Die uns heute so selbstverständliche kostenlose allgemeine Volksschule geht in ihren Ursprüngen auf einen Mann zurück, der seiner Zeit weit voraus war: auf den heiligen Josef von Calasanz, den Gründer der “Frommen Schulen" und damit des Ordens der Piaristen.
Er wurde um 1557 in Peralta in Aragonien, Spanien, geboren. Seine Eltern erzogen ihn zur Gottesfurcht und lehrten ihn das Gute in der Wissenschaft. Nachdem sein Wunsch, Priester zu werden, akzeptiert worden war, erhielt er eine ausgezeichnete Ausbildung - was damals für Priester keineswegs selbstverständlich war - und brachte es zum Doktor der Theologie. 1583 geweiht, schien er, glänzend begabt, vor einer steilen Karriere in der Kirchenhierarchie zu stehen: Er war Vertrauter von Bischöfen, Prokurator, Zeremonienmeister, kirchlicher Gesandter, bischöflicher Haustheologe, Generalvisitator.
Dem Karrieredenken seiner Zeit gemäß, ging er, ein durchaus tiefsinniger und frommer Priester, 1592 nach Rom, um seine Zukunft durch die Bewerbung um ein Amt als hoher kirchlicher Würdenträger abzusichern. So kam er in das Haus des einflußreichen Kardinals Colonna, der ihn überaus schätzen lernte. Selbstbewußt schlug er angebotene Kanonikate aus, weil sie ihm anscheinend nicht genügten. In gewisser Weise muß er in jenen Jahren eine noch recht zwiespältige Persönlichkeit gewesen sein, die es verstand, persönliche Frömmigkeit mit hohen, eitlen Ehren in Einklang zu bringen. Aber das entsprach nicht dem Plan Gottes mit ihm.
1594 schien er am Ziel seiner Wünsche zu sein, als ihm eine besonders gute Stelle in Aussicht gestellt wurde. Es stellten sich jedoch Schwierigkeiten bei dieser Besetzung ein, und es folgten Streitigkeiten, die sich bis 1597 dahinzogen. In dieser Zeit des Wartens blieb Calasanz nicht untätig, sondern seine natürliche Frömmigkeit führte ihn dazu, Mitglied mehrerer Bruderschaften zu werden.
Deren geistliche und soziale Aufgabenbereiche brachten ihn, der immer schon vom hl. Franziskus fasziniert gewesen war, aus der prunkvollen Umgebung des Palastes Colonna in die ärmsten Vierteln Roms. Dort lernte er unbeschreibliches Elend kennen. Er half bei Seuchen und Katastrophen nicht nur mit Worten des Trostes, sondern tatkräftig mit seinen reichlichen materiellen Ressourcen. In diesen Jahren erlebte er eine echte Umkehr: Der erfolgsgewohnte Karrierepriester wurde zum Diener der Armen.
Zunehmend begann er nachzudenken, wie der verzweifelten Situation der Armen, die der herrschenden Gesellschaft völlig gleichgültig war, abzuhelfen sei. Er sah, wie besonders die Kinder und Jugendlichen, völlig vernachlässigt, im geistigen, materiellen und moralischen Elend auf den Straßen verkamen, ohne Chance auf eine sinnvolle Zukunft. Ende 1596 glaubte er einer Lösung der Probleme nähergekommen zu sein: Es mußte ein den Armen zugängliches, unentgeltliches Schulsystem geschaffen werden, in dem sowohl religiöse Erziehung als auch grundlegende Fähigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen vermittelt würden.
Seine Bemühungen bei den offiziellen Stellen der Stadt brachten ihm zwar viel Lob und Anerkennung, aber keine Unterstützung. Auch jene Orden, die blühende Schulen für höhere Bildung führten, zeigten verbal zwar Verständnis, aber entweder standen Geldmangel oder die Ordensstatuten seiner Initiative entgegen. Zudem war der Schulbesuch ein Privileg der Begüterten, das diese als Ausdruck ihrer Vorrangstellung keinesfalls teilen wollten.
Da fand er im Herbst 1597 die Möglichkeit, in einer von einer Bruderschaft im Elendsviertel Trastevere geführten Armenschule der Kirche Santa Dorotea mitzuarbeiten. Schnell zeigten sich so große Erfolge, daß die Schule stark ausgeweitet werden mußte. 1600 bereits mietete er ein Gebäude im Zentrum Roms als neue Schule für mehrere hundert Kinder. Das enorme Wachstum überforderte jedoch die Bruderschaft, sodaß Calasanz selbst die volle Verantwortung für die Schule übernehmen mußte.
Das bedeutete den endgültigen Verzicht auf jede geistliche Karriere. Und so zog er 1601 aus dem prächtigen Palast Colonna in das Schulgebäude der - wie er sie nannte - “scuola pia", der “Frommen Schule". Um den Bestand der Schule zu sichern, gründete er eine neue Gemeinschaft, die Kongregation der Frommen Schulen. Erstaunlicherweise fand das Projekt überall Unterstützung, der Papst selbst und etliche Kardinäle halfen und zeigten höchstes Interesse. Alles schien zu blühen.
1604 begannen die ersten wirtschaftlichen Schwierigkeiten: Die Einkünfte wurden ungenügend, die Schule aber wuchs. So wurden Almosen die notwendige Quelle des Überlebens. Bald begannen die ersten Verleumdungen und Verfolgungen durch eifersüchtige Lehrer anderer Schulen, die um ihre Einkünfte fürchteten, Unverläßlichkeiten im eigenen Lehrkörper führten zu großen Problemen.
Andererseits schlossen sich Calasanz etliche äußerst interessante Leute an, die seine visionäre Kraft erkannten und das Werk durch großen persönlichen Einsatz förderten. 1612 zog Calasanz in das Kollegium von St. Pantaleon, auch heute noch das Mutterhaus des Piaristenordens.
Indes wuchs die Zahl der Schüler laufend, und Calasanz mußte daran denken, die Kontinuität und Zukunft der Schulen abzusichern. 1621 wurde seine einfache Kongregation zu einem Orden mit ewigen Gelübden erhoben, 1622 Calasanz für neun Jahre zum Generalsuperior bestellt.
Es ist erstaunlich, wie rasch sich Calasanz' Idee der gut organisierten “Frommen Schulen" ausbreitete, wie erfolgreich sie in verschiedenen Städten Italiens waren. 1631 gab er vorsichtig die Erlaubnis, auch in anderen Ländern Schulen zu gründen, konnte aber nicht allen Bitten und Einladungen entsprechen, weil er nicht genug verläßliches Personal bereitstellen konnte.
Dann kamen die Krisen. Streitigkeiten, Ehrgeiz und Bosheit begannen, das Werk von innen her zu zerstören. Besonders ein P. Mario Sozzi, dessen Intrigen sich über den ganzen Orden unheilvoll erstreckten, erlangte traurige Berühmtheit.
Calasanz verlangte von seinen Mitbrüdern, daß sie sich weiterbildeten, und so kam es, daß sich einige Ordensmitglieder mit seiner Billigung auch mit jenen Wissenschaftlern auseinandersetzten, die zu ihrer Zeit bahnbrechend wirkten, u. a. mit Galileo Galilei. Darin liegt auch die Ursache für die Schwierigkeiten, die Calasanz mit der Inquisition hatte; denn wiederum waren Sozzis Intrigen erfolgreich, der es verstand, den Orden in die Affäre Galilei hineinzuziehen. Das ging so weit, daß der 86-jährige Calasanz auf Befehl des durch die Verleumdungen Sozzis irregeleiteten Heiligen Offiziums verhaftet wurde. Wenn auch die Haltlosigkeit der Anklagen schnell bewiesen wurde, schritt die Zerstörung des Ordens nahezu ungehindert voran.
1646 wurde Calasanz abgelöst, der Orden aufgelöst und zur einfachen Kongregation degradiert. Mit dem Verbot, neue Mitglieder aufzunehmen, war das Werk der “Frommen Schulen" praktisch tot. Der schwer getroffene Calasanz aber, der in all der Not seine Zuflucht zum Gebet für seine Feinde genommen hatte, appellierte an die Mitbrüder, standhaft und guten Mutes zu sein. Er schrieb: “Seid überzeugt, daß unser Institut am Leben bleiben wird ... Solange ich atme, werde ich hoffen ..., weil ich das Werk ... aus reiner Gottesliebe geschaffen habe".
Vorerst aber waren nicht einmal einflußreiche, gegen die Vorgänge in Rom protestierende Stimmen aus dem Ausland imstande, das Netz von Intrigen und Verleumdungen zu zerreißen. Erst nach Calasanz' Tod im August 1648 begann sich das Blatt zu wenden und die Gemeinschaft ab 1656 langsam wiederzuerstehen.
Calasanz wußte: Weder Katechismus noch Wissen allein befreien die Menschen aus ihrer Not und inneren Sklaverei. Beides, die Bildung des Geistes durch eine grundlegende Wissensvermittlung und die Bildung des Herzens, die religiöse Erziehung zu Liebe und Ehrfurcht vor Gott, die den Menschen zum Guten führt, sind notwendig.
Sein Werk mußte zerschlagen werden, weil sein Konzept zu wahr, zu wirksam für die Befreiung des Menschen aus den Fesseln des Egoismus der “Welt" war. Heute können wir schmerzlich erkennen, wie recht er hatte, wie sehr eine säkularisierte, höchstens von einer diffusen Ethik übertünchte Erziehung die Menschen innerlich von neuem verarmt und schwächt.
Für uns aber liegt in Calasanz' Leben und scheinbarem Scheitern eine wesentliche Botschaft: Wenn unser Mühen, ob in Familie oder Beruf, auch oft so vergeblich erscheint - wenn wir für Christus, aus Gottesliebe arbeiten, können wir nicht wirklich scheitern. Nicht für immer.