VISION 20003/2003
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Vor wichtigen Entscheidungen Gott fragen

Artikel drucken Über die vielen Möglichkeiten, den Willen Gottes zu erkennen (Von Peter Egger)

Bei jedem “Vater unser" sagt der Beter zu Gott die Worte: “Dein Wille geschehe". Wer macht sich allerdings schon wirklich klar, was er mit diesen schwerwiegenden Worten zum Ausdruck bringt?

Wenn wir nämlich daran denken, daß wir in jeder Situation nach dem Willen Gottes fragen sollten, dann wird uns vielleicht bewußt, wie weit wir von der Erfüllung dieser Worte entfernt sind. Es ist doch in den meisten Fällen so, daß wir versuchen, unseren eigenen Willen durchzusetzen. Und damit uns das besser gelingt, wenden wir uns an Gott und bitten ihn, daß Er uns dabei helfe. Es geht also meistens nicht um den Willen Gottes, sondern um unseren eigenen Willen. Gott ist oft nur der Erfüllungsgehilfe für unseren eigenen Willen.

Wenn wir die Worte im “Vater unser" aber wirklich ernstnehmen, dann müssen wir unser ganzes Leben radikal umstellen. Dann muß uns bewußt werden, daß wir nicht selbst das Maß der Dinge sind, sondern daß Gott das Maß der Dinge ist. Das bedeutet, daß wir nicht mehr selbst im Zentrum unseres Lebens stehen dürfen, sondern daß Gott das Zentrum unseres Lebens sein muß.

Weiters kommt dazu, daß wir uns vor der Autorität Gottes beugen und bereit sein müssen, uns Seinem Willen zu unterwerfen.

Sobald einmal die grundsätzliche Entscheidung gefallen ist, Gott als oberstes Maß anzuerkennen und Seiner Autorität zu gehorchen, steht der Mensch vor der nächsten grundsätzlichen Frage: Wie ist es überhaupt möglich, den Willen Gottes zu erkennen?

Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten: Eine erste besteht darin, daß man sich bei seinen Entscheidungen an den Zehn Geboten orientiert. In vielen Fällen sagen uns die Zehn Gebote mit ihren verbindlichen Grundwerten sehr genau, was Gott von uns will.

In vielen Fällen kann uns auch die Heilige Schrift behilflich sein, den Willen Gottes zu erkennen. Die Heilige Schrift beinhaltet viele Aussagen und Anweisungen, die uns zeigen, was Gott in bestimmten Situationen von uns erwartet. Auch das Gebet kann uns helfen, den Willen Gottes zu erkennen: Wenn wir uns im Gebet über längere Zeit fragen, was Gott von uns will, dann erhalten wir in unserem Gewissen meistens auch eine klare Antwort.

Eine zusätzliche Hilfe kann auch das Gespräch mit einem guten Priester oder Laien sein, mit Menschen, die uns aufgrund ihrer inneren Nähe zu Gott und ihrer vertieften Lebenserfahrung eine klare Auskunft im Hinblick auf den Willen Gottes geben können.

Gelegentlich setzt die Suche nach dem Willen Gottes auch voraus, daß wir uns in gründlicher Weise mit der Lehre der Kirchen auseinandersetzen. Es gibt kaum ein aktuelles Thema, das nicht vom kirchlichen Lehramt behandelt wurde. Die vielen Lehrschreiben der Päpste enthalten auch zu brisanten Fragen klare Aussagen, die dem Menschen helfen, den Willen Gottes mit Sicherheit zu erkennen.

Diese grundsätzlichen Überlegungen seien im folgenden anhand einiger praktischer Beispiele für ein Leben nach dem Willen Gottes anschaulich gemacht.

Das Streben nach dem Willen Gottes zeigt sich zunächst einmal darin, daß wir uns bemühen, beim Umgang mit den Mitmenschen nach dem Willen Gottes zu fragen. Das bedeutet konkret, daß wir uns bei der Begegnung mit einem Menschen fragen müssen, wie wir jetzt nach dem Willen Gottes diesen Menschen behandeln sollen.

Eine solche Sichtweise der Dinge führt dazu, daß man die Menschen nicht nur als Objekte der eigenen Interessen betrachten kann, sondern daß man in ihnen Söhne und Töchter Gottes zu sehen beginnt. Dann können wir sie eigentlich auch nicht mehr als nützliche Idioten und als Objekte unserer eigenen Interessen mißbrauchen, sondern müssen sie ganz im Sinne Gottes schätzen und lieben. Auch gilt es dann, die eigenen Interessen zurückzustellen und den anderen mit eigenen Gaben zu dienen.

Ein besonderes Beispiel für ein Leben nach dem Willen Gottes ist die Partnerwahl: Wenn ein junger Mann oder eine junge Frau einen möglichen Partner ins Auge faßt, sollte er sich als Christ auch fragen, ob dieser Partner vor Gott der richtige ist. Das heißt, es steht die Frage im Raum, ob Gott mit dieser Wahl einverstanden sein kann und ob diese Wahl nach dem Willen Gottes ist.

Es wird sich dann zeigen, daß viele Männer und Frauen nicht als Partner in Frage kommen, weil sie bestimmte Voraussetzungen für eine Ehe im Sinne Gottes nicht erfüllen. Wenn ein junger Mensch bereit ist, gerade bei der Partnerwahl nach dem Willen Gottes zu fragen, wird er eine weitaus tiefere und überlegtere Wahl treffen, als wenn er dabei nur seinen eigenen Willen berücksichtigt.

Ein weiterer Anwendungsfall für das Suchen nach dem Willen Gottes ist die Berufswahl. Wenn sich ein junger Mensch bei der Entscheidung über seinen zukünftigen Beruf neben seinen Neigungen und Begabungen auch von der Frage leiten läßt, was denn nun vor Gott die richtige Wahl wäre, so wird er zu sinnvolleren Entscheidungen kommen, als wenn er sich nur von irdischen Gesichtspunkten wie Geld und Prestige leiten läßt.

Wenn er sich bei seiner Berufswahl fragt, welchen Sinn sein Beruf im Hinblick auf seine eigene Menschwerdung, auf die Gesellschaft und vor allem im Hinblick auf das Reich Gottes hat, dann wird er dabei auch Gesichtspunkte entdecken, die er bei einer rein irdischen Entscheidungsfindung kaum berücksichtigen würde.

Wer sich wirklich nach dem Willen Gottes fragt und seinen Beruf auch im Hinblick auf Gott sieht, empfindet seinen Beruf nicht nur als Job, sondern als Berufung. Er spürt dann, daß Gott ihm bestimmte Begabungen geschenkt hat, die er im Sinne Gottes einsetzen soll. Seine Gaben werden dann zu Auf-Gaben im Auftrag Gottes. Das stärkt dann auch die Verantwortung für die Mitmenschen, für die er ja im Grunde genommen seine Begabungen erhalten hat. Wer so an seine Berufsentscheidung herangeht, ist dann wohl auch offen für eine geistliche Berufung und bereit, dem Willen Gottes auch auf diesem Weg zu folgen.

Wer ganz nach dem Willen Gottes leben will, muß auch lernen, Gott gegenüber möglichst passiv zu sein. Solange wir nämlich nur von unseren eigenen Plänen und Vorstellungen erfüllt sind, ist es für Gott sehr schwierig, in unser Leben einzutreten und uns nach Seinen Plänen zu führen. Je passiver ein Mensch Gott gegenüber ist, desto eher ist er bereit, sich bedingungslos von Ihm führen zu lassen. Dabei ist das Bewußtsein wichtig, daß die Pläne, die Gott mit uns hat, viel großartiger und wunderbarer sind als alles, was wir uns so selbst zurechtlegen.

Manchmal greift Gott auch sehr massiv ein, um unsere eigenen Pläne zu stoppen: Das kann durch eine Krankheit, einen Unfall oder einen Mißerfolg geschehen. Durch solche Erfahrungen ist der Mensch gezwungen, die Nichtigkeit eigener Pläne zu erkennen und sich der Anrufung Gottes zu öffnen.

Bei vielen Heiligen hat Gott dieses Mittel angewendet und ihnen auf schmerzhafte Weise alles genommen, um sie dazu zu bewegen, ganz nach Seinem Willen zu fragen. So wurden diese Menschen zu brauchbaren Werkzeugen Seines Willens und zum Segen für unendlich viele.

Bei unseren Planungen und Überlegungen sollten wir immer wieder fragen, ob unser Streben wirklich dem Willen Gottes entspricht. Nur wenn wir bewußt nach dem Willen Gottes leben, können wir auch zum Werkzeug Gottes werden. Auf diese Weise wird dann unser Leben zu einem lebendigen Lobpreis für Gott. Gleichzeitig können wir für viele Menschen zum Segen werden und unser Heil und Glück finden. Daher ist es von so entscheidender Bedeutung, immer wieder ganz bewußt zu beten: “Dein Wille geschehe."

Der Autor ist Professor an einem Gymnasium in Brixen und sehr engagiert in der katholischen Erwachsenenbildung.

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