Das Selbstwertgefühl vieler Frauen ist angeknackst: Nur Hausfrau und Mutter, in einer Welt, in der Karriere und Einkommen den Wert der Person bestimmen. Und dabei wird die Basis des Zusammenlebens in der Familie gelegt.
Das Denken ist heute stärker von den Begriffen der öffentlichen Meinung, vom Primat der Wirtschaft geprägt, als man als einfacher Bürger glauben will. Wie oft haben wir das erfahren, zum Beispiel auf Cocktailparties mit Geschäftsleuten und Diplomaten. Beim Kennenlernen fragt man nach dem Identitätsmerkmal Nummer eins: dem Beruf. Liebe Hausfrauen und Mütter, geben Sie sich einmal auf so einer Party der feinen Leute zu erkennen, indem Sie sagen, ich bin Hausfrau und Mutter. Das ist fast so, alswenn Sie sagen würden, ich habe Lepra. Sie werden schnell erleben, wie einsam man in der Masse sein kann.
Wir haben uns überlegt, daß das so nicht mehr weitergehen kann; und bei der nächsten Party wurde ich wieder gefragt: “Und Sie, was machen Sie? - “Ich bin mittelständische Unternehmerin."
Es entspann sich ein interessiertes Gespräch. “Wieviel Mitarbeiter haben Sie?" - “Zehn, gerade noch überschaubar." - “Ach, interessant, als Frau. Da haben Sie doch sicher manchmal Probleme bei der Durchsetzung Ihrer Pläne?" - “Doch, gewiß, aber man muß eben auf jeden Mitarbeiter eingehen. Bei mir wird Mitbestimmung großgeschrieben. Das ist Management by everybody."
Sofort entwickelt sich ein Smalltalk, ein spannendes Gespräch über Unternehmensführung: Das Teilhaben, das Mitziehen, das Mittragen, das sollte jeden Mitarbeiter im Betrieb angehen. Entscheidungen fällen und Entscheidungen übernehmen heiße auch Gefühl für Verantwortung entwickeln. Natürlich jedem, wie er kann. Aber das gebe Motivation und fördere die Identifikation mit dem Unternehmen. Das schaffe Selbstwertgefühl und forme die Persönlichkeit ... Was ich denn produziere, will man schließlich wissen. Die Antwort: “Humanvermögen".
Die Verblüffung nach solch einem Gespräch ist erstaunlich. Dabei werden hier nur wirtschaftliche Begriffe auf eine Arbeit angewandt, die man freilich als Privatsache betrachtet. Und hier ist der Webfehler im heutigen sozialen Tuch, mit dem die Gesellschaft ihr Tischlein deckt. Erziehung ist keineswegs nur eine Privatsache. Von ihren Folgen, von der Erziehungsleistung, profitiert die Gesellschaft. Oder sie leidet darunter, wenn diese Arbeit nicht oder nur mangelhaft getan wird.
Bei jeder Arbeit kommt es darauf an, mit wieviel Engagement und Gründlichkeit man sie verrichtet. Davon hängt ihre Qualität ab, übrigens auch bei mechanischen Arbeiten. Bei der Familien- und Hausarbeit ist dies noch wichtiger.
Hier ist die konkrete Kraftarbeit - putzen, waschen, kochen - zwar auch die materielle Grundlage für Erziehungsarbeit. Aber die wirklichen Komponenten zur Bildung des Humanvermögens sind schwer meßbar, weil es sich um persönliche Beziehungen handelt, in die Nachdenken, Einstellungen und Vorstellungen, Vorlieben, Gefühle, Erfahrungen, Vertrauen und vieles mehr einfließen, was sich in Elternherzen bewegt und was man eben nicht in Zahlen und Statistiken ermessen kann. Bei der konkreten Kraftarbeit können Eltern entlastet werden. Bei einer Voraussetzung für die Erziehungsarbeit allerdings nicht: bei der Präsenz.
Die Präsenz zu Hause ist konstitutiv für die Erziehung. Ohne sie geben wir die Erziehung ab, entweder an eine Erzieherin oder an die sogenannten Miterzieher in den Medien oder auf der Straße. Das kann im Einzelfall auch mal eine Lösung sein, prinzipiell aber kann man sagen: Es gibt für Eltern keinen Ersatz.
Das ist ein physikalisches Gesetz: Ein Vakuum ist nicht möglich. Die Lücke wird sofort von anderen Elementen gefüllt. Früher gab es die Tanten, die Onkeln, die Verwandten und Bekannten. Dieses Netz ist weitgehend verlorengegangen, die Kleinfamilie lebt heute, wie die Soziologen sagen, in einer insulären Situation. In dieser Situation ist sie einer scharfen Konkurrenz ausgesetzt. Das sind nicht nur die Medien. Das sind auch die neuen Freunde von Pokemón, die versprechen, daß sie das Kind nie verlassen werden - bezeichnenderweise sind solche Versprechungen auf Fastfood-Packungen zu lesen. Oder die “Tamagotchis", “Diddls" und etliche andere “Freunde" mehr ...
Erziehung geschieht zu großen und guten Teilen spontan. ... Aber ohne physische Präsenz läuft die Spontaneität ins Leere. Wenn der vier- oder fünfjährigen Tochter beim Spielen eine Frage in den Sinn kommt, wird sie diese Frage stellen wollen und zwar in der Regel der ersten Bezugsperson, der Mutter. Ist die Mutter nicht da, wird das Kind kaum auf die Idee kommen, die Frage aufzuschreiben oder abzuspeichern, um sie erst am Abend zu stellen.
Kinder stellen ihre Fragen aus der Situation heraus. Das können auch Bemerkungen oder Behauptungen oder auch Beschreibungen sein, die sie mitteilen wollen. Um diese Mitteilungen zu bestätigen, zu korrigieren oder auch zu kommentieren, müssen sie erst einmal wahrgenommen werden. Damit ist nicht nur die physische Präsenz gemeint, sondern auch die innere Hinwendung oder Präsenz des Herzens.
Vanessa hat das mal einer Journalistin so gesagt: “Mama ist nicht da, wenn sie Zeit hat, sondern wenn ich sie brauche".
Aus diesem Dialog, aus diesem ersten sozialen Umgang zu Hause erwächst mit den Jahren für das Kind die innere Selbstsicherheit und das Selbstbewußtsein, die es für die Fähigkeit zu sozialem Verhalten mit anderen Personen außer Haus braucht.
*
Das Zuhause, Ort der Intimität, der Gefühlswelt und der Umarmung. Ort auch des Abladens. Wie oft kommen die Kinder nach Hause und legen erst einmal richtig los. Der ganze Frust, der ganze Ärger, Freude auch - all das muß mitgeteilt werden, mit und ohne Worte.
Dafür braucht es die schützenden Wände vor der Öffentlichkeit, auch vor den Lehrern. Frust und Freude müssen aufgefangen, gerichtet und gewichtet, neu orientiert werden - damit der Gefühlspegel wieder im Lot ist. Das geht nur zwischen Personen, weil nur sie eine geistige, innere Beziehung zueinander entwickeln können. Und das setzt eben den Freiraum der Intimität voraus.
Das ist der Raum der Bedingungslosigkeit, in dem wir nicht danach bemessen werden, was wir leisten oder haben, sondern weil wir sind. Dieser Raum ist das Wohnzimmer des Humanum. In ihm lernen die Kinder - sollten sie jedenfalls -, was lieben heißt.
Intimität ist Grundfolie des Seins, ist Voraussetzung für Identität. Und sie ist das Grundmuster der Familie. Nestwärme haben wir das früher genannt. Das ist es und noch viel mehr, nämlich Herzenswärme, Liebesnahrung, emotionale Sinnstiftung. Indem die Frau und Mutter familiäre Intimität zeugt, pflegt und bewahrt, bereitet sie den Boden für die Lebenswurzeln der einzelnen Familienmitglieder. Sie schenkt Mut zum Leben.
Es ist schon ein paar Jahre her. Momo, der auf seinem Taufschein, also in Wirklichkeit, Nathanael heißt, kränkelte, es gelang einfach nichts, er war verzweifelt. Seine für die Schule gebastelte Mühle war ziemlich mißlungen. Sie glich eher einer Kaserne. Wir brachten die Mühle in Ordnung, dann malte er mir einen Blumenstrauß und schrieb dazu: “Liebe Mama, danke, daß Du mir geholfen hast. Du hilfst mir immer, wenn ich krank bin. Du gibst mir Mut zum Leben. Auch Hoffnung. Du machst mich einfach stark. Und Du bist auch stark. Du gibst mir Hoffnung für meine Mühle."
Ich war gerührt. Er hatte genau das getroffen, wovon ich glaube, daß es die Aufgabe der Mütter ist: Die anderen stark machen, die anderen begleiten und ihnen Mut und Hoffnung geben, eine Atmosphäre des Vertrauens und der Liebe schaffen. Das gelingt am besten in einem Ambiente der Intimität.