Licht ist, haben wir Gemeinschaft miteinander, und das Blut seines Sohnes Jesus reinigt uns von aller Sünde" (1Joh 1,5 ff).
* “Ihn (Jesus Christus) hat Gott dazu bestimmt, Sühne zu leisten mit seinem Blut, Sühne, wirksam durch Glauben." (Röm 3,25).
Vergebung hat heilende Wirkung: für uns, wenn wir Vergebung dafür, was wir Gott schuldig geblieben sind, empfangen; aber auch für diejenigen, denen wir vergeben, was sie uns schuldig geblieben sind (auch unsere Vorfahren!) und für deren Sündenvergebung vor Gott wir bitten.
Dennoch liegt es immer in Gottes Hand, ob der Mensch schon im irdischen Leben Heilung erfährt. Manchmal können Gottes Pläne andere sein, als wir es wünschen. Dann ist es gut zu wissen, daß Heilung sich eben nicht erzwingen läßt. Dann mag die Antwort, die Gott dem Paulus auf dessen Flehen gab, ein Trost sein: “Meine Gnade genügt dir; denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit."
Vergebung ganz konkret: drei wichtige Schritte dazu:
1. Schritt:
Stellen Sie sich Jesus vor und die Person, der Sie vergeben wollen: Sie steht neben Jesus. Versuchen Sie, so konkret wie möglich zu sein und sprechen Sie (womöglich laut, nicht nur in Gedanken) etwa folgende Worte:
“Ich vergebe Dir, was Du mir damals angetan hast, Deine Lieblosigkeit, den Schaden, den Du an mir verursacht hast, wie Du mich verletzt hast. Ich kann seither nur mit Angst und Abneigung an Dich denken, sogar mit Haß, der mich quält und die Dinge nur noch schlechter macht. Dein Verhalten hatte furchtbare Folgen in meinem Leben (Sprechen Sie diese Folgen aus!), verursachte mir Zweifel an Gott, ließ mich an den Menschen verzweifeln ...
Jetzt aber vergebe ich Dir im Namen Jesu Christi alles, was Du mir angetan hast. Ich bitte auch Dich um Vergebung für meine Fehlhaltungen und falschen Taten Dir gegenüber."
2. Schritt:
Stellen Sie sich jetzt vor, daß Ihr Gegenüber das tut, was Sie sich im Herzen immer gewünscht haben: Er (sie) bittet Sie um Verzeihung. Sprechen Sie auch das laut aus, wonach Sie sich immer gesehnt haben, daß es zu Ihnen gesagt würde:
“Liebe(r) NN, wegen meines verkehrten Verhaltens, meiner schlechten Eigenschaften (bedenken Sie, was die Ursache für das Fehlverhalten gewesen sein könnte) habe ich mich so schlecht verhalten, habe ich in Deinem Leben viel Schaden gestiftet. Es tut mir aufrichtig leid, ich bitte Dich im Namen Jesu um Vergebung. Bitte verzeihe mir. (Aber auch ich will Dir verzeihen, was Du mir gegenüber falsch gemacht hast) .
3. Schritt:
Beten Sie nun zu Jesus: “Herr Jesus, wasche mich und mein Gegenüber mit Deinem kostbaren Blut, reinige uns und setze uns frei. Danke Jesus, Lob und Preis sei Dir, Jesus!"
Stellen Sie sich vor, daß all das tatsächlich geschieht, bitten Sie den Heiligen Geist um den Glauben daran! Denken Sie daran, was Jesus zum Hauptmann gesagt hat (Mt 8,5-13), als er dessen Diener heilte: “Dir geschehe, wie du geglaubt hast."
Wenn ihn jemand um Heilung bat, war Glaube stets das einzige, was Jesus verlangte.
Sie sollten diese drei Schritte mehrmals wiederholen. Das Blut Jesu wird seine befreiende Kraft zeigen. Sie müssen dies wirklich im Glauben tun. Denken Sie an Lk 11,10 ff: “Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet.(...) Wenn nun schon ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, wieviel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn bitten." Aber auch an Jak 1,6f: “Wer bittet, soll aber voll Glauben bitten und nicht zweifeln; denn wer zweifelt, ist wie eine Welle, die vom Wind im Meer hin und her getrieben wird. Ein solcher Mensch bilde sich nicht ein, daß er vom Herrn etwas erhalten wird."
Um Heilung für die Vorfahren kann man etwa, wie folgt, beten: “Herr Jesus, ich bringe vor Dich meine Vorfahren und ihre Sünden. Sie starben mit denselben Problemen, die ich habe, und sie brauchen mein Gebet. Ich nehme stellvertretend ihre Sünden und gebe sie Dir, Jesus! Ich bitte um Verzeihung für sie. Jesus, wasche uns alle rein mit Deinem kostbaren Blut und setze uns frei! Danke Jesus! Preis sei Dir, Jesus!"
In der Pfarre St. Josef (Reinlgasse 25, 1140 Wien, Tel.: 01 982 42 10) gibt es einmal im Monat von P. Bruno Meusburger gestaltete Gottesdienste, die auf diese Vergebungsschritte ausgerichtet sind.