Alain Kreis, ein evangelikaler Christ, leitet ein Zentrum zur Drogenprävention in der Schweiz. Seit mehr als 20 Jahren betreut er Jugendliche, nachdem er selbst nach Rock- und Alkoholexzessen in der Drogenszene gelandet war. Erst die Begegnung mit Jesus Christus und eine innere Heilung beendeten seinen Kreuzweg.
Wie weit haben Sie selbst mit Drogen Erfahrung gemacht?
Alain Kreis: Ich habe Haschisch geraucht und einige Erfahrungen mit LSD und Medikamenten gemacht. Beim Opium habe ich halt gemacht. Ich war drauf und dran Heroin zu nehmen, als ich dessen Folgen bei Freunden bemerkte. Schrecklich. Da habe ich mir gesagt: “Hör auf damit, dieser Weg führt in die Selbstzerstörung." Und dabei wollte ich ja leben, einen Weg finden und mich nicht aus Verzweiflung selbst zerstören.
Sind Sie von den sogenannten sanften zu den harten Drogen gekommen?
Kreis: Die Unterscheidung nach harten und sanften Drogen erscheint mir künstlich - selbst wenn man eine gewisse Einteilung der Risken vornehmen muß. Damit verwischt man das eigentliche Problem: Beim Haschisch gibt es zwar keine Überdosis wie beim Heroin, auch nicht dieselbe körperliche Abhängigkeit, das stimmt, aber es kann eine richtiggehende psychische Abhängigkeit erzeugen - wie übrigens auch der Alkohol und manche Medikamente. Insofern ist es gefährlich. Denn die psychische Abhängigkeit ist schlimmer: Sie bekommen ein wirkliches Bedürfnis nach dem Produkt, um glücklich zu sein, damit Sie sich in ihrer Haut wohlfühlen. Und in diese Abhängigkeit kann man sehr schnell geraten. Das hängt von der Persönlichkeit, dem Alter, der Schwäche der Person ab...
Doch nicht, wenn ich ab und zu einen Joint rauche?
Kreis: Das ist sehr heikel. Selbst wenn Sie nur wenig verbrauchen, riskieren Sie, einer bestimmten Geisteshaltung zu verfallen, in eine “Drogenkultur" zu geraten. Hasch - ich rede gar nicht von anderen Drogen - ist nicht nur ein toxisches Produkt, es ist eine ganze Welt, ein Universum mit Riten, Beziehungen, mit einer Lebensanschauung. Daher ist es auch so schwer, da wieder herauszufinden. Ich bin der protestantische Pastor in einem Rehabilitationszentrum für Drogensüchtige. Wie oft sehe ich da Jugendliche, seit eineinhalb Jahren entwöhnt, die an einem Wochenende rückfällig werden, weil sie in ihrem Kopf und in ihrem Herzen die Bande, die sie mit bestimmten Freunden und mit der Drogenkultur verbunden hat, nicht zerschnitten hatten. In der Pubertät und in der Vorpubertät spielt das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gruppe eine enorme Rolle. Daher müssen die Eltern sehr aufmerksam sein, was die Beziehungen, die Freunde, die Gruppe, zu denen es ihre Kinder zieht, anbelangt.
Stimmt es, daß eine Entkriminalisierung von Haschisch, also kein Verbot mehr, die Faszination der Übertretung beseitigt?
Kreis: Wenn Sie die Strafe abschaffen - wie wollen Sie dann den Jugendlichen erklären, daß es nicht guttut, wenn es doch legal ist? Wie werden die Erwachsenen dann argumentieren? Welche Autorität wird der Staat besitzen, wenn er zum offiziellen Dealer wird?
Was raten Sie Eltern, die feststellen, daß ihre Kinder haschen?
Kreis: Vor allem: nicht dramatisieren und sich nicht in moralisierenden Predigten verlieren. Manche Jugendlichen rauchen auch nur einmal, aus Neugierde, ohne in die teuflische Spirale zu geraten. Wohl aber: herausfinden, ob es zu regelmäßigem Haschen kommt, und dann einen Spezialisten um Rat fragen, bevor man handelt. Im allgemeinen gibt es Anzeichen, die die Not erkennen lassen, es gibt körperliche Symptome: rote Augen, geweitete Pupillen, ein scharfer Geruch... Die Persönlichkeit des Jugendlichen ändert sich. Er ist nicht unbedingt traurig oder niedergeschlagen, er kann euphorisch sein. Er geht immer öfter aus, igelt sich aber daheim im Zimmer ein, wird zunehmend passiv. Meist fallen die schulischen Leistungen ab, manchmal sehr massiv. Da dürfen die Eltern weder die Brücken abbrechen, noch die Lage banalisieren. Letzteres tun übrigens viele, um dem Konflikt auszuweichen und sich in Sicherheit zu wiegen. Der Jugendliche wird in diese Richtung tendieren: “Ihr trinkt eben und ich rauche. Na und..."
Gibt es ein Patentrezept, um ein Kind von den Drogen wegzubringen?
Kreis: Nein. Der Schlüssel ist die bedingungslose Liebe - und eine grenzenlose Geduld. Manchmal wird ein richtiggehender Milieuwechsel das beste sein. Das Kind aus den Einflüssen, denen es sich nicht selbst entziehen kann, herausholen. Die Eltern müssen versuchen, es fühlen zu lassen, daß das Problem in seiner inneren Gebrochenheit liegt, in seiner Zerbrechlichkeit. Und ihm zu verstehen geben: sollte es weiterrauchen, werde es mehr und mehr von dem Stoff brauchen, um sich wohlzufühlen, inneren Frieden zu haben. Besser wäre, sich selbst anzuschauen und den Versuch zu unternehmen, das Leben so zu lieben, wie es nun einmal geschenkt ist. Denn darin liegt das Glück.
Auszug aus Famille Chrétienne v. 17.7.97