VISION 20004/2014
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Zeugnisverteilung

Artikel drucken Den Glauben bezeugen in Europa – gerade im Gegenwind des Zeitgeistes (Von Martin Kugler)

Die berühmte englische Philo­sophin Elizabeth Anscombe wurde einmal gefragt, was sie über die Krise der Kirche denke. Worauf sie meinte, eigentlich mache ihr nur eine Sache wirklich Sorgen: Dass man nicht mehr über die Märtyrer und die Urchristen spreche.


Über die Märtyrer zu sprechen heißt, über das Zeugnis ihres Lebens nachzudenken und dafür zu danken. Aber es heißt auch, daran erinnert zu werden, dass wir alle zur „Zeugnisverteilung“ gerufen sind – nicht am Schulschluss, sondern in jeder Lebenslage.
Im Bewusstsein, dass Christus die Wahrheit selbst ist, bedeutet dies, Ihn in jeder Form in unser Leben hineinzulassen. Nicht nur privat müssen wir Christus den Eintritt erlauben, sondern auch in unsere Institutionen. Nichts eint uns Menschen – auch ein Büro – mehr als gemeinsames Gebet. Von unserer Einheit mit Gott hängt jedes Zeugnis ab. „Seht, wie sie einander lieben!“, hat man über die Urchristen gesagt. Auch wir sind heute beeindruckt, wenn wir zum Beispiel auf Reisen die Frömmigkeit und den Zusammenhalt der Christen in Ländern sehen, wo sie eine kleine Minderheit sind. Sprechen wir also über die kleinen und großen „Martyrien“ – auch die unserer Zeit.
Alle fünf Minuten stirbt ein Christ für seinen Glauben. Diese Tatsache trifft nicht nur Christen, sondern die gesamte Menschheit schwer. Das Christentum ist die bei weitem am meisten verfolgte aller Religionen. Allerdings beginnt das Problem nicht bei Mord, Vertreibungen und Kirchenzerstörungen, sondern kulminiert dort erst. Intoleranz und Diskriminierung gegenüber Christen gehen der Gewalt voraus. Und da steht es auch um uns Europäer nicht gut.
84% des Vandalismus in Frankreich ist gegen christliche Stätten gerichtet, schrieb der frühere französische Innenminister Michel Hortefeux im November 2010 in einem offenen Brief an den Präsidenten des Europarates. Dabei handelt es sich um Vorfälle, die fast täglich passieren. 48% aller Priester und Pastoren Englands gaben im Jahr 2006 an, dass sie in den zwölf Monaten zuvor verbal oder tätlich angegriffen worden waren, weil sie erkennbar als christliche Hirten unterwegs waren – und damit ein Zeugnis gaben.
Allein für das Jahr 2013 sind in Europa über 115 Fälle von tätlichen Übergriffen auf Christen oder christliche Stätten auf „www.intoleranceagainstChristians.eu“ dokumentiert.
Aber damit nicht genug. Zu Recht prangern christliche Menschenrechtsorganisationen Länder an, in denen Christen manche Berufe verwehrt werden. Christen dürfen z.B. in Kuba nicht Lehrer werden. Aber sind wir Europäer wirklich soweit davon entfernt?
Hebammen, Krankenpersonal und Gynäkologen müssen in einer ganzen Reihe von europäischen Ländern an Abtreibungen (manchmal auch an Euthanasie) zumindest teilweise mitwirken. Standesbeamte sind in Holland und England gezwungen, Ehe-Zeremonien für Homosexuelle durchzuführen. Machen solche Regelungen nicht auch manche Berufe für Christen unmöglich?
In nicht wenigen Ländern wird selbst eine höflich vorgebrachte Kritik am „gay“-Lifestyle oder an der starken Lobby von Homosexuellen-Organisationen als „Hassrede“ strafrechtlich verfolgt. Prediger, die aus der Bibel zitierten, mussten sich in England, Schweden und Frankreich vor Gericht rechtfertigen. Schränkt das nicht die Rechte von Christen ein?
Auch Eltern finden sich zunehmend in der Lage, in diesem urchristlichen Sinn ein Zeugnis zu geben, das auf Widerstand stößt. Ihr Recht, die Kinder nach ihren Überzeugungen zu erziehen, wird immer öfter verletzt: An vielen Schulen Europas werden Sexualerziehungsprogramme, die dem christlichen Menschenbild diametral widersprechen, ohne Einwilligung der Eltern durchgeführt. In Deutschland z.B. ist eine Abmeldung vom Sexualkundeunterricht oder auch nur von einzelnen Veranstaltungen nicht möglich. Eltern, die ihre Kinder trotzdem daheim lassen, bekommen eine Geldstrafe. Wer diese aus Prinzip nicht zahlt, geht ins Gefängnis, was bereits mehrmals geschehen ist. Vom häuslichen Unterricht, den Christen z.B. in den USA häufig und erfolgreich praktizieren, ganz zu schweigen: Er ist in Kroatien, der Slowakei, Deutschland und Schweden de facto verboten. Natürlich muss man ergänzen: Die Situation der Christen in Europa ist von Land zu Land recht verschieden, aber es gibt Gefahren, die überall ähnlich sind: die Gefahr der Hoffnungslosigkeit, der Feigheit, des Rückzugs in die Privatsphäre und auch die Gefahr bei „frommen“ Christen, heute relevante Themen zu ignorieren.
Was soll nun „die Kirche“ tun? Die Kirche sind alle Getauften. Natürlich wünscht man sich gerade als deutschsprachiger Christ oft mehr Mut bei den Hirten, aber im Grunde ist es genauso die Aufgabe der Laien, Zeugnis zu geben – gerade was die Präsenz des Glaubens in der Gesellschaft betrifft. Dazu braucht es auch mehr Wissen um die Schätze des Evangeliums und der Lehre der Kirche. Wer kennt denn die großartigen Texte von Johannes Paul dem Großen zur Kultur des Lebens? Vielleicht brauchen manche Bischöfe auch die Ermutigung „von unten“, wenn die von oben überhört wurde.
Wir brauchen Vorbilder!
Ich liebe also die Urchristen, auch wenn wir leider nicht immer so viele Details von ihnen wissen. Aber ich empfehle die Lektüre von Büchern über diese Zeit der Kirche. Und für heute erscheinen mir besonders die „politischen“ Heiligen wie Katharina von Siena, Thomas Morus, Edith Stein, Kardinal Newman oder die Geschwister Scholl so aktuell zu sein. Wir sollten mehr über sie wissen und sie womöglich ein wenig nachahmen.
Viele Christen in Europa wissen nicht, dass es sich beim mutigen Auftreten in der (kleinen oder großen) Öffentlichkeit nicht um Verteidigung von historischen Privilegien des Christentums, sondern um eine Tat der Nächstenliebe handelt – gerade wenn sie sich vor anderen offen, also öffentlich für die Menschenwürde und andere christliche Positionen einsetzen. Denn diese Positionen schützen immer alle Menschen – und vorwiegend die Schwachen.
Der Autor ist Mitherausgeber von intoleranceagainstChristians.eu

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