Auf den ersten Blick hat mich diese 59-seitige vatikanische Instruktion etwas befremdet. Ich fühle mich in meiner freilich erst kurzen Erfahrung als Benediktiner von den im Dokument festgehaltenen überhöhten Ansprüchen nicht wirklich getroffen, ja überfordert: “eine wichtige pädagogische Rolle für das gesamte Volk Gottes einzunehmen", “konkretes Abbild des Handelns Jesu" zu sein, einen “offenen Protest gegen eine unmenschliche Welt" und dadurch “eine geistliche Therapie für die Übel unserer Zeit" darzustellen.
Neubeginn in Christus dringt mit seinem programmatischen Untertitel “Ein neuer Aufbruch des geweihten Lebens im dritten Jahrtausend" jedoch sehr wohl in die Tiefenschichten des Ordenslebens vor und stellt die drängende Frage nach seinem Sinn und seiner Qualität heute. Ist es überhaupt noch ein sichtbares Zeugnis, “das fähig ist, Jugendliche anzuziehen"?
Manchmal habe ich den Eindruck, daß die Klöster in uns Jungen zu allererst Garanten dafür sehen, die vielfältigen Aufgaben weiterzutragen. Sie scheinen vor allem daran interessiert, daß wir möglichst rasch in die Arbeitsbereiche hineinwachsen und die in Pfarren und Schulen entstehenden Lücken füllen.
Das ist verständlich und berechtigt, kann aber den nötigen Atemraum nehmen, nach der Mitte des Klosterlebens zu fragen.
Deshalb scheint mir der Aufruf an die Ordensleute bedeutsam, “neue Formen der Präsenz zu suchen und sich nicht wenige Fragen über ihr Selbstverständnis und ihre Zukunft zu stellen". Gewiß, wir sollen Traditionen annehmen und einüben. Doch muß daraus neuer Sinn für das eigene Leben entspringen; sonst wird Tradition zu einem toten Gefäß.
Die Instruktion pocht daher auf eine weitgespannte Aus- und Weiterbildung, deren Ziel vor allem “ein theologisches Verständnis des geweihten Lebens selbst" ist.
Das wird heute wohl für junge Ordensleute zur Überlebensfrage. Denn in den gegenwärtigen kulturellen, gesellschaftlichen und kirchlichen Umbrüchen verschwinden alte Erklärungsmuster, ohne daß neue Denk- und Lebensweisen schon etabliert wären. Nur wenn der einzelne wie die Gemeinschaften zu einer neuen Deutung ihres Lebens finden, werden sie nicht verlieren, was nur der älteren Generation als selbstverständliche Mitgift zur Verfügung steht.
Wie die Schritte zu dieser neuen Deutung konkret gesetzt werden können, ist mir selbst unklar. Und ich tappe noch sehr im Dunkeln, wie meine eigene Identität als Benediktiner aussehen kann, geschweige denn, wohin sich meine Gemeinschaft entwickelt.
Aber ich glaube, es gibt keine Alternative dazu, mit geduldiger Entschiedenheit das Wesentliche neu ins Bewußtsein zu rufen und überkommene Klosterkulturen neu zu beackern, wollen wir ihren fruchtbaren Boden nicht brach liegen lassen.
Die Zukunft der Orden wird sich daran entscheiden, ob es uns gelingt, unter den heutigen Bedingungen überzeugend und ansprechend zu leben, auch wenn uns oft die Orientierung fehlt und wir das Ziel nicht immer klar vor Augen haben. Deshalb erscheint es mir nicht als Floskel, wenn das Dokument die Orden als “Schule einer echten evangeliumsgemäßen Spiritualität" bezeichnet und ihre Mitglieder auffordert, “wieder bei Christus zu beginnen", die “erste Liebe" und “den zündenden Funken, der zur Nachfolge entfacht hat", wiederzufinden, fortwährend die Liebesgemeinschaft mit dem zu suchen, “der die Mitte des Lebens und die ständige Quelle jeder Inititiative ist".
Menschen, die in einen Orden eintreten, wollen zuallererst ein geistliches Leben führen. Ein bloßer Aktivismus, ein ungesunder Lebensstil und eine schlechte Gesprächskultur schrecken dagegen ab. Demgegenüber sollen gerade die Mönchsorden “Räume des Schweigens und des Gebets anbieten" und verstärkt einen lebendigen und unmittelbaren Kontakt mit der Heiligen Schrift suchen, die in uns das Fleischgewordene Wort einprägt.
Ich betrachte das Leben nach den evangelischen Räten nicht als letztes Aufgebot einer vermeintlich vorherrschenden Volkskirche. Ich sehe mich auch nicht als letzten Getreuen einer zur Sekte gewordenen Diaspora-Kirche. Die Instruktion hat mir neu bewußt gemacht, daß Ordensleben zuvorderst “Initiation in die radikale Nachfolge Christi" ist, aber eben auf den unauffälligen Alltagswegen; und daß meine Gemeinschaft zuallererst eine “Schule der Heiligkeit" ist - wenig spektakulär und oft erst dort lehrreich, wo sie ihr Licht zu verstecken scheint.
Dann kann ich nachvollziehen, daß Ordensleben “auf viele Weise die Praxis des geistlichen Lebens im christlichen Volk wach" hält.
Fr. Bernhard A. Eckerstorfer OSB