Vergebung und Versöhnung sind das große Anliegen dieses Prie?sters aus Ruanda, dem Land, das heute noch an den Folgen des Ge?nozids von 1994 – bei dem rund eine?Million Menschen um?kamen – leidet. Sein Bischof hat ihn nun für diesen Dienst der Versöhnung freigestellt:
Wir haben in Ruanda einen unvorstellbaren Bedarf an Vergebungsbereitschaft und an Vergebungsbitten. Mein Dienst ist es, hier Hilfestellung zu geben. In meiner Pfarre erlebe ich es ja. Da gibt es zwar viele, die oberflächlich um Vergebung gebeten haben, aber keineswegs im direkten Kontakt mit den Familienmitgliedern der Ermordeten. Da gilt es, diesen Kontakt herzustellen. Und wenn der Mörder dann aus dem Mund des Sohnes oder der Mutter des Opfers hört: „Ich vergebe dir!“ – dann geschieht echte Befreiung (siehe VISION 4/00).
Besonders schwierig ist die Situation überall dort, wo ganze Familien ausgerottet worden sind. Da ist dann nämlich niemand, der dem Täter zusprechen könnte: Ich vergebe dir. Genau diesen Zuspruch aber braucht der Mörder, damit er in ein wirklich normales Leben zurückfinden kann.
Das wissen nur die meisten nicht. Und daher hatten auch wir in meiner Pfarre nach dem Genozid das Problem, daß viele sagten: Wir müssen dafür sorgen, daß kein Zeuge der vielen Morde, die hier begangen worden waren, überlebt. Damit lebten aber jene, die den Genozid überstanden hatten, in dauernder Lebensgefahr. Also habe ich versucht, in meinen Predigten klarzumachen: Die Zeugen der Morde sind kostbar für euch Mörder. Ihr braucht nämlich Menschen, die euch eines Tages zusagen können: „Ich vergebe dir.“
Gott sei Dank beginnen die Menschen das langsam zu begreifen: Die Vergebung wirkt befreiend für den, der sie gewährt und für den, dem sie zugesprochen wird. Es ist ganz wichtig, daß dies alle wissen: Wer vergibt, erlebt Befreiung. Ich habe das zutiefst selbst erfahren. Als ich nämlich den Mördern meiner Mutter – dem der den Befehl zum Mord gegeben hatte und dem, der ihn ausgeführt hat – wirklich vergeben hatte (ich zahle für deren Kinder die Studiengebühren), da habe ich ganz tief diese Erfahrung gemacht. Da ist mir auch klar geworden: Erst wenn man von Herzen vergeben hat, wird das Gebet wirklich aufrichtig.
Oft sagen mir die Leute: Zuerst muß sich der, der mich verletzt hat, entschuldigen, dann will ich ihm vergeben. Darauf erwidere ich: „Nein: Du mußt zuerst vergeben.“ Das ist jedenfalls meine Erfahrung im Versöhnungsdienst. Der Wille zu vergeben löst die Bitte um Vergebung aus – früher oder später.
An dieser Stelle ist eine wichtige Klarstellung angebracht: Wenn man mich fragt: „Woher kommt die Kraft zu vergeben – aus dem Herzen?“, so ist meine Antwort: Nein, es geht um eine Entscheidung. Die Vergebung nimmt ihren Anfang in meinem Kopf.
Denn wo der Wille zur Vergebung vorhanden ist, da öffnet sich geheimnisvoll ein Raum, in dem der Sünder wirklich von Herzen um Verzeihung bitten kann – natürlich auch im Sakrament der Buße. Denn das Geschehen der Versöhnung findet ja nicht rein auf der menschlichen Ebene statt. Beim Vergeben ist stets Gott am Werk. Er ist es, der die Vergebung schenkt. Er ist der Spender dieser vollkommenen Gabe.
Da fällt mir die Geschichte eines katholischen Ehepaares aus den USA ein: Eine Frau hatte ihren Mann verlassen und war zu einem anderen gezogen. Der Ehemann war verzweifelt. Zwölf Jahre lang ist er alleingeblieben, fest entschlossen, niemals mehr etwas mit dieser Frau zu tun haben zu wollen.
Vor einiger Zeit habe ich in dem Ort, in dem sie wohnen, einen Heilungsgottesdienst gefeiert. Und beide haben, unabhängig voneinander, an diesem Got?tesdienst teilgenommen. Ich habe bei dieser Gelegenheit über die Vergebung gepredigt. Und der Herr hat ein Wunder gewirkt: An diesem Abend erhielt der Mann die Gnade, seiner Frau von Herzen zu verzeihen. Und kurz darauf geschah ein weiteres Wunder: Seine Frau kam in der Menge der anwesenden Leute auf ihn zu und hat ihn um Vergebung gebeten. Es ist gar nicht nachzuvollziehen, was da alles zusammengespielt hat: daß die beide anwesend waren, an diesem Abend berührt wurden, einander in der Menge gesehen haben … Auf jeden Fall hat sich an diesem Abend das Wunder der Vergebung ereignet. Eine 12 Jahre alte Wunde wurde schlagartig geheilt.
Wie gesagt, es geschieht oft so: Wo jemand von Herzen verzeiht, lösen sich die Probleme
Man muß das alles aber auch realistisch sehen. Es bedarf stets der Mitwirkung Gottes. Wenn ich mich nämlich heute nur auf mich selbst gestellt zu dem heroischen Entschluß aufraffe, dem anderen zu vergeben, dann wird das nur allzu leicht morgen oder übermorgen wieder infrage gestellt. Es bedarf eben wirklich dieser vollkommenen Gabe Gottes. Um sie müssen wir bitten.
Und noch etwas gehört zu einer realistischen Einschätzung der Situation: Wir bedürfen alle immer wieder der Vergebung. Wir sind nun einmal keine Heiligen, sondern erleben Momente, in denen wir andere kränken oder verletzen. Und daher bedarf es stets erneut der Vergebung. Christen sind insofern imstande, diesen Akt zu setzen, als sie darauf vertrauen können, daß Jesus selbst eingreift. Daher kann Jesus dem Petrus auch sagen, man müsse nicht sieben- sondern siebenundsiebzigmal vergeben. So groß das Unrecht auch sein mag, Jesus ist da, um uns beizustehen.
P. Ubald Rugirangoga