Weil im Neuen Testament nur wenig über Maria berichtet wird, ist es eigentlich erstaunlich, welch großen Stellenwert die Gottesmutter in der katholischen Kirche hat: die vielen Marienfeiertage während des Kirchenjahres, die zahllosen Bilder und Statuen der Gottesmutter in Kirchen, Kapellen und am Wegrand, das tägliche Magnificat im Vesper-Gebet, der Angelus…
Viele halten das für übertrieben, typisch katholisch, eigentlich nicht zu rechtfertigen. Wie bedeutsam diese wenigen Stellen über die Jungfrau aus Nazareth jedoch sind, wird deutlich, wenn man das Buch Maria bereitet uns den Weg von Pfarrer em. Peter Dyckhoff liest. Schon das erste Kapitel „Marias persönliche Worte im Evangelium“ – es sind übrigens nur sechs, darunter das „Magnificat“ – eröffnet einen Blick auf die zentrale Bedeutung der Gottesmutter im Heilsgeschehen, macht deutlich, wie sehr sie Vorbild für die Nachfolge Christi ist.
Lesenswert, was der Autor über diese sechs Stellen zu sagen hat. In den Betrachtungen zu dem Wort: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“, klingt bereits eine zentrale Botschaft dieses Buches an: „Der Mensch kann nur Heil finden, wenn er auf Gottes Stimme horcht und den göttlichen Willen in seinem Leben verwirklicht,“ schreibt Dyckhoff. Es waren jedenfalls die Gedanken des Autors zu diesem Thema, die mich besonders angesprochen haben. Denn gerade in unserer Zeit, in der die Menschheit dazu übergegangen ist, alles nach eigenen Vorstellungen zu nutzen, zu gestalten und auszubeuten, kommt dieser Bereitschaft zur Hingabe an Gottes Willen besondere Bedeutung zu.
Dieses Thema der Bereitschaft, auf die Stimme Gottes zu hören, entfaltet Dykhoff in mehreren Kapiteln: In der „Hingabe Marias an den Willen und die Vorsehung Gottes“ findet „das Vorhaben Gottes“, Mensch zu werden, „nicht den geringsten Widerstand und kein Hindernis.“ Wir haben es nun einmal Maria zu verdanken, dass wir Gottes Stimme in den Worten Jesu Christi überhaupt zu hören bekommen konnten.
Es gäbe so viele Stellen, die ich gern aus dem Buch zitieren möchte. Weil der Platz hier beschränkt ist, begnüge ich mich mit einigen wenigen Zitaten, etwa mit jenem, wo Dyckhoff uns Maria als Vorbild für die Annahme des Willens Gottes vor Augen führt: „Nehmen wir, wie Maria es getan, Gottes Herausforderungen an, selbst wenn wir sie nicht einsehen oder durchschauen, und halten bejahend aus, dann wird das Ja Marias zum Willen Gottes auch zu unserem Lebensprogramm.“
Um zu dieser Haltung zu gelangen, legt uns der Autor das Ruhegebet ans Herz: „Der Betende tritt schweigend vor Gott und legt den Ertrag seines Lebens ihm zu Füßen – das sind all seine Taten, Worte Gedanken und Gefühle. Der Herr nimmt diese Gaben an und schenkt sie uns, um unseren Lebensauftrag in seinem Sinne zu vollziehen, verwandelt zurück. Voraussetzung ist, dass wir leer werden, das heißt, in Gott hineinsterben, um durch ihn und mit ihm und in ihm zu neuem Leben auferweckt zu werden…“
Ich belasse es bei diesen wenigen Zitaten. Sie mögen Ihnen, liebe Leser, Lust dazu machen, Pfarrer Dyckhoffs Buch selbst zu lesen.
Nur auf ein Kapitel (insgesamt sind es zwölf) möchte ich noch zu sprechen kommen: „Marias dreißig verborgene Jahre“. Es ist eine Zeit, über die wir aus den Evangelien fast nichts erfahren. Die Gedanken jedoch, die Dyckhoff über diese Periode anstellt, erscheinen mir besonders wertvoll. In diesen Jahren habe Jesus in jeder Altersstufe gelernt, wie er auf das Verhalten seiner Umwelt, „in der Liebe, die Gott selbst ist, zu antworten hat. Was er dreißig Jahre hindurch leben und lernen muss, das lehrt er später in der Bergpredigt. Wir dürfen sicher sein, dass Jesus nicht lehrt, was er nicht selbst gelebt.“
Für Maria seien diese Jahre ebenfalls ein Lernprozess gewesen: Sie waren „die notwendige Vorbereitung, um mit ihrem göttlichen Sohn Jesus Christus gleichförmig zu werden. (…) Dreißig Jahre verwandte Jesus darauf, das Herz seiner Mutter und ihr Wesen für das kommende Reich Gottes zu weiten und zu sensibilisieren für die Fragen, Nöte, Leiden, Ängste und Hoffnungen der Armen aller Völker – aller, die Gottes Erbarmen die gesamte Weltzeit hindurch suchen.“
Daher hat der Herr Maria nicht nur dem Jünger, den er liebte, sondern auch uns zur Mutter gegeben, denn sie war „zu einem reinen Spiegel der göttlichen Wesenheit geworden“, wie Dyckhoff abschließend feststellt. „Von hier aus dürfen wir die feste Zuversicht haben, dass Maria mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen worden ist“ – und für uns eintritt.
Maria bereitet uns den Weg. Biblische Meditationen über die Gottesmutter. Von Peter Dyckhoff, Herder-Verlag, 173 Seiten, 12,99 Euro.