VISION 20003/2002
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Der selige Josemaría Escrivá

Artikel drucken Botschaft an uns (Von Bischof Klaus Küng)

Zum ersten Mal lernte ich Josemaría Escrivá de Ballaguer 1961 in England kennen. Die Begegnung mit ihm ist mir heute noch in allen Details lebendig in Erinnerung. Er war eine großartige Persönlichkeit: optimistisch und herzlich. Mit einer gewinnenden Art und einem weiten Herzen verstand er es, oft in wenigen Minuten ungeahnte Perspektiven zu eröffnen. Und doch war er gleichzeitig sehr realitäts- und praxisbezogen.

Drei Jahre später - ich hatte inzwischen mein Medizinstudium in Wien abgeschlossen und erste Schritte im beruflichen Leben getan - begann ich mit meinem vierjährigen Studienaufenthalt in Rom. Dort hatte ich oft Gelegenheit, mit dem Gründer des Opus Dei beisammen zu sein.

Wir waren damals (Mitte der sechziger Jahre) etwa 200 junge Akademiker aus 30 verschiedenen Ländern, die an einer der kirchlichen Fakultäten Roms studierten, um uns für das Priesteramt oder eine spätere Lehrtätigkeit vorzubereiten. Das Samenkorn, das Gott am 2. Oktober 1928, dem Gründungstag des Opus Dei, dem seligen Josemaría ins Herz gelegt hat, war aufgegangen.

Ich erinnere mich an eine Gelegenheit, es war in der Karwoche 1967 oder 1968, als eine große Anzahl von Studenten aus der ganzen Welt nach Rom kam, um an einem Kongreß teilzunehmen. Es war auch eine Begegnung mit dem Gründer des Opus Dei vorgesehen. Das Bild war sehr bunt, denn unter den Studenten waren alle Hautfarben vertreten: neben blonden Germanen, etwas dunkleren Franzosen, Spaniern, Italienern, auch kaffeebraune Indios aus Südamerika, gelblich-braune Philippinos, Schwarzafrikaner ... Unter diesem Eindruck sagte der Gründer: “Wenn ich euch sehe, glaube ich zu träumen. Es ist Wirklichkeit geworden ...".

Er bezog sich auf die Gründung des Opus Dei. Damals befand er sich als junger Priester - er war 26 Jahre alt und seit drei Jahren geweiht - zusammen mit einigen anderen auf Exerzitien. In einer der Pausen zwischen den Vorträgen - er war dabei, seine geistlichen Aufzeichnungen der vergangenen Monate und Jahre zu ordnen - überkam es ihn wie ein gewaltiges Licht. Er “sah" - er verwendete diesen Ausdruck, wenn er davon sprach - Menschen aus allen Berufen und sozialen Schichten, aus allen Völkern und Rassen, die Christus nachfolgten, ohne die Welt zu verlassen.

Schon länger vorher, seit seiner Entscheidung, Priester zu werden, hatte er manche Vorahnungen, daß Gott von ihm etwas Besonderes erwartete. Oft hatte er um Klarheit gebetet, sich die Bitte des blinden Bettlers Bartimäus zu eigen gemacht: “Herr, ich möchte sehen". Er war auch durch viele darauf vorbereitet worden, und doch kam jene Klarheit des 2. Oktober 1928, die er immer als etwas Übernatürliches, etwas direkt von Gott Kommendes betrachtete, plötzlich und unvermittelt, sodaß er nur mehr niederknien und Gott von ganzem Herzen danken konnte.

Nach den Exerzitien begann er sofort mit der Verwirklichung. Es war nicht einfach. Er hatte kein Geld, mußte für seine Familie (die Mutter und zwei Geschwister) sorgen. Diese war ursprünglich angesehen und wohlhabend gewesen, aber der Vater, ein redlicher Unternehmer, hatte durch eine Bürgschaft das gesamte Vermögen verloren.

Als er zu allem Unglück unerwartet kurz vor der Diakonenweihe Josemarías starb, mußte dieser als Ältester die Familie durchbringen. Er gab Nachhilfeunterricht für Jus-Studenten, denn Josemaría hatte auf Wunsch seines Vaters neben Theologie auch Jus inskribiert.

Die prekäre finanzielle Situation wurde durch seine Übersiedlung nach Madrid noch verschärft. Dort fand Josemaría erst nach längerer Suche eine Stelle in einer Fürsorgestiftung, die sich um unheilbar Kranke und Arme in Elendsvierteln Madrids kümmerte. Dabei entwickelte er eine große Liebe zu den Armen, Kranken und Sterbenden. Zugleich setzte er seine Studien in Jus fort und gab einige Vorlesungen an einer Akademie, um zusätzlich etwas zu verdienen. Er hatte also keine Mittel, auch keine Beziehungen, aber “mächtige" Verbündete: die Kranken und Sterbenden, die er um ihr Gebet bat.

Bald sammelte er junge Menschen um sich, von denen er dachte, daß sie für den erkannten Weg in Frage kämen. Zunächst sträubte er sich gegen den Gedanken einer Neugründung und hoffte, etwas Bestehendes finden zu können, dem er sich und die Seinen anschließen konnte. Bald mußte er aber erkennen, daß es nichts gab, das dem entsprach, was er am 2. Oktober 1928 gesehen hatte, was den Grundgedanken, das Wesentliche in der Spiritualität des Opus Dei ausmacht. Noch aber fehlten die Konkretisierung und genauere Konturen.

In den folgenden Jahren wurden ihm Grundzüge der Spiritualität - meist verbunden mit schmerzhaften Prüfungen und Erfahrungen - klarer eingegeben: vor allem der Weg der Gotteskindschaft als Grundlage, und daß Christus, der von der Erde erhöht ist, die Menschen anzieht. Die hl. Messe als Mitte und Wurzel des christlichen Lebens, gerade auch einer Hingabe, die mitten in der Welt gelebt wird, war ihm von Anfang an klar gewesen. Er erlernte und lehrte den Weg des Gebets mitten in der Welt und die Bedeutung der Heiligung der Arbeit und des Alltags. Sehr bald erkannte er in einer Zeit, in der diese Sicht nicht verbreitet war, bei jenen, die offenbar zu Ehe und Familie bestimmt waren, die Ehe als Bestandteil der Berufung.

Von Anfang an zog er auch Priester zur Betreuung der Mitglieder des Werkes und seiner Apostolate heran, hatte damit manche große Freuden - ein junger Priester stand ihm anfangs sehr treu und eifrig zur Seite (er wurde vergiftet; er hat ihn also sehr bald verloren) -, aber auch nicht wenige Enttäuschungen. Lange suchte er nach einer Möglichkeit, wie Weltpriester aus den Reihen der Mitglieder des Opus Dei hervorgehen und ihm angehören könnten.

Erst am 14. Februar 1943 erkannte er bei einer hl. Messe die Lösung. Die Priester sollten in besonderer Weise im Dienste ihrer Brüder und Schwestern stehen, keine eigene Klasse im Opus Dei bilden, also nicht höher als die anderen stehen und normalerweise auch keine Leitungsaufgaben wahrnehmen, sondern wie die anderen von Laien geleitet werden. Damals, nach Beendigung der Eucharistiefeier, konnte er übrigens auch das Wappen des Opus Dei zeichnen: ein Kreuz mitten in der Welt.

Das Opus Dei wurde unter großen Schmerzen zur Welt gebracht. Denn sehr bald entstanden innerkirchliche Widerstände, vor allem unter den Priestern: Sie hielten den jungen Kaplan für übertrieben, wenn er davon sprach, daß jeder Getaufte zur Heiligkeit berufen sei; manche betrachteten seine Lehre sogar als abwegig und falsch. Sie vertraten die Ansicht, in der Welt könne man sich gar nicht heiligen, dazu müsse man in ein Kloster eintreten oder Priester werden.

Dazu kamen die schwierigen äußeren Umstände: abgesehen von der permanenten finanziellen Not, unter der der junge Priester und die Seinen litten, wurde die Stimmung in der politischen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit Spaniens im Anfang der dreißiger Jahre zunehmend gespannter und vor allem kirchenfeindlich. Durch den spanischen Bürgerkrieg (1936) entstand große Gefahr für Josemaría und das Werk. Er mußte fliehen, die Mitglieder wurden in alle Himmelsrichtungen zerstreut.

1946 übersiedelte Escrivá nach einer äußerst intensiven Predigttätigkeit für Priester, Ordensleute, Mitglieder des Werkes und andere in Spanien nach Rom, um persönlich die päpstliche Approbation der Neugründung voranzutreiben. Aufgrund der aufreibenden Arbeit und wohl auch wegen der vielen Leiden, die er zu ertragen hatte, wurde er schwer zuckerkrank und war etwa zehn Jahre lang, bis zu seiner nicht natürlich erklärbaren Heilung, ständig in Lebensgefahr, arbeitete aber trotzdem unvermindert weiter.

Nach Erlangung der päpstlichen Anerkennung (1950) begann dann die rasche Ausbreitung des Opus Dei in der ganzen Welt. In Österreich begann es 1956. In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre war es bereits in 80 Ländern tätig. Es war kurz nach dem Konzil. Ich erinnere mich, wie der Gründer des Opus Dei damals, vor allem in der ersten Zeit meines Aufenthaltes in Rom, begeistert über das II. Vatikanische Konzil sprach, das er ganz aus der Nähe miterlebt hatte. Er war sehr glücklich darüber, weil es vieles bestätigte und zur allgemein gültigen Lehre der Kirche erhob, was er ab dem 2. Oktober 1928, zum Teil unter größten Schwierigkeiten, verkündet hatte: vor allem der allgemeine Ruf zur Heiligkeit und die aktive Teilnahme aller Getauften und Gefirmten an der Sendung der Kirche.

Zunehmend besorgt war er dann, als sich in den Folgejahren zeigte, daß in manchen Teilen der Kirche die Inhalte der Konzilsdokumente einseitig oder falsch gedeutet wurden und viele Gläubige, vor allem viele Priester und Ordensleute, ins Wanken gerieten. Der sel. Josemaría begann als Reaktion darauf, die Mitglieder des Werkes und alle Menschen, die er mit seiner Verkündigung erreichen konnte, im Glauben zu bestärken.

Sein Hauptanliegen war die Verbreitung des Strebens nach Heiligkeit mitten in der Welt, was aber nicht bedeutet, daß man sich mit einer “alltäglichen Heiligkeit" zufrieden geben solle. In diesem Zusammenhang ist mir ein Erlebnis unvergeßlich, das vielleicht alles zusammenfaßt. Msgr.

Escrivá war in den Jahren, die ich in Rom verbrachte, gesund, auch wenn er relativ häufig davon sprach, daß sein Leben jederzeit zu Ende gehen könne. Manchmal war er aber wegen seines harten Arbeitsrhythmus, und weil er oft unter Schlaflosigkeit litt, sehr erschöpft.

Einmal war die Erschöpfung so extrem, daß er die Augen nicht mehr offen halten und kaum reden konnte. Er war trotzdem zu uns, den Studierenden, gebracht worden. Nach einiger Zeit des Beisammenseins erholte er sich etwas und sagte mit sehr leiser Stimme: “Wie schön wäre es, im Kreise meiner Söhne zu sterben." Dann fügte er hinzu: “Bedenkt, daß der Himmel des Vaters darin bestehen wird zu sehen, wie seine Söhne und Töchter im Himmel höher hinaufsteigen."

Als er uns dann fragte, ob wir das verstanden hätten und wir das bejahten, fügte er hinzu: “Betrügt mich nicht!" Das war die wichtigste Botschaft, die er im Auftrag Gottes der ganzen Welt überbringen sollte: Jeder muß versuchen, besser, ja heilig zu werden.

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