VISION 20004/2003
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Wien hat eine junge Kirche erlebt

Artikel drucken 10 Tage lang eine Kirche von morgen

Gar nicht so einfach nach Wochen authentisch über die Stadtmission zu schreiben. Die Frische des ersten Eindrucks fehlt. Dafür aber erleichtert der Abstand zum Geschehen, eine Bilanz zu ziehen. Das sei im folgenden versucht.

Wenn ich nun versuche, Wichtiges von weniger Wichtigem zu unterscheiden, stellt sich die Frage: Was ist also geblieben?

Sehr markant der Eindruck: Wir haben eine junge Kirche erlebt, eine begeisterungsfähige, eine Kirche, die mit großer Freude zusammenkommt, um die Sakramente zu feiern, die dankbar ist, daß sich so viele Priester in den Dienst gestellt haben. Ja, wir haben es mit einer Generation zu tun, die auch wieder dankbar das Sakrament der Buße annimmt, die nach Vergebung und Neuanfang hungert. Man sieht es ihren Gesichtern an, nachdem sie eine gute Beichte abgelegt haben, daß hier Lasten von den Schultern genommen worden sind.

Wir haben eine Kirche erlebt, die sich ohne Komplexe den heutigen Herausforderungen stellt, den intellektuellen ebenso wie denen, die von der persönlichen Nöten der Menschen unserer Tage herrühren. Die Kirche ist alles andere als ein Relikt von vorgestern, eine Einrichtung, die den Anschluß verpaßt hat. Im Gegenteil: Nur sie weist Auswege aus den Sackgassen, in die sich unsere Gesellschaft verrennt.

Deutlich hat das Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz aufgezeigt: Sowohl im Westen wie im Osten wächst eine neue Hellhörigkeit für die Botschaft Christi: Im Osten in einem Umfeld, das sich so von Gott verabschiedet hat, daß es die Grundwahrheiten des Glaubens nicht einmal vom Hörensagen kennt. Dieses Manko weckt eine neue Bereitschaft zu hören, ohne Scheuklappen, ohne Voruteile, daß aus dem kirchlichen Eck ohnedies nichts zu erwarten sei (Seite 24-25).

Und im Westen beobachtet man, daß in einer Ära, die alles hinter sich gelassen hat, in der das Denken alles zerlegt hat, sodaß nichts mehr überbleibt, eine neue Erkenntnis wächst: Wesentliche Elemente der Botschaft Christi sind allein imstande, aus der überhandnehmenden Absurdität herauszuführen.

Wir haben eine Kirche erlebt, die sich nicht davor scheut, Klartext auch in der Öffentlichkeit zu reden: ein Jongleur, der auf der Bühne Zeugnis für die Auferstehung gibt - nicht aufdringlich, spielerisch. Eine Kindergesang-Gruppe, die mitten auf dem Stephansplatz das Glaubensbekenntnis fröhlich singend und in der Gestik so eindeutig vorträgt, daß jeder, der vorbeigeht, begreift: Hier wird nicht ein Gebetstext nachgeplappert, sondern ein Bekenntnis zum Dreifaltigen Gott abgelegt. “Daran glaube ich!" - die Finger weisen auf die kleinen Sänger - Ja, ich!

Oder ein Rap-Sänger aus den Bronx, ein Franziskaner: Er ruft den jugendlichen Zuhörer in der Sprache ihrer Musik zu: Ohne Bereitschaft zum Leiden geht im Leben nichts!

Oder die ehemals Drogensüchtigen, die in der Gemeinschaft Cenacolo Heilung fanden, Heilung ohne Psychotherapie, ohne Methadon-Ersatzbehandlung, einfach durch das Mitleben in einer Gemeinschaft, die radikal auf die Verheißung Jesu Christi setzt: auf Gebet, Sakramente und vor allem liebevolle Zuwendung in einer fröhlichen Gruppe. Ihnen kauft man ab, wenn sie in Form eines Musicals erzählen, wie die Umkehr zum liebenden Vater sie vom Tod zum Leben geführt hat.

Wir haben eine Kirche erlebt, die nicht provinziell ist, sondern vielfältig, international - und dennoch eines Geistes. Und vor allem: Endlich eine Kirche, die sich nicht im Diskutieren verzettelt, sondern davon erzählt, was sie bewegt, wovon sie lebt, was ihr Hoffnung gibt. Und das ist unser Herr selbst: “Öffnet die Tore für Christus!" Endlich wird von Ihm gesprochen, wie vor 2.000 Jahren! Welche Rolle spielt Er in meinem Leben? Welche in Deinem? Das ist es, was wir Christen lernen müssen: Unverkrampft und selbstverständlich von Jesus Christus zu erzählen, von dem Leben, das wir mit Ihm führen, von den Erfahrungen, die wir mit Ihm machen, von den Einsichten, die uns Sein Geist schenkt. Nicht um unsere Mitmenschen zu indoktrinieren, sondern um sie neugierig zu machen.

Das setzt natürlich voraus, daß wir unser Leben tatsächlich in Gottes Hände legen und Sein Wirken in unserem Alltag zulassen. Es setzt voraus, daß wir beim Zeugnisgeben, nicht missionarische Gutpunkte sammeln wollen, sondern uns vom Heiligen Geist leiten lassen, damit Er uns die rechten Worte - gerade die rechten für den jeweiligen Gesprächspartner - eingibt.

Klar, wir sind alle - mehr oder weniger - Anfänger auf diesem Gebiet. Aber das macht nichts. Mit der Stadtmission ist jedenfalls ein großer Schritt in diese Richtung getan worden. Auch wenn sich nicht sofort meßbar Erfolge einstellen. Die Tage werden eine tiefgreifende Wirkung auf den Weg der Kirche in unserer Stadt, in unserer Diözese, in unserem Land, ja in Europa und der Welt haben.

Christof Gaspari

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