Eine gut katholische Familienmutter klagt mir ihr Leid. Sie habe neun Kinder. Das jüngste, heute vier Jahre alt, habe sie im Alter von 46 Jahren bekommen. Und der Frauenarzt habe ihr jüngst bestätigt, daß sie auch weiterhin fähig sei, erneut Mutter zu werden. Dazu, meint diese Frau, habe sie keine Kraft mehr. Erst die drei Ältesten seien in der Berufsausbildung - und dennoch weiterhin zu Hause. Die Schule macht so viel Mitarbeit nötig. Sie habe keine Hilfen. Bei aller Freude an den Kindern sei sie doch seelisch und körperlich enorm überfordert. Sie und ihr Mann seien streng gläubige, praktizierende Katholiken. Verhütungsmittel kämen für sie nicht in Frage, und mit der natürlichen Empfängnisregelung habe sie es vergeblich versucht.
“Ich glaube, ich bin einfach ohne Unterbrechung fruchtbar wie ein Karnickel", sagt sie sarkastisch. Aber ihre Furcht vor einer weiteren Schwangerschaft wirke sich negativ auf ihre Intimbeziehung aus. Ihr Ehemann habe für ihre Abwehr keinerlei Verständnis. “Wenn du wirklich eine gut katholische Ehefrau sein willst, hast du kein Recht, mich abzuweisen," sagt er. “Auch ich habe mich auf jeden Fall dem Willen Gottes zu beugen und den Kindersegen demütig aus Seiner Hand anzunehmen."
“Mit ihrem Mann sollte ein Priester ein Gespräch über den Willen Gottes führen," antworte ich. “Gewiß, ,Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden', beten wir im Vaterunser. Aber läßt sich das so interpretieren, als sei es die Pflicht des Ehemannes, gewissermaßen ohne Unterlaß Kinder zu zeugen?"
Der Weltkatechismus gibt uns da eine ganz andere Richtung vor. Da heißt es gleich im ersten Absatz des Kommentars zu dem Passus des Herrengebetes “Dein Wille geschehe" (§ 2822): “Sein Gebot, das alle anderen zusammenfaßt und uns seinen Willen offenbart, lautet: ,Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben!' (Joh 13,34)."
Was versteht nun Christus, der diese Worte zu Seinen Jüngern spricht, unter Liebe? Es ist ganz unzweifelhaft, daß Er darunter gewiß grundsätzlich gerade nicht ein hemmungsloses Ausleben der Triebe meint - auch nicht in der Ehe. Christus lebte vielmehr von Anfang bis zum Ende Seines Lebens eine Liebe vor, die den Egoismus überwindet, diesen opfert - für die Ihm anvertrauten Nächsten.
“Dein Wille geschehe" - das heißt in diesem Bereich für den Christen, daß ein Lieben gemeint ist, das Rücksicht nimmt. Es geschieht nicht der Wille unseres Gottes, wenn eine Ehefrau zum Intimverkehr genötigt wird mit der Begründung, daß das im Sinne des Glaubens der Kirche sei.
Das Beharren des Papstes auf die Verweigerung der Verhütungsmittel enthält vielmehr einen hohen christlichen Anspruch ganz besonders an die Ehemänner: durch Rücksicht, gegebenenfalls durch Enthaltsamkeit das Liebesgebot zu verwirklichen und gerade damit den Willen unseres Gottes zu erfüllen.
Daß unserer Zeit dafür der Sinn abhanden gekommen ist, ist kein Beweis für die Richtigkeit der Vorstellung, daß praktizierte Sexualität um jeden Preis von der Wiege bis zur Bahre das höchste Lebensziel sei. Diese Devise erhebt einen einzelnen Antrieb des Menschen - die Sexualität - zu ihrem Götzen. Gott hat uns aber gelehrt, an den Früchten die Wahrheit zu erkennen. Die Überbewertung der Sexualität aber hat traurige Früchte in Massen erzeugt.
Sexuelle Lust allein ist also nicht gleich der Fähigkeit zu lieben. Sie ist Beigabe zu jener Triebbetätigung, die das Fortbestehen der Menschheit absichert. Darauf aber richtet sich die Sehnsucht des Menschen, und das auch ist der Wille Gottes: Durch die Vereinigung mit einem Du, sich mit- und füreinander verantwortlich, dem Leben und seinen Aufgaben zu stellen.