Im Klima einer sich zunehmend totalitär gebärdenden Beliebigkeit erwirbt sich der Autor des Bandes das Verdienst, den Übertritt von einer Weltanschauung zu einer anderen mit allen ihren konfliktreichen Konsequenzen ausführlich zu thematisieren.
Die überwiegende Mehrzahl der dargestellten Konversionen in neuerer Zeit sind solche in die Katholische Kirche (Gilbert Keith Chesterton, Paul Claudel, Alfred Döblin, André Frossard, Graham Greene, Ernst Jünger, Jean-Marie Lustiger, Thomas Merton, Walker Percy, Muriel Spark, Edith Stein). Einige von ihnen bleiben allerdings merkwürdig unentschlossen (Simone Weil), geraten in die Nähe der Verzweiflung (Reinhold Schneider) oder sind letztlich gescheitert (Richard Gilman, André Gide).
Interessant sind auch die “Konversionen" zum Kommunismus (Arthur Koestler, Ignazio Silone), die (zum Glück für die Betreffenden) in der Desillusionierung enden. Verdienstvoll ist auch der Entschluß des Autors, den (schwierigen) Übertritt zum Judentum und besonders die “Bekehrung zur Philosophie" zu thematisieren (etwa von Sokrates, Epiktet).
Unbestreitbare Vorzüge des Buches sind die umfangreichen Literaturkenntnisse, das gesunde Urteil und der Vertrauensvorschuß gegenüber den Selbstzeugnissen der behandelten Personen. Dazu kommt eine feine Ironie, die das Ganze noch schmackhafter macht.
Zwei Leitgedanken sollen (wegen ihres Zeitbezuges) herausgegriffen werden. Erstens - “Die Bekehrten sind lästig." (Bernanos): André Frossard, der durch ein mystisches Erlebnis am 8. Juli 1935 um 17.10 Uhr vom Kommunisten zum überzeugten Katholiken wurde, hat 1992 den französischen Bischöfen einen Brief geschrieben, in dem er ihnen mit listigem Scharfsinn nahelegte, sich nicht an die Welt anzubiedern. Die Menschen warteten ja darauf, “von den Bischöfen zu hören, was es mit dem Tod auf sich habe und mit der Botschaft vom ewigen Leben bei Gott." Auch einem Walker Percy erscheint die Kirche nach dem 2. Vatikanischen Konzil “gespalten, seltsam kraftlos und ihrer selbst nicht sicher."
Insofern ist der Einschätzung des Autors voll zuzustimmen, wenn er schreibt: “Konversionen und Konvertiten zeigen an, ob im Innern Leben und Bewegung herrschen oder aber Stillstand und Tod." Das aber kann eben nur eine lästige Aufgabe sein.
Zweitens, auch von großer, sogar beklemmender Aktualität: Die Stimmen, die religiöse Toleranz fordern und skeptisch verkünden: “Warum ist es so wichtig, nach welcher Lehre jeder die Wahrheit sucht? Man kann nicht nur auf einem einzigen Weg zu einem so erhabenen Geheimnis finden", sind immer gegen die Wahrheitssuche (auch die streng philosophische), gegen das Christentum, ja gegen Jesus Christus selbst gerichtet. Was der römische Redner Symmachus und der abgefallene Kaiser Julian wollen, ist “die Rückkehr zu dem alten Konglomerat der Religionen und nicht die gegenseitige Toleranz."
Gerade die Aufforderung Christi und der Kirche zur Konversion wird als “aggressiv und geschmacklos" empfunden. Das “Entweder - Oder" ist ein Spezifikum des Christentums und - wie man heute sagt - es “polarisiert". Ein Christ, der das nicht will, und sei er Amtsträger, hat seine Berufung verfehlt.
Es gäbe noch viele Vorzüge des Buches aufzuzählen. Leider bleiben aber einige - auch schwerwiegende - Kritikpunkte. Der Autor zollt dem Zeitgeist Tribut, wenn er (gegen seine Vorgabe, “den Texten und ihren Autoren ... Vertrauensvorschuß zu gewähren") an der Geschichtlichkeit der Apostelgeschichte und der Confessiones zweifelnde Stimmen weitergibt, indem er höchst problematische “exegetische Erkenntnisse" und die “soziologische Forschung" heranzieht. Es ist immer skurril zu beobachten, wie heutige “Erkenntnisse" eine 2000-jährige, lückenlose Überlieferung angeblich “zurechtstutzen".
Daß Augustinus zudem nicht wirklich “empirisch" Zutreffendes über seine Bekehrung geschrieben haben soll, ist dem Rezensenten ebenfalls nicht plausibel. Auch ist es grundsätzlich ein Problem, wenn ein Nicht-Konvertit über Konvertiten schreibt: Wer das Erlebnis des radikalen inneren Umsturzes nicht selbst hatte, mag dazu tendieren, entsprechende Selbstzeugnisse als “zu überzuckert" zu denunzieren. Leider muß man an manchen Stellen auch einen journalistischen Stil konstatieren, der eher zu Wochenmagazinen passen würde.
Behält man diese Kritikpunkte im Auge, so kann die Lektüre als gewinnbringend empfohlen werden. Auf alle Fälle gilt, wie gesagt, daß die gründliche Thematisierung von Bekehrung in einer Atmosphäre aggressiver Gleichmacherei ein großes Verdienst darstellt.
Wolfram Schrems
Die Konvertiten. Über religiöse und politische Bekehrungen. Von Christian Heidrich, Hanser Verlag München Wien 2002, 382 S.