Friede - ein Wort, das bei allen Menschen positive Assoziationen weckt. Wer will nicht im Frieden leben? Offensichtlich ist das eine Grundsehnsucht, die in unserer Zeit allerdings sehr gefährdet wirkt.
Es genügt zu lesen, was US-Präsident George Bush anlässlich seiner State of the Union-Botschaft vor dem amerikanischen Kongreß im Jänner gesagt hat, um den Ernst der Lage zu ermessen:
"Unser Krieg gegen den Terror hat gut begonnen, aber das ist nur der Anfang. ( ... ) Staaten wie diese (Irak, Iran, Nordkorea) und die mit ihnen verbündeten Terroristen stellen eine Achse des Bösen dar, sie rüsten auf, um den Frieden in der Welt zu bedrohen. ... Alle Nationen sollten wissen: Amerika wird alles Notwendige tun, um die Sicherheit der Nation zu gewährleisten. ( ... ) Die Geschichte hat Amerika und unsere Verbündeten dazu berufen zu handeln. ( ... ) Wenn auch der Preis für Freiheit und Sicherheit hoch ist, so ist er niemals zu hoch. Was immer es an Kosten bringt, unser Land zu verteidigen, wir werden dafür aufkommen. ( ... ) Wir haben die großartige Gelegenheit, die Welt in diesen Kriegszeiten zu Werten zu führen, die einen bleibenden Frieden bringen werden. God bless!"
Die USA leben also im Krieg, sie rüsten massiv gegen die „Achse des Bösen" auf, wollen bleibenden Frieden stiften – und Gott steht auf ihrer Seite. Erinnert das nicht fatal an manche Aussagen, die vor den Weltkriegen zu hören waren? An die Konstellation, die den Kalten Krieg geprägt hat? Auch da war klar, wo Gut und Böse zu Hause waren.
Als dann der Eiserne Vorhang fiel, die Sowjetunion sich auflöste – was für ein Aufatmen! Vorbei die Zeit der Angst vor dem Atomkrieg, endlich werde eine Zeit des Friedens anbrechen, meinten viele. Kaum zehn Jahre später, am Beginn des dritten Jahrtausends stehen wir vor dem Scherbenhaufen dieser Hoffnungen. Weltweit gibt es Brandherde: Anschläge und Vergeltung im Heiligen Land, Terrorkrieg, verheerende Kämpfe im Herzen Afrikas, in Tschetschenien, Hochspannung zwischen Pakistan und Indien...
Ist das nicht zum Verzweifeln? Hat die Welt nichts aus den Erfahrungen des blutigsten aller Jahrhunderte, des 20., gelernt? Und dabei sehnen sich doch fast alle Menschen nach Frieden. Woher dieser Widerspruch?
Der von Menschen allein, gemachte Friede ist doppelgesichtig: Sobald die Waffen schweigen und der normale Alltag einzieht, bleiben die Menschen vor dem unsäglichen Leid, das Kriegszeiten und bewaffnete Konflikte kennzeichnet, bewahrt. Die Waffen ruhen zu lassen, stellt fraglos einen hohen Wert dar. Auf Dauer muss für die Friedenssicherung aber mehr geschehen.
Die westlichen Gesellschaften haben Bemühungen auf diesem Sektor vernachlässigt und sich mit einer oberflächlichen Harmonie begnügt, wo jeder seine eigenen Ziele verfolgt, auf seine Façon selig zu werden hat, ohne sich viel um andere zu kümmern. Alle gemeinsam lassen wir uns vor den Karren des wirtschaftlichen Fortschritts spannen, um möglichst viel vom wachsenden Kuchen abzubekommen.
In Wahlkämpfen wird die Stoßrichtung guterkennbar: mehr Einkommen, bessere Gesundheitsversorgung, mehr Arbeitsplätze, mehr Kinderbeihilfe, mehr Krabbelstuben werden verheißen. Für jeden etwas. Kultiviere deine Bedürfnisse, konsumiere, lass es Dir gut gehen, dann trägst Du zum allgemeinen Wohlstand bei!
In dieser Kultur der Maßlosigkeit und dauernder Grenzüberschreitungen stellt sich kein echter Friede ein, eher ein Ruhezustand, der so lange währt, als es den meisten gut geht. Er wiegt uns in einer falschen Sicherheit und verdeckt die Aggressivität, die vom grenzenlosen Anspruchsdenken genährt wird. Wer aber näher hinsieht, erkennt: Abtreibungen, das Töten Alter und Schwerkranker, das Experimentieren mit ungeborenen Kindern in den ersten Lebensstadien – all das deckt auf, welche Gewaltbereitschaft und Brutalität unter der Decke dieses Scheinfriedens verborgen wird.
Wer näher hinsieht, erkennt: In unseren westlichen Gesellschaften leben wir längst nicht mehr im Frieden. Die weithin geförderte Maßlosigkeit, der Kult der Stärke und des Siegens, das Forcieren von Konkurrenz, wohin man schaut, ist alles, nur kein Friedensrezept. Die jüngste Geschichte Ex-Jugoslawien hat gezeigt, wie mörderisch aggressiv der entwurzelte moderne Menschen plötzlich werden kann.
Wir müssen uns ernsthaft fragen: Kann eine Gesellschaft, die das Leben als Wettlauf um materiellen Wohlstand begreift, auf Dauer den Frieden bewahren? Erzeugt sie nicht zwangsläufig einsame Kämpfer? Wie aber soll Friede wachsen, wenn sich der einzelne alleingelassen fühlt und meint, außer ihm selbst sorge niemand für ihn? Wer auf sich selbst zurückgeworfen ist, wird anfällig für Aggressivität.
Die einzig tragfähige Antwort auf diese Not finden wir in der Botschaft Christi. Sie lautet: Lass ab von der ängstlichen Sorge um Dein Heil, denn Er, Dein Gott, wird für Dich sorgen, besser als Du es je vermagst. Er, der alles durchschaut, alles in Händen hält und alles zum Guten zu wenden vermag, Er steht Dir zur Seite. Sorge Dich nicht, lass Dir den Frieden, den Du ersehnst, schenken.
Friede ist dementsprechend eine zentrale Verheißung des Neuen Testaments, eines der Worte, das am häufigsten wiederkehrt. Wenn Jesus die Jünger ausschickt, trägt er ihnen auf, den Häusern, in die sie einkehren, den Frieden zu wünschen. "Friede sei mit euch", sind auch die ersten Worte, die der Auferstandene Seinen Jüngern sagt. Mit dem Zuspruch: "Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus", beginnen und enden die Apostelbriefe.
Welche Merkmale dieser Frieden hat? Zunächst einmal ist er nicht zu verwechseln mit dem faulen Scheinfrieden, von dem die Rede war: "Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch, nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch." (Joh 14,27) Er wurzelt vielmehr in Gott. Daher ergeht die Einladung, sich richtiggehend in Gott zu bergen: "Dies habe ich zu euch gesagt, damit ihr in mir Frieden habt..." (Joh 16,33)
Wo das erfahren wird, sind allerdings keineswegs alle Spannungen, in die wir gestellt sind, beseitigt. Im Gegenteil, sie kommen sogar deutlich zum Ausdruck: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter" (Mt 10,34f). Kein Zustand der Harmonie mit der Umwelt also. Ja, es regt sich Widerstand, wo die Doppelbödigkeit des Scheinfriedens der Welt aufgedeckt wird: „In der Welt seid ihr in Bedrängnis. Aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt." (Joh 16,3 3)
Der Friede Christi ist also ein spannungsgeladener Zustand und kein Ruhekissen. Er wird nur erfahren, wo sich jemand mit seinem ganzen Wesen nach Gott ausstreckt. "Schaffe zuerst Frieden in dir, dann kannst du andere zum Frieden führen", ist dementsprechend der Ratschlag im Klassiker „Die Nachfolge Christi".
Ja, das ist der springende Punkt: Es geht um den Frieden in uns, der Tun und Denken unabhängig von äußeren Konstellationen macht.
Wie schweres ist, zu dieser Haltung zu finden, habe ich bei der Arbeit an dieser Nummer besonders gespürt: Wie oft kam uns gerade diesmal der Frieden abhanden! Es ist eben relativ leicht, schöne, aufbauende Worte über den Frieden zu finden. In ihm aber zu verharren, auch wenn vieles dagegen wirkt - das ist die eigentliche Herausforderung. Es erfordert die fortgesetzte Erneuerung des Glaubens, dass Gott es in jedem Moment meines Lebens gut mit mir meint - auch wenn ich es derzeit nicht erkenne; dass alles, was mir zustößt, in Seinen Händen zum Heil wird, wenn ich Um nur wirken lasse; dass ich mir den Luxus leisten kann, nicht meine Vorstellungen - seien sie noch so einleuchtend - durchzusetzen.
Diesen Frieden kann keiner selbst machen. Ihn kann man sich nur schenken lassen, denn dieser Friede ist der Herr selbst: "Er ist unser Friede", schreibt der Apostel Paulus (Eph 2,14) "und der Gott des Friedens wird mit euch sein" (Phil 4,9). In diesen zunehmend bedrohlichen, hektischen Zeiten werden nur jene im Frieden leben, die sich mehr und mehr in Jesus Christus verankern.