VISION 20001/2002
« zum Inhalt Zeugnis

“Ich begann jeden Tag mit den Worten: Mit Dir und für die Brüder!

Artikel drucken Als bekennender Christ 13 Jahre im tschechoslowakischen Gulag (Von Sylvester Krcméry)

Silvester Krcméry - ein großer Glaubenszeuge unserer Tage

Letzten November haben wir ihn nach vielen Jahren wiedergesehen, den Dr. Silvester Krcméry, welche Freude! Er ist zwar sichtbar älter (als auf dem Bild) geworden, gebeugt, aber sein Gesicht strahlt wie eh und je eine ungewöhnliche Güte aus. Unfaßbar, wenn man an seine Geschichte in den Gulags der Tschechoslowakei denkt - und doch wohl gerade wegen dieser an der Hand Gottes bestandenen Prüfungen dieser Zeit.

Er sei seinen Peinigern von damals dankbar, sagt er im Gespräch, und er möchte die 13 Jahre in den Gefängnissen und Arbeitslagern seiner Heimat nicht missen. Sie seien Zentren der Evangelisation gewesen, weitaus fruchtbarer als vieles, was katholische Aktivität im Umfeld der Freiheit zustandebringen mag.

Dieser Mann ist einer der großen Glaubenszeugen unserer Tage und er war einer der ersten, den wir in VISION 2000 portraitiert haben. Als junger Arzt wurde er 1951 wegen seiner Aktivitäten für die Katholische Aktion verhaftet. Als er 1964 endlich entlassen wird, setzt er nach kürzester Zeit seine missionarische Tätigkeit fort und wird einer der Mitbegründer der slowakischen Familienbewegung, die im Untergrund eine ganz erstaunliche Evangelisiationstätigkeit entfaltet und die zweifellos entscheidend zum unblutigen Sturz des kommunistischen Regimes beigetragen hat.

Im folgenden bringen wir Auszüge aus seinem Buch “This Saved Us - How to Survive Brainwashing". (“Das hat uns gerettet - Wie man Gehirnwäsche überleben kann") Darin berichtet Krcméry über seine Erfahrungen und legt ein bewegendes Zeugnis dafür ab, daß Gott die Seinen nicht verläßt, sondern wunderbar behütet - auch wenn Er ihnen so manches Leid zumutet.

Eigentlich spürte ich nichts

Ich verweigerte die Unterschrift unter das “Geständnis". Möglicherweise war der Beamte, der mich verhörte, betrunken oder mit Drogen vollgestopft, denn er geriet sofort außer Rand und Band. Möglicherweise reichten sonst ein paar Ohrfeigen, um die Leute dazu zu bringen, alles zu unterschreiben. Und offensichtlich war ihm eine solche Ablehnung noch nie untergekommen.

So begann er, mich zu würgen, mit Fäusten zu schlagen und meinen Kopf gegen die Wand zu knallen. Jede Art von Gewaltanwendung schien zulässig, bis ich endlich zu Boden fiel. “Sie sind also unschuldig, was! Haben nichts angestellt, stimmt's? OK. Also schreib' und unterschreib' folgendes: Ich leugne alles ab, was ich getan habe - und werde weiterhin leugnen." Ein aus juristischer Sicht unsinniger und lächerlicher Satz.

Zu guter Letzt aber unterschrieb ich ihn. Später hat es mir leid getan. Ich denke nämlich, daß ich solche Lügen und Hirngespinste grundsätzlich hätte ablehnen müssen. Bei uns heißt es: Wenn du dem Teufel den Finger reichst, greift er nach der ganzen Hand. Der kleinste Kompromiß kann die grausamsten Folgen haben und sehr leicht den Weg für weitere schwererwiegende Konzessionen ebnen.

Als sie mich in die Zelle zurückbrachten, war ich blutüberströmt. Daher verlegten sie sofort meinen Mithäftling. Sie taten es zweifellos, damit es keine Zeugen gebe. Als sie jedoch später entdeckten, daß dieser Mann psychisch vollkommen gebrochen war und mich sehr belastete, brachten sie ihn wieder zurück.

Obwohl dies meine erste Erfahrung mit diesem Maß an körperlicher Mißhandlung war, spürte ich eigentlich gar nichts. Vielleicht stand ich so unter Schock, daß mir die Schmerzen nicht bewußt wurden. Ich empfand dies als eine wertvolle Erprobung durch Gott. Stundenlang wiederholte ich: “Herr, Du enttäuschst uns nie. Du versprachst, immer bei uns zu sein, uns nie zu verlassen. Was kann ich Dir da überhaupt als Opfer bringen? Ich habe keine Schmerzen. Ich kann Dir beim besten Willen nichts aufopfern."

Wenn der Körper kollabiert

Die Befragungsmühle lief Tag und Nacht, Tag und Nacht. Im Rückblick meine ich, einmal 50 Stunden hindurch gestanden zu sein, während sich die Untersuchungsbeamten nach drei bis sechs Stunden ablösten. Ein dunkelhäutiger Leutnant namens Medik, erlaubte mir ab und zu, in meine Zelle zurückzukehren. Einmal schickte er mich zurück, nachdem meine Füße schon längst angeschwollen waren. Ich zitterte ganz arg und hatte Muskelfieber. Zuletzt gelang es ihnen nicht mehr, mich zu wecken. Ich schlief oder hatte das Bewußtsein verloren. Und wieder begannen sie, mich zu schlagen.

Dann war da ein dunkler Beamter mit einen kleinen Schnurrbart, vielleicht ebenfalls ein Leutnant. ... Er zwang mich, mich hinzukauern, also lange Zeit in einer gebückten Stellung zu verharren. Oder eine “Vorhang"-Stellung einzunehmen, das heißt, mich schräg gegen die Wand zu lehnen und nur mit den Fingerspitzen abzustützen. Ich hätte mir nie vorgestellt, daß man so viel Schmerzen aushalten könne.

Dann überlegte ich, welche psychologischen Phasen jemand in solchen extremen Erfahrungen von Schmerz und Leiden durchlebt, bevor er die Grenzen seines Durchhaltevermögens erreicht. Ich entdeckte eine erste Phase, in der sich jemand noch verteidigt und versucht, einen Moment noch durchzuhalten, und noch einen. Schon ist es fast unerträglich, aber man mobilisiert ausreichend viel innere Kraft , um noch eine Minute auszuharren - oder eine halbe, koste es, was es wolle.

Dann kommt eine zweite Phase, wenn man so erschöpft ist, daß es einem egal wird. Der Körper hört auf, sich zu schützen, gibt auf, bricht zusammen, verliert das Bewußtsein.

Dann geben viele auf, auch jene, die lange Zeit hindurch tapfer Widerstand geleistet haben. Nun aber ist es ihnen egal, ob sie etwas sagen oder nicht. Sie können die Dinge nicht mehr auseinanderhalten. Bei anderen hingegen kann diese Phase die beste sein. Wenn jemand entdeckt, daß ohnehin alles gleichgültig ist, warum sollte er dann etwas sagen oder unterschreiben?

Und genau das, war für mich die beste Motivation: Ich blieb stumm und bewahrte so andere vor ähnlichem Leiden. Ich war ohnedies schon so zerstört, daß nichts mehr noch folgenschwerer hätte sein können.

Und dann gibt es eine dritte Phase des Leidens, der Moment des totalen Zusammenbruchs, wenn der Körper kollabiert, das Bewußtsein verloren geht, manchmal der Tod eintritt. Dann endet das Leiden.

Von da an fiel die Angst weg

Als ich endgültig jede Äußerung zu verweigern begann, hatte ich mich mit meinem Tod abgefunden. Ich dachte nicht mehr daran, daß ich einmal freikommen könnte, umso mehr als man mir immer wieder mit der Todesstrafe, mit dem Strick drohte. ... Daraufhin lebte ich dauernd in der gespannten Erwartung, wie sie es anstellen würden, mein ausdauerndes Stillschweigen zu brechen. Ich wartete mit zusammengebissenen Zähnen auf das, was kommen würde und fragte mich, ob ich standhalten könne. Andererseits war ich irgendwie neugierig, nahm ich doch an, daß andere vor mir einen ebenso drastischen Schritt getan haben mußten. Ich fühlte eine gewisse Verpflichtung - von Gott auf die Probe gestellt -, herauszufinden, was Leuten zustieß, die von Anfang an tapfer jede Antwort verweigert hatten. Was hätte man ihnen antun können?

So merkwürdig es scheinen mag: Ich entdeckte, daß der Gefangene in solchen Situationen viel klarer denkt. Anscheinend ist das durch seine Isolation verursacht. Es fallen dann die Außenreize weg. Man ist gezwungen, sich für lange Zeitabschnitte auf sich selbst zu konzentrieren. Dann fällt einem das Denken ungewöhnlich leicht. Es entsteht so etwas wie Überschwang, ich möchte fast sagen wie Freude. Der Grund dafür könnte das Wegfallen der Angst sein, wenn der Gefangene endlich der sicheren Verurteilung zum Tod ins Auge schaut und sie akzeptiert. Er kann aber auch einen spirituellen Zugang dazu finden: Er kann die Unterernährung in Fasten verwandeln und er kann die Härten und all die Leiden als Gelegenheiten der Läuterung ansehen. ...

Eines ist wirklich faszinierend. Von dem Moment an, da ich sie restlos verstieß, spürte ich, daß sie mich nicht mehr zu treffen vermochten. Einige beschränkten sich darauf, mich drohend anzuschauen, wenn sie mich dabei ertappten, ein Wort zu sagen. Andere schlugen auf mich los, packten mich an der Gurgel oder am Kragen. Anscheinend hatte die Erfahrung sie gelehrt: Sobald ein Gefangener sich festgelegt hatte und eine solch verzweifelte Entschlossenheit an den Tag legte, schafften sie es nicht, seine Meinung zu ändern. Man konnte ihn umbringen, das war alles.

Ein Monat, nachdem ich den Kontakt zu ihnen abgebrochen hatte und nicht einmal bereit war, meinen Namen zu nennen, bekam ich mehr und bessere Nahrung...

Und Gottvertrauen bewährt sich

Interessanterweise lehrte mich meine Erfahrung: Je wilder, närrischer, scheinbar unvernünftig und hoffnungslos der Schritt war, den ich, ohne nur irgendwie an die Zukunft zu denken, sondern allein im Vertrauen auf Gott setzte, umso besser waren die Folgen.

Und in letzter Konsequenz erwies es sich auch für mich als vorteilhaft. Ich war Gott näher, auch wenn der Teufel nicht aufhörte, mich zu plagen: “Du wirst nicht durchhalten, weißt Du - und was dann?"

Als ich begriff, daß ihr Ziel die Zerstörung der Kirche war und daß für sie weder die Wahrheit, noch das menschliche Leben irgendwie zählten, sagte ich mir: Am besten ist es, wenn ich genau das Gegenteil von dem tue, was sie von mir wollten.

So war also mein grundsätzlicher Zugang: Wenn die “Kameraden" - vor allem während der Vernehmungen - wollten, daß ich redete, dann würde ich schweigen. Nachdem ich es einmal probiert hatte, merkte ich, daß es sehr gut funktionierte. Und so tat ich es weiter. Ich empfahl die Taktik auch Brüdern von anderen Gefängnissen und sie waren sehr von ihr angetan.

Im Gegensatz dazu: Wenn sie wollten, daß ich schwieg - etwa vor Gericht, wo sie vorführen wollten, daß das Verfahren fair und gerecht war -, dann würde ich Vorträge halten. Ich sagte laut all das, was sie absolut nicht hören wollten. In diesem Sinn hielt ich auch meine Verteidigungsrede, das Schlußplädoyer in meinem Prozeß.

Täglich die Heilige Messe im Geist

Im Gefängnis begann ich jeden Morgen mein Tagesprogramm mit den Worten: “Mit Dir und für meine Brüder."

Für die Brüder überlebte und opferte ich den Tag, wobei ich damit anfing, in der Früh die Zelle zu säubern, dann Turnübungen zu machen, mich zu waschen und mit den ersten Meditationsübungen zu beginnen. Ich schloß sie insbesondere ein, wenn ich nach dem Frühstück die Heilige Messe nachsprach. Ich hatte sie auf Latein, Slowakisch und Russisch auswendig gelernt. ...

Meist konnte ich mich eine oder zwei Stunden lang auf die Heilige Messe konzentrieren. Meine ersten Meditationen, Zeiten der intensiven Hingebung, fanden immer vor der Messe statt. Manchmal bemühte ich mich offensichtlich zu beten. Dann stand ich etwa mit gefalteten Händen beim Fenster. Es gab viele Gründe, so zu handeln. Es half mir, Entsagung zu üben, meine Konzentration zu erhalten und nicht etwa einzudösen, und außerdem war es eine wirksame Mutprobe.

Manche Wachen und Untersuchungsbeamte reagierten ziemlich heftig und barsch auf mein Beten. Ein Beamter in Kosice geriet in Zorn, verbot mir weiterzumachen und drohte mir disziplinäre und Strafmaßnahmen an. Das hat mich allerdings nicht allzu sehr irritiert, war es doch nicht das erste Mal, daß er die Fassung verlor oder vorgab, sie zu verlieren. ...

Das Magnificat, Marias Loblied, “Meine Seele preist die Größe des Herrn", das “wir" oder ich voll Begeisterung nach der geistigen Kommunion sang - manchmal laut, wenn man es mir erlaubte -, war für mich stets eine erstaunliche Kraftquelle während meiner Gefangenschaft. “Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungrigen beschenkt er mit seinen Gaben und läßt die Reichen leer ausgehen." Und: “Der Mächtige hat Großes an mir getan..."

Das Evangelium auswendig gelernt

Den größten Nutzen aus meinem täglichen spirituellen Programm zog ich während der langen Perioden der Einzelhaft. Das galt besonders für Ruzyn, wo ich von Jänner bis Juli 1952 und dann von März bis Juli 1953 und dann mehrmals für ein oder zwei Monate - insgesamt waren es 14 - in Isolierhaft war. Alles in allem habe ich während der 13 Jahre im Gefängnis, rund sieben Jahre in Isolierhaft oder in einer sonstigen Form von Abgeschlossenheit verbracht.

In all diesen Perioden hat sich mein tägliches spirituelles Programm auf mindestens vier Wochen erstreckt - ein- oder zweimal auf sechs. ...

Im Zentrum meiner Meditation und meines spirituellen Lebens standen die Texte aus dem Neuen Testament, die ich auswendig gelernt hatte. Vor meiner Verhaftung hat ich den Großteil des Johannes-Evangeliums (die russische Fassung in der orthodoxen Übersetzung) auswendig gelernt. Ergänzt hatte ich es während der Untersuchungshaft in Brno. Im November 1952 habe ich im Gefängnis von Bratislava elf Kapitel von Matthäus, die Lutherübersetzung in altem Tschechisch, gelernt. Ich meditierte auch die Apostel-Briefe, von denen ich einige auswendig konnte. Meine besondere Liebe galt dem 1. Korintherbrief über den mystischen Leib Christi ...

Texte des Neuen Testaments auswendig zu lernen, erwies sich als eine hervorragende Vorbereitung für schwierige Zeiten und Gefangenschaft. Die schönsten und wichtigsten Texte, die die Menschheit von Gott erhielt, bergen einen nicht in Geld aufzuwiegenden Schatz, “den Rost und Motte nicht zerstören und Diebe nicht stehlen können."

© 1999-2024 Vision2000 | Sitz: Hohe Wand-Straße 28/6, 2344 Maria Enzersdorf, Österreich | Mail: vision2000@aon.at | Tel: +43 (0) 1 586 94 11