VISION 20004/2014
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Lernen, den Tod anzunehmen

Artikel drucken Plädoyer gegen die Euthanasie (Gudrun Kugler)

Ein belgischer Autor mit Alzheimer, eine Französin mit entstellendem Gesichtstumor, in Italien eine junge Komapatientin, in Eng­land ein Rugby Spieler, der mit seiner unfallbedingten Lähmung nicht mehr leben wollte. Es sind solche Geschichten, die in fast jedem Land Europas die Debatte um die Euthanasie bestimmen.

In einigen Ländern brechen die Dämme: Belgien hat in diesem Jahr die Euthanasie von Kindern erlaubt. In Österreich gibt es derzeit noch einen ziemlich breiten politischen Konsens gegen die Tötung auf Verlangen und für die bestmögliche Begleitung am Ende des Lebens.
Die Verwirrung bei diesem Thema beginnt bei den Begriffen: Euthanasie bedeutet aktive Tötung auf Verlangen. Aktive Sterbehilfe ist ein anderer Begriff für dasselbe. Er verharmlost aber durch das positiv besetzte Wort „Hilfe“. In den Niederlanden zeigt sich, dass es vom Wunsch auf Tötung bis zur Tötung nicht lange dauert: In 13% der Fälle von Tötung auf Verlangen liegen zwischen Wunsch und Todeseintritt weniger als ein Tag, in 35% erfolgt der Tod zwischen einem Tag und einer Woche.
Sterbebegleitung dagegen meint die Zuwendung und Versorgung in der letzten Phase des Lebens, während der Organismus seinem natürlichen Ende entgegen geht. Berühmt ist die Forderung Kardinal Königs: „An der Hand, nicht durch die Hand eines Menschen“ soll man sterben dürfen.  Die flächendeckende Verfügbarkeit bestmöglicher Sterbebegleitung ist ein Imperativ.
Darf man eine Behandlung ablehnen, wenn sie nichts mehr bringt? Ja! Eine Behandlung abzulehnen oder abzubrechen, um den natürlichen Lauf der Dinge zuzulassen, ist rechtlich möglich und moralisch legitim. Johannes Paul der Große ist ein Beispiel dafür: Mehrere medizinische Leiden hatte er lange geduldig getragen. Als er spürte, dass die Zeit gekommen war, bat er: „Lasst mich ins Haus des Vaters gehen.“
Die katholische Kirche unterscheidet in der Frage des Behandlungsabbruchs außerordentliche Maßnahmen von der Grundversorgung, also der Zufuhr von Flüssigkeit und Nahrung. Der Patient soll an seinem Gebrechen sterben dürfen und nicht etwa verhungern oder verdursten.
Sollen wir nicht, so fragt man häufig, den Willen des Betroffenen respektieren? Die häufigsten Gründe für das Verlangen einer Tötung sind „sinnloses Leiden“ und „Angst vor bzw. Vermeidung von Entwürdigung“. Die Aussagen der Betroffenen deuten demnach auf Ängste, Sorgen und Zweifel, die entscheidend von den vorhandenen menschlichen Beziehungen beeinflusst werden. „In der überwiegenden Mehrheit der Fälle heißt ,Ich will nicht mehr leben' nur ,Ich will so nicht mehr leben'. Mit guter Palliativbetreuung schwindet der Wunsch, nicht mehr leben zu wollen,“ so Athe Grafinger, Internistin und Palliativmedizinerin.
Während viele vor der verabreichten Todesspritze zurückscheuen, überlegt man die Legalisierung der Beihilfe zum Selbstmord. Dabei ereilen fast jeden einmal im Verlauf seines Lebens suizidale Gedanken. Auch Depressionen können Selbstmordabsichten mit sich bringen. Sie sind eine Krankheit, die man heilen kann. Darin sind sich die Experten einig. Und: Wenn die Beihilfe zum Selbstmord legal ist, wird es auch die Anstiftung dazu, ja sogar die Kommerzialisierung.
Soll man Euthanasie in Extremfällen zulassen? Bei diesen bleibt es nicht, wie man in den Niederlanden und Belgien sieht: Das im Mai 2002 in Belgien in Kraft getretene Gesetz zur Sterbehilfe sieht seelische Qualen als hinreichende Bedingung für eine Tötung auf Verlangen vor und ermöglicht Euthanasiemaßnahmen an Menschen mit psychischen Leiden. Ein weiterer Schritt in dieser Logik ist dann, wie in den Niederlanden, bereits erfolgt: der Schritt hin zur Tötung von Patienten, wenn deren Leiden für die Umgebung unzumutbar wird.
So bleibt es nicht bei Tötung auf Verlangen: Eine Studie zur Euthanasie in Holland (2001) hat ergeben, dass 3.100 Menschen ohne Verlangen getötet wurden, weitere 3.200 Menschen ohne Absprache lebensverkürzende Schmerzmittel erhalten haben. Das entspricht ca. 4,5% aller Todesfälle in den Niederlanden. Zur Begründung wird in Einzelfällen angegeben, dies sei das Beste für die Patienten gewesen und eine Diskussion hätte mehr Schaden als Gutes bewirkt.
Die Möglichkeit zur Tötung auf Verlangen macht Druck auf Betroffene, ihren Lieben nicht mehr zur Last zu fallen. Angesichts des zunehmenden Anteils alter Menschen und der Kostenexplosion im Gesundheitswesen kann sich jeder selbst ausmalen, wie massiv die so genannte Autonomie des Einzelnen unter Druck geraten wird.
Eine Anwältin aus Oregon, einem US-Bundesstaat, der die Eu­thanasie erlaubt, schrieb: „Ein Teil der Familie wollte, dass der Vater eine tödliche Dosis nehmen sollte, der andere Teil war dagegen. Die letzten Monate seines Lebens verbrachte der Vater dazwischen traumatisiert, wegen der Frage, ob er sich nun töten sollte oder nicht. Schlussendlich ist er eines natürlichen Todes gestorben.“
Und dabei: Leben ist an sich wertvoll – auch mit Gebrechen. Das Leben mit Behinderung ist wertvoll. Auch im Leiden liegt Sinn. „Wie soll man heute der Zukunftsgeneration, die selber um ih­re Existenzberechtigung kämpft, weil sie nur kostet, erklären, dass es eine Gesellschaft reicher macht, Platz zu haben für das nicht Normale, für das Welke, für das Sterben; es gehört einfach dazu. Das ist ja, als würde man eine Jahreszeit wegkürzen, als würde man den Herbst abschaffen,“ sagte der Schauspieler Tobias Moretti 2007 auf einer Konferenz im Nazi-Euthanasiezentrum in Hartheim.
Die Würde des Menschen verlangt, dass wir alles daran setzen, jeden einzelnen liebevoll und eingebunden in eine soziale Struktur, kompetent und medizinisch bestens versorgt zu begleiten. So wollen wir ja auch einmal selbst behandelt werden.
Müssen wir unseren Umgang mit dem Sterben überdenken? Sterben muss zu Lebzeiten gelernt werden: Das gilt für den Sterbenden, der lernen muss zu verzeihen und geschehen zu lassen. Aber auch die Familie und das Umfeld müssen lernen, hinschauen zu können und da zu sein sowie die Hand des Sterbenden zu halten. Pfleger und Ärzte müssen lernen, wie ein Sterbender medizinisch und menschlich am besten betreut wird, wie man feinfühlig mit der Familie des Sterbenden umgeht.
Wenn es um das Sterben geht, werden wir alle plötzlich unsicher. Man will nicht mehr hinsehen, man hält es nicht aus. Man will abschließen, damit es vorbei ist. Aber vielleicht ist der Sterbende gerade im letzten Abschiednehmen, in einem Gespräch mit Gott... Je näher der Tod kommt, desto mehr ist uns der Mensch aus der Hand genommen.
Letztendlich liegt die Entscheidung über Leben und Tod nicht in unserer, sondern in Got­tes Hand. Niemand könnte diese Verantwortung tragen. Für Liebe, Fürsorge und Begleitung auf dem letzten Weg aber können und müssen wir bereit sein. Damit der Schutz des Menschen am Lebensende in Österreich erhalten bleibt, fordert eine parlamentarische Bürgerinitiative die Verankerung der österreichischen Rechtslage in der Verfassung. Nur so kann verhindert werden, dass neu entstehende Mehrheiten in ein paar Jahren die Euthanasie auch in Österreich einführen. Bis zum Herbst kann die Bürgerinitiative per Unterzeichnung auf der Webseite des Parlaments unterstützt werden (siehe Kasten).

Die Autorin ist Erstunterzeichnerin und Organisatorin der Bürger­initiative „An der Hand“.

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