Juden und Christen - eine 2000-jährige leidvolle Geschichte. Tritt sie jetzt in eine neue Phase ein? Die steigende Zahl von Juden, die Jesus als Messias bekennen, eröffnet hoffnungsvolle Perspektiven für einen zukunftsträchtigen Dialog von Christen und Juden.
Wir “Heidenchristen" (also die Gläubigen aus den nichtjüdischen Völkern) waren über Jahrhunderte überzeugt, daß Gott sein Volk Israel endgültig verworfen hat, und daß wir nun als das “wahre Israel" das alte Israel abgelöst und seine Verheißungen geerbt haben. Man nennt dies Ersatz- oder Enterbungstheologie. Die Spaltung war so groß, daß Juden, die Christen werden wollten, allem Jüdischen abschwören mußten. Die Vorstellung, daß Gott sein “ungläubiges" Volk verstoßen hat, führte zu schrecklichen Verfolgungen.
Das letzte Konzil hat gegen den Widerstand der arabischen Konzilsväter diese Irrlehre abgelehnt und betont, daß Gottes Verheißungen unwiderruflich sind, und daß Israel das auserwählte Volk Gottes bleibt.
Israel bleibt der edle Ölbaum, in den wir “Heidenchristen" als Zweige des wilden Ölbaumes eingepfropft sind (siehe Röm 11,13ff). Sie sind der Kern des Gottesvolkes, wir die Zugewanderten (Eph 2,11ff).
In unseren Tagen ist Gott dabei, diese Spaltung zwischen Juden und Nichtjuden, die allen späteren Kirchenspaltungen zugrunde liegt, zu heilen. Das zeigt das wachsende Interesse der Juden an Jesus.
Immer mehr Juden kommen zum Glauben an Jesus als den Messias Israels und den Heiland der Völker. In den USA schätzt man über 200.000 “Messianische Juden", in Israel rund 5.000, dazu noch viele weitere, welche ihren Glauben noch nicht öffentlich zu bekennen wagen.
Früher blieb den wenigen Juden, die zum Glauben an Jesus kamen, meist nichts anderes übrig, als sich einer traditionellen Kirche anzuschließen. Heute bilden sie mehrheitlich eigene judenchristliche (messianische) Gemeinden, verstehen sich aber nicht als von den übrigen Christen gesonderte Konfession, sondern wissen sich auf voller neutestamentlicher Basis mit uns im einen Leib Christi verbunden.
Sie sehen sich als das Wiederaufleben der alten jüdischen Mutterkirche, die noch voll in der jüdischen Tradition verwurzelt war. Dieser Aufbruch unter den Juden stellt eine große Herausforderung an uns “Heidenchristen" dar.
Ab 1995 trafen sich in Amerika messianische jüdische Gemeindeleiter mit Repräsentanten evangelikaler Kirchen, welche sich dieser Herausforderung stellten. Sie wählten das Leitbild eines “Zweiten Jerusalemkonzils". Das erste “Jerusalemkonzil", beschrieben im 15. Kapitel der Apostelgeschichte, regelte das spannungsreiche Zusammengehen der jüdischen Gläubigen mit den durch die Missionstätigkeit des Paulus neu dazugekommenen Heidenchristen.
Konservative Judenchristen meinten damals, die zum Glauben gekommenen Nichtjuden müßten zuerst gesetzestreue Juden werden, um volle Jünger Jesu zu sein. Das Konzil entschied, daß die Heidenchristen nicht das “Joch" der jüdischen Lebensweise auf sich nehmen müssen, aber alles vermeiden sollen, was das geschwisterliche Zusammenleben von jüdischen und nichtjüdischen Gläubigen behindert.
In seinen Briefen bestätigt Paulus, daß zur vollen Kirche Jesu das sich ergänzende Zusammengehen von Juden und Nichtjuden gehört. Die jüdischen Gläubigen haben durch ihr Sondersein in der Kirche Jesu die Verbindung mit den jüdischen Wurzeln wachzuhalten und Jesus als Juden zu bezeugen.
In der sich heute weltweit verbreitenden Vision eines zweiten Jerusalemkonzils geht es ebenfalls um die spannungsreiche Beziehung von Juden und Nichtjuden in der einen Kirche Jesu, aber in umgekehrtem Sinn. Da haben sich die “Heidenchristen", zu fragen, wie sie den einst verdrängten “Judenchristen" wieder so Raum geben können, daß diese, ohne unnötig durch unsere heidenchristlichen Traditionen eingeengt zu werden, ihre Zeichenfunktion ausüben können. Es ist wie in einer Ehe, wo Mann und Frau ihre verschiedene Ausprägung behalten, obwohl sie “ein Leib" sind und sich ergänzen (vgl. Gal 3,28; Eph 2,15ff).
Ein neues Jerusalemkonzil soll also wiederum Juden und Nichtjuden unter dem einen Haupt und Erlöser vereinen und uns näher mit der Jerusalemer Muttergemeinde und unseren jüdischen Wurzeln verbinden.
Diese Vision ist nicht neu. Schon nach dem letzten Konzil äußerte Kardinal Léon-Joseph Suenens die Hoffnung, daß das nächste Konzil in Jerusalem stattfinden wird, in der Überzeugung, daß das Zentrum des Gottesvolkes, wo die getrennten Stränge wieder zusammenzukommen haben, Jerusalem ist. Auch der gegenwärtige Papst äußerte sich in diesem Sinn.
In den letzten Jahren fanden auch auf unserem Kontinent unter dem Leitbild eines neuen Jerusalemkonzils verschiedene Konferenzen und Begegnungen statt: in Rom (mit Kardinal Joseph Ratzinger und Walter Kasper), in schweizerischen Emmetten, in Prag und anderswo.
Eine hoffnungsvolle Konferenz in Wien fand nun vom 17. bis 20. Februar in Wien statt: die Konsultation “Toward Jerusalem Council II" (Auf dem Weg zum zweiten Jerusalemkonzil). Unter ihrem Eindruck schreibe ich diesen Bericht. Die rund 50 Teilnehmer kamen aus 16 Nationen und aus verschiedenen Denominationen.
Angesichts der Vielfalt der Teilnehmer, sowohl nach kultureller wie nach konfessioneller Herkunft, war das Gelingen nicht selbstverständlich. Wesentlich zum Gelingen trugen die Fürbittergruppe Umkehr zum Herrn aus Wien, sowie das Lobpreisteam aus Frankreich bei. Der charismatische Lobpreis führte die Herzen zusammen und ließ spüren, daß der Pfingstgeist am Werk ist.
Ein Höhepunkt war der Beitrag des Wiener Kardinals Christoph Schönborn, der aus dem Weltkatechismus, dessen Endfassung er besorgt hatte, die kostbaren Stellen über unsere christliche Verwurzelung im jüdischen Gottesvolk kommentierte. Dabei gab er auch Zeugnis von seiner persönlichen Liebe zu den jüdischen, “älteren Brüdern" (siehe dazu das Stichwortverzeichnis des Katechismus unter “Israel - Israeliten").
In einer vom Tagungsteam ausgearbeiteten Erklärung heißt es: “Wir glauben, daß diese Versöhnung zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Christus-Gläubigen eine Erfüllung des Gebets von Jesus in Joh 17,21 sein wird, und daß die Versöhnung eine neue Dynamik für die Einheit unter den heidenchristlichen Gläubigen herbeiführen wird. Voller Vertrauen hoffen wir, daß dieses Werk der Versöhnung eine große Welle der Evangelisation und die Wiederherstellung von Gerechtigkeit unter den untereinander gespaltenen Völkern der Erde auslösen wird."
Sie alle, liebe Leserinnen und Leser, sind eingeladen, zu dieser Dynamik beizutragen, “damit alle eins seien, damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast".
Der Autor ist Pater im Kapuzinerkloster, CH-4601 Olten.
Die theologischen Grundlinien und die Geschichte der Konferenz skizziert eine Kleinschrift des katholischen Theologen Peter Hocken. Diese Schrift ist zu beziehen bei: Friederike Turecek, Am Krautgarten 21/6, A-1220 Wien.