Am Ende dieses Schwerpunktes ist die Feststellung angebracht, daß der wichtigste Ort, den Glauben weiterzugeben, die Familie ist. Das ist keine fromme Familien-Ideologie, sondern eine Tatsache, um die man nicht herumkommt, wenn man die Dinge nüchtern betrachtet.
Die Kinder nehmen nämlich unweigerlich auf, wie die Eltern leben, was sie für wichtig halten, wie sie miteinander umgehen, wie sie Konflikte austragen und lösen... Und weil das kindliche Lernen viele Jahre hindurch allein davon geprägt ist, das Verhalten, Sprechen und Argumentieren der Umgebung einfach nachzuahmen, prägt sich das elterliche Denken und Tun tief ins Wesen der Kinder ein.
Wenn wir heute vor der Situation stehen, daß breite Schichten der Jugend in Europa den Kontakt zum Glauben gänzlich verloren haben, so können wir das nicht nur einer fehlgeleiteten Politik, dem zerstörerischen Einfluß der Medien, dem Versagen des Religionsunterrichts, der zweifelhaften Lehre diverser Theologen zuzuschreiben. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß mit der Weitergabe des Glaubens in der Familie vieles schiefgelaufen ist - und immer wieder schiefläuft.
Da ist zunächst die Vorstellung, das Wichtigste an der Weitergabe des Glaubens sei die Vermittlung von Wissen. Keine Frage, daß dieses Anliegen von großer Bedeutung ist. Daher sind gute Behelfe wie die Glaubensbücher (Seite 6) auch so wichtig. Beschränkt man sich aber darauf, Bibelwissen zu vermitteln und Heiligengeschichten zu erzählen, so reicht das nicht. Vor allem dann nicht, wenn die Kinder den Eindruck bekommen, all das werde nur für die Kinder veranstaltet: Die Eltern lesen zwar aus der Kinderbibel vor, aber nie selbst in der Bibel. Die Eltern erzählen zwar Heiligengeschichten, haben aber selbst keinerlei Bezug zu einem Heiligen.
Ähnlich ist es mit dem Beten. Auch da wird es nicht selten vorkommen, daß mit den Kindern zwar vor dem Einschlafen gebetet wird, daß sie aber nie oder nur selten erleben, daß Vater oder Mutter allein oder gemeinsam beten. Oder es passiert das, was ich jahrelang praktiziert habe: Ich verordnete vor den Mahlzeiten Gebet - aber als Ritual. Mehr oder weniger gedankenlos heruntergeratscht, gehörte das Beten zum Essen wie das Tischdecken. Im Gasthaus fand es nur in Andeutungen statt, etwas verschämt, weil als peinlich empfunden. Ich wußte ja, was sich für eine christliche Familie gehört.
So wichtig Rituale sind - und das Beten vor dem Essen ist ein wichtiger Ausdruck der Dankbarkeit -, so irreführend können sie sein, wenn nur die äußere Hülle bleibt. Erst nach Jahren ist mir bewußt geworden: Du selbst mußt vor dem Essen beten - und nicht ein Gebet veranstalten!
Die Kinder spüren nämlich den Unterschied. Sie haben ein feines Sensorium dafür, ob der Glaube zu Hause veranstaltet oder gelebt wird. Nur auf letzteres aber kommt es an. Das wissen, Gott sei Dank, immer mehr junge Ehepaare, die sich gemeinsam auf den Weg des Glaubens gemacht haben. Sie stellen sich der Herausforderung, im heftigen Gegenwind des Zeitgeistes daheim als Hauskirche zu leben, gemeinsam zu beten, um Kraft für den Alltag zu tanken und Versöhnung zu feiern, im Leben umzusetzen, was sie der Glaube lehrt.
Dann können Kinder die entscheidenden Erfahrungen machen, die sie ein Leben lang begleiten werden:
Gott ist unter uns gegenwärtig. Wir sprechen mit Ihm. Wir erfahren, daß er unter uns wirkt.
Leben gelingt nur, wenn man einander verzeiht. Die Eltern verzeihen einander und sie verzeihen der Kindern. Die Kraft zur Vergebung erhalten sie von Jesus Christus.
Leben ist nur möglich, wenn man miteinander teilt - in der Familie, aber auch mit anderen, die Hilfe dringend benötigen. Die Eltern sorgen für ihre Kinder, aber nicht nur für sie, weil der Herr sich aller annimmt.
Jeder von uns ist unbedingt geliebt, weil wir zueinander stehen, auch wenn es schwierig ist. Die Eltern halten zueinander in guten und schlechten Tagen, weil Jesus sie stärkt. Sie stehen zu uns, auch wenn wir es überhaupt nicht verdienen, weil auch Gott ein barmherziger Vater ist.
An dieser Stelle muß ich allerdings hinzufügen: Auch ein in lebendigem Glauben verbrachtes Familienleben ist keine Gewähr dafür, daß sich die Kinder für Christus entscheiden. Wie viele Eltern müssen erleben, daß sich die Kinder vom Glauben, den sie zu Hause erlebt haben, verabschieden und unfaßbare Umwege gehen. Welches Leid für die Eltern!
Auch ihnen gelten jedoch die Worte der Zuversicht, die Papst Johannes Paul II. einmal zu Kardinal Edouard Gagnon gesagt hat: Die Wahrheit hat eine eigene Gnade. Sie begleitet den, der sie gehört hat in seinem Leben, um ihm im rechten Moment zuhilfe zu kommen." Wenn diese Verheißung schon für das gesprochene Wort gilt, um wieviel mehr wird es für jene Wahrheit gelten, die lebendig erlebt worden ist. Menschen, die in ihrer Kindheit Gott begegnet sind, tragen diese Erfahrung wie einen Stachel im Fleisch mit sich herum. Sie verfügen über einen Kompaß, der ihnen zur rechten Zeit den Weg heim zum Vater weist.
Christof Gaspari