Anderen mitzuteilen, was einem wichtig erscheint, was Freude macht, was sich als lebensträchtig erwiesen hat, gehört zum selbstverständlichen Inhalt von Gesprächen. Daher müssten Christen eigentlich auch gern immer wieder über das Fundament ihres Lebens, den Glauben an Jesus Christus, sprechen…
Wer etwas Gutes entdeckt hat, etwas, das Freude schenkt, der sagt es mit größter Selbstverständlichkeit weiter. Ja, es drängt ihn dazu, dies anderen mitzuteilen – nicht zuletzt deswegen, weil es die eigene Freude erhöht, sie mit anderen zu teilen. Und wir Christen? Haben wir mit unserer Nahbeziehung zu Gott nicht den größten Volltreffer gemacht? Müsste es uns nicht drängen, unsere Freude darüber mit anderen zu teilen?
Leider pflegen wir in Glaubensfragen jedoch eine vornehme Zurückhaltung, wir müssen es bekennen – auch in Gesprächen untereinander. Irgendwie besteht eine Scheu zu zeigen, dass unser normaler Lebenslauf eng mit Gott in Verbindung steht. Es passt auch nicht in das Denken unserer Zeit. Da redet man uns ja dauernd ein, wir müssten die Dinge selbst in die Hand nehmen, stark und fit sein, uns durchsetzen, uns selbst verwirklichen, uns auf verschiedenste Weise weltlich absichern… Der Mensch ist heute dazu aufgerufen, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.
Da scheint es irgendwie nicht so recht zu passen, den lieben Gott ins Spiel zu bringen. Und es wirkt irgendwie kindisch, widerspricht dem Leitbild vom mündigen Menschen. Daher haben viele Angst, nicht zeitgemäß zu wirken, antiquiert zu erscheinen. Schließlich zeichnen ja die Medien dauernd das Bild einer Kirche, die in einem hoffnungslosen Abwehrkampf gegen einen unaufhaltsamen „Fortschritt“ steht. Und wer will da schon auf der Seite des scheinbar sicheren Verlierers stehen?
Die Verunsicherung der Katholiken hat auch damit zu tun, dass sich in den eigenen Reihen so viele „Autoritäten“ zu Wort melden, die das Wort Gottes umdeuten. Sie bezeichnen die Lehre der Kirche als antiquiert und finden damit in den Medien klarerweise ein großes Echo. So entsteht bei vielen auch in dieser Hinsicht eine gewisse Verunsicherung: Liege ich mit meiner Vorstellung, eine Vater-Kind-Beziehung zum allgegenwärtigen Gott zu haben, überhaupt richtig? Mache ich mich damit nicht lächerlich? Und bevor man sich blamiert, hält man sich lieber zurück.
So verständlich diese Umstände auch sein mögen, so werfen sie doch die Frage auf, ob wir Christen hier in Europa wirklich erfasst haben, was der Glaube an Jesus Christus bedeutet, besser gesagt: Haben wir uns überhaupt für den Geist Gottes geöffnet?
„Ihr werdet meine Zeugen sein“ (Apg 1,8), sagt der Herr zu Seinen Jüngern. Ich muss euch das gar nicht verordnen, ihr werdet gar nicht anders können. Ein erstes Beispiel dafür ist der heilige Petrus: Als der Hohe Rat, jenes Gremium, das ein paar Wochen zuvor den Mord an Jesus Christus veranlasst hatte, den Jüngern befiehlt, nicht mehr von Jesus zu sprechen, antwortet der Apostel: „Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben…“ (Apg 4,20)
Wer sich für das Wirken des Heiligen Geistes geöffnet hat, der erfährt mehr und mehr, dass er ohne Jesus tatsächlich nichts wirklich Wertvolles vollbringen kann“ und dass letztlich alles von Ihm her erst Sinn bekommt und daher im Leben nachgeordnet ist. Und dazu steht er, egal unter welchen Bedingungen. Die verfolgten Christen in der ganzen Welt legen genau dafür Zeugnis ab.
An dieser Stelle muss ich unbedingt auf das Zeugnis von Mariam Jahia Ibrahim Ishag zu sprechen kommen. Sie wurde als Tochter eines muslimischen Vaters und einer christlichen Mutter im Sudan geboren. Da der Vater die Familie bald nach der Geburt der Tochter verlassen hat, wurde das Mädchen als Christin erzogen. Dementsprechend hat sie einen Christen geheiratet. Als sie nun ihr zweites Kind erwartete, wurde sie wegen Abfalls vom muslimischen Glauben (weil ihr Vater Muslim ist) und Ehebruchs (Kind mit einem Christen) angezeigt. Das Gericht verurteilte sie heuer im Mai zum Tode. Sie brachte ihr Kind im Gefängnis zur Welt. Die Vollstreckung sollte bis zur Entwöhnung des Kindes aufgeschoben werden. Nach massiven weltweiten Protesten hob ein Berufungsgericht das Urteil auf, ließ die Frau, eine Ärztin, frei…
Warum ich das so ausführlich erzähle? Weil Mariam Zeugnis dafür gibt, dass für sie der Glaube an den lebendigen Gott offensichtlich das höchste Gut im Leben ist. „Ich werde meinem Glauben nicht entsagen,“ verkündete sie. Man stelle sich vor: Sie ist Mutter von zwei kleinen Kindern und hätte dem Todesurteil einfach entgehen können. Ein Übertritt zum Islam hätte genügt und die Sache wäre erledigt gewesen. Den Kindern wäre die Mutter erhalten geblieben. Welche Versuchung zu sagen: Ach was, ich geb jetzt nach und kann mir’s ja später heimlich wieder überlegen! Welchem Druck muss sie innerlich standgehalten haben, um diesen Schritt nicht zu setzen! Wie tief muss sie begriffen haben, dass es bei der Entscheidung für oder gegen Jesus Christus tatsächlich um Leben und Tod geht – dass aber, sich für Ihn zu entscheiden, das Leben bedeutet.
Ein Zeugnis, das unter die Haut geht. Ein Zeugnis nicht aus uralten Vorzeiten, aus den Anfängen des Christentums. Eine Anfrage an unseren Glauben hier im saturierten Europa. Wenn uns schon die Angst vor beruflicher und gesellschaftlicher Benachteiligung, die Sorge, man könnte uns auslachen oder nicht ernst nehmen, uns zurückschrecken lässt, stellt sich dann nicht die Frage: Ist unser Glaube wirklich tragfähig?
Vielleicht ist es an dieser Stelle angebracht, über das Wort „Zeugnis“ nachzudenken: Ein Zeuge ist jemand, der etwas erlebt, etwas erfahren hat und nun anderen diese Erfahrung vermittelt oder von seinem Erlebnis erzählt. Festzuhalten ist, dass es hier um eine subjektive Wahrnehmung geht. Ich war dabei, ich habe gesehen, ich habe gehört… Der persönlichen Erfahrung kann niemand widersprechen. So war es eben. Ein Glaubenszeuge ist jemand, der Erfahrungen mit Gott gemacht hat. Petrus konnte nicht verschweigen, was er gesehen, was er gehört hatte.
Ohne Begegnung mit Jesus, ohne die Kraft des Heiligen Geistes wäre das Bekenntnis, die Zeugenschaft der Apostel nicht möglich gewesen. Ohne Begegnung mit Ihm ist auch heute das Zeugnis nicht wirklich möglich. Wir sollen ja von Jesus Zeugnis geben. Es soll erkennbar werden, was Er in unserem Leben bewirkt hat. Es geht nicht darum, nur für Seine Lehre einzutreten. Das schon auch. Schließlich sagt der Herr ja am Ende des Matthäus-Evangeliums: Geht zu allen Völkern, macht alle Menschen zu meinen Jüngern, tauft sie …, lehrt sie, alles zu befolgen… Ich bin bei euch! Aber Zeugnis geben ist mehr: Es bedeutet erfahrbar zu machen, dass diese Lehre nicht nur eine schöne Theorie ist, sondern dass sich in ihr der lebendige Gott heute ausspricht, dass Er damit heute Wege im Alltag weist und damit das eigene Leben zum Guten wendet – auch unter schwierigen Bedingungen.
Papst Franziskus wird nicht müde, uns zu diesem Zeugnis aufzurufen. Es ist dringend notwendig in einer Gesellschaft, die sich ganz bewusst von der christlichen Kultur verabschiedet und in die Irre geht. Je länger wir uns möglichst unauffällig und angepasst verhalten, umso stärker wird der Gegenwind. Noch wird in Europa die öffentliche Stellungnahme der Gläubigen und der Kirche toleriert, aber die Gegenstimmen werden lauter. Also nützen wir den bestehenden Freiraum, um Zeugnis zu geben. Es ist ein entscheidend wichtiger Dienst, den wir unseren Mitmenschen schulden.