Seit Jahren setzt sie sich für den Schutz der Ungeborenen ein: ein wichtiger Kampf, bei dem man heute auf erbitterten Widerstand stößt. Heuer im August hat Jutta eine Rad-Wallfahrt von Bregenz nach Wien organisiert. Viele Jugendliche nahmen daran Teil - ein Aufbruch, um in Österreichs Städten Zeugnis für das Leben zu geben...
Warum tust du dir das eigentlich an?", hörte ich heuer von vielen Verwandten, Freunden und Bekannten. “Kein Urlaub, keine Zeit, kein Geld - welch undankbarer Job, sich von morgens bis abends für Jugend für das Leben einzusetzen." Auf die verständnislose Frage: “Wie kommst du dazu?", war meine Antwort nicht weniger verständnislos: “Ich tue nicht mehr als meine Pflicht."
Gott teilt uns Aufgaben zu. Diese zu erfüllen, ist keine großartige Sache, sondern eine Selbstverständlichkeit. Die Frage nach dem ob’ war für mich hinfällig, es stellte sich nur die Frage nach dem wie.
Ein tödliches Unrecht ist in unserem Land zum Recht geworden. Die Abtreibung fordert das Leben jedes dritten Kindes; Mütter und Väter leben mit unaufgearbeiteter Schuld, mit Depressionen und Verbitterung; Geschwister werden in Mitleidenschaft gezogen; eine ganze Gesellschaft belügt sich selbst.
Daß es hier etwas zu tun gab, habe ich nie bezweifelt. Ist es nicht offensichtlich, daß sich Gott für das schlimmste Übel in einer Zeit auch entsprechend viele Arbeiter sucht? Daß hier halbe Hingabe nicht ausreicht, war mir auch bewußt.
Die Organisation des “Ride for Life" würde mich ganz fordern - das war mir klar. Und sie würde mich sogar überfordern - das merkte ich erst später. Aber wie es so meine Angewohnheit ist, stürzte ich mich mit Gottvertrauen und hoffnungslosem Optimismus mitten ins Geschehen.
“Du bist jung, genieße doch deine Freiheit," sagten mir viele, die mich tagtäglich mit der Arbeit bei Jugend für das Leben beschäftigt sahen. “Genau das tu ich," war meine Antwort. Wahre Freiheit heißt nicht, über seine Zeit zu verfügen, wie es einem gerade paßt. Es ist kein echter Aufbruch, immer dort die Flucht zu ergreifen, wo Unannehmlichkeiten und Mühen auftauchen. In der Zeit meiner Arbeit habe ich erfahren, daß Hingabe Freiheit und Gebundenheit Aufbruch sein können.
Dennoch war ich manchmal versucht zu fragen: “Warum ich?" Es ist doch gar nicht mein Naturell, große Dinge zu organisieren. Ich war schon als Kind so schüchtern, daß ich mich am liebsten in einen stillen Winkel zurückzog. Nichts war mir unangenehmer, als in der Öffentlichkeit das Wort zu ergreifen. Warum sollte gerade ich nun das Kommando übernehmen und unser Anliegen vor allen vertreten?
Ich fühlte mich wie der Hobbit Frodo in Tolkiens Der Herr der Ringe. Ihm war eine Aufgabe anvertraut worden, für die seine Natur völlig ungeeignet war. Als er Gandalf einmal fragte: “Warum ich?", erklärte ihm dieser: Wenn uns eine Aufgabe zugeteilt ist, sind Hadern und Murren fehl am Platz. Wir müssen dann nur noch überlegen, wie wir unsere Zeit nützen, um unsere Pflicht bestmöglich zu erfüllen. So habe ich mit besten Kräften versucht, die Botschaft des Lebens in unser Land zu tragen.
Weil ich wußte, daß ich für die Leitung des Unternehmens nicht geeignet war, sah ich auch deutlich, daß jeglicher Erfolg nicht mir selbst zuzuschreiben war. Gott hat unser Unternehmen reichlich gesegnet. Im richtigen Moment sandte er immer die Person, die wir gerade brauchten: jemanden, der uns zum Essen einlud, als keine Zeit zum Kochen war, jemanden, der den Abend moderierte, als ich vor Müdigkeit die Augen nicht mehr offen halten konnte, jemanden, der uns seinen Bus zur Verfügung stellte, als im Auto der Platz ausging... Auch mit dem Wetter waren wir gesegnet: Nur ein einziges Mal regnete es während der Fahrt, und an diesem Tag hatten wir ohnehin keine Duschen gehabt.
Doch kritische Stimmen warfen auch eine andere grundlegende Frage auf: “Euer Einsatz ist ja bewundernswert, aber was nützt er den Ungeborenen?"
Sollte unsere Radfahrt wirklich wie heißer Atem in der Luft verpuffen? In einer trüben Stunde hat mich mein Kollege einmal ermahnt: “Was wir tun ist eine Wallfahrt. Hab Vertrauen!" Tatsächlich hatte ich - in unzählige Einzelheiten verstrickt - vergessen, unsere Aktion aus einer höheren Perspektive zu betrachten. Jeden Tag feierten wir mit der Pfarrgemeinde die Heilige Messe ganz im Anliegen des Lebensschutzes.
Diese geistige Waffe wirkt im Verborgenen; unsere Gegner lachen darüber, wie Goliath über den Stein Davids gelacht hat. Jeden Morgen riefen wir alle Engel und Heiligen um ihren Beistand an, und baten Gott die Herzen der Menschen zu öffnen.
Wir können unseren Erfolg nur in nichtssagenden Zahlen messen. Wir können sagen: 930 Kilometer sind wir gefahren, 15.000 Folder haben wir verteilt, zwölf Informationsabende gestaltet, 14 Messen gefeiert, sieben Kundgebungen abgehalten... Aber Gott allein ist es, der sagen kann: so viele Herzen habe Ich bekehrt und so viele Kinder gerettet. Ohne mit der Wimper zu zucken wollen wir die Bemessung des Erfolges ihm überlassen. Bei den Worten: “Herr, wir sind nutzlose Diener" dürfen wir getrost verweilen.
Und doch hatte ich die Freude, von einigen Früchten unserer Tour zu erfahren. Neue Kontakte wurden geschlossen, Schuleinsätze arrangiert. Unsere Gäste aus dem Ausland können kaum mehr warten, sich auch in ihren Ländern zu engagieren. Nicht wenige Neulinge entdeckten die Dringlichkeit der Lage und wollen von nun an auch mithelfen.
Eine Freundin bedankte sich bei mir und sagte: “Du weißt gar nicht, wie viele Früchte eure Fahrt im Vorfeld und im Hintergrund hervorgebracht hat." Und sie erzählte mir ein bewegendes Beispiel aus ihrer Pfarre.
Ein Kampf, der sich sonst im Geheimen abspielt, weil sich die Ungeborenen nicht zur Wehr setzen können, wurde im Laufe unserer Tour auf die Straßen verlegt. In allen größeren Städten standen wir einer sozialistischen Front, die Abtreibung als Frauenrecht verteidigte, gegenüber. Während sich unsere Auseinandersetzungen zumeist auf Diskussionen beschränkten, bewarfen uns in Salzburg die Gegner mit Wasserbomben, rissen uns Flugblätter aus den Händen und ließen Beschimpfungen wie den Salzburger Schnürlregen auf uns niederprasseln. In Wien traten sie vor unseren Augen Modellembryos demonstrativ mit Füßen. Mit roten Flaggen versuchten sie, die Sicht auf unsere Transparente zu verstellen. Seltsamerweise haben uns jedoch diese Ausschreitungen neuen Mut eingeflößt.
Nur viel Licht kann einen starken Schatten erwecken. Das düstere Grau des Alltags zeigte sich endlich in klaren Kontrasten; und nur so ist für die Welt die Wahrheit von der Lüge zu unterscheiden.
Aber ganz abgesehen von einzelnen Begebenheiten sollte unsere Tour eine prophetische Stimme sein. Wider jeden Anschein ist Abtreibung nicht normal, und sie wird es auch nie sein. Kein Unrecht konnte sich je auf Dauer bewähren: Die Sklaverei hatte ihr Ende, und unerwartet wurde Hitlers verheerende Herrschaft gestoppt. Die Geschwister Scholl hat man damals verlacht. Was sollten diese wenigen Studenten gegen dieses mörderische Regime von Machthabern schon ausrichten? Sollten sie nicht viel eher zusehen, ihr eigenes Leben zu retten?
Doch wie beruhigend ist es heute zu wissen, daß zumindest diese wenigen einen klaren Kopf bewahrten und Unrecht von Recht unterschieden. Vielleicht werden in vielen Jahren die Menschen mit Entsetzen auch an unsere Zeit zurückdenken. Vielleicht werden sie aufatmen, wenn sie erfahren, daß wenigstens einige dem Zeitgeist widerstanden und der Wahrheit Ausdruck verliehen.
Bis dahin dürfen wir jedoch weder rasten noch schweigen. Erst wenn die Menschen Recht wieder als Recht und Unrecht als Unrecht erkennen, dürfen wir aufhören ein Dorn im Auge der Gesellschaft zu sein.