Im Jubiläumsjahr 2000 machte die Wiener Dompfarre erste Gehversuche in Sachen Mission in der Großstadt. Die Erfahrungen waren sehr ermutigend und ein Anstoß, einen weiteren Versuch in größerem Stil zu starten.
In der Pfarre St. Stephan fand vor drei Jahren eine Pfarrmission statt. Welche Erfahrungen haben Sie damals gesammelt?
Anton Faber: Wir wollten im Jubiläumsjahr unbedingt etwas Missionarisches machen, haben uns aber gefragt: Sind wir selbst kräftig und mutig genug dazu? Da hat sich gezeigt: wir brauchen Unterstützung von außen, und so haben wir uns auf die Gemeinschaft Emanuel geeinigt - wegen ihrer jugendlichen Frische und ihren Erfahrungen aus verschiedenen Ländern. Was war das wichtigste Ergebnis? Für mich als Pfarrer: daß bewährte Mitarbeiter, die das Jahr über in der Firmvorbereitung oder der Kinderarbeit tätig waren, ermutigt worden sind, zu ihren eigenen Fähigkeiten auch in der Öffentlichkeit zu stehen, sich auf die Straße zu stellen und ungewöhnliche Wege zu beschreiten.
Welche Wege meinen Sie da?
Faber: Ein Kaffeezelt zu betreuen, von Tür zu Tür zu gehen, Menschen anzusprechen. Dieser Aufbruch der Mitarbeiter war für mich die schönste Frucht. Denn wir alle werden leicht müde, resignativ. Und plötzlich erlebten wir: indem wir offen zu unserem Glauben und zur Kirche stehen, sind wir gefragt.
Also eine Mission der Missionare?
Faber: Richtig. Das war wichtig. Das zweite: die Schönheit und die Freude zu erleben, daß Menschen sich ansprechen lassen. Wir konnten den einen und die andere gewinnen mitzumachen, neu Anschluß zu finden. Das läßt sich nicht genau zahlenmäßig darstellen. Aber ich kann Ihnen von einer Reihe von Menschen erzählen, die erstmals seit zehn, 20 oder 30 Jahren wieder zur Beichte, zu einer stillen Anbetung gekommen sind, einem innigen Gespräch mit Gott.
Das war wohl eine Ermutigung für die Stadtmission 2003?
Faber: Der Herr Kardinal - gemeinsam mit den anderen Kardinälen - war dadurch ermutigt, etwas Größeres zu unternehmen. Das Geschehen im Jahr 2000 und die Missionen in anderen Pfarren - St. Nepomuk in Wien, Baden - waren Türöffner für die diesjährige Stadtmission. Es ist wunderbar zu erleben, wie eine Idee plötzlich zum Modell für Europa wird. Nie hätten wir gedacht, daß diesmal in Wien an die 110 Pfarren mitmachen...
War das nicht aufgrund des Erfolgs im Jahr 2000 abzusehen?
Faber: Ich kann mich noch erinnern, wie ich damals von den anderen Dechanten belächelt worden bin. Es hieß: Das geht nur am Stephansplatz.
Brauchen Pfarren nicht immer wieder solche Impulse?
Faber: Wenn ich denke, wie erschöpft wir vor drei Jahren waren! Wir dachten: Vielleicht machen wir es irgendwann einmal wieder. Und jetzt war es wieder so weit. Der missionarische Grundgedanke hat bei uns Fuß gefaßt. Und wir überlegen jetzt schon in der Pfarre, welche missionarischen Schwerpunkte wir neu setzen können.
Was blieb von den Impulsen aus dem Jahr 2000?
Faber: Wir halten seit damals einmal pro Monat eine Stunde der Barmherzigkeit. Eine weitere Frucht war die Fürbitt-Box: Menschen können dort ihre Anliegen schriftlich deponieren und wir beten für sie in der Messe. Eine dritte Frucht war die monatliche Messe für Leidende und Kranke mit Handauflegung durch Priester und Laien am Ende des Gottesdienstes...
Wird das angenommen?
Faber: In der Stunde der Barmherzigkeit sind einige hundert Menschen im Dom. Bei der Messe für Leidende dachten wir: Wenn zehn kommen, ist es schon gut. Jetzt kommen etwa 100, die für sich beten lassen. Und noch eine Frucht sei erwähnt: Die Bereitschaft in der Pfarre, über den Tellerrand hinauszusehen. Wir kümmern uns nicht nur um die, die da sind. Wir sehen in denen, die nicht kommen, Adressaten für unsere Botschaft. Toni Berger, der von mir hochgeschätzte verstorbene Bischofsvikar, hat resignativ einmal in einer Sitzung gesagt: “Wir müssen uns damit abfinden: Wir sterben aus." Dem möchte ich widersprechen: Wir sterben nicht aus! Das, wofür wir stehen, ist gefragt, eine Lebenseinstellung, die ungeheuer gebraucht wird - das zu erfahren, ist eines der größten Geschenke.
Wird die Stadtmission nachhaltig Einfluß haben?
Faber: Ich kenne keine Aktion, die annähernd geistlich so tief gegangen ist, wie die Stadtmission 2003. Hunderte, ja tausende Menschen haben neu zum innigen Gebet der Anbetung gefunden, zum Sakrament der Beichte. Die Nachhaltigkeit habe ich besonders daran erkannt, daß selbst Wiener Dechanten - sie haben viel Verantwortung, viel Lebenserfahrung und Wissen - sich persönlich auf die Straße gestellt haben, um zu werben. Bei einer Dechanten-Konferenz hat ein Dechant den anderen “geoutet": etwa in Grinzing beim Ansprechen von Touristen gesehen worden zu sein. Es genügt eben nicht, den “heiligen Rest" zu verwalten.
Wenn Sie das erzählen, klingt das recht einfach. Fällt Ihnen das alles so leicht?
Faber: Bei einer Aktion wollte ich im Jahr 2000 nicht mitmachen. Da hieß es: Wir gehen von vier Punkten in der Innenstadt auf den Stephansdom zu und laden die Passanten am Samstag Abend ein, in den Dom zu kommen. Wie das gehen sollte? “Wir sprechen die Leute einfach an und geben ihnen eine Kerze mit der Einladung in den Dom, " war die Antwort. “Das ist mir zu peinlich," war meine Reaktion - “Gut, dann trag' wenigstens die Kerzen." Das habe ich getan - und war tief beeindruckt und bekehrt! Dieser einfachen Anrede haben Hunderte Folge geleistet! Hunderte blieben stundenlang im Dom - Menschen, die in der Innenstadt um 20 Uhr unterwegs waren! Ich hatte das für ausgeschlossen gehalten. Und auch diesmal war es ähnlich. Wir haben den Dom einige Male bis 23 Uhr, bis Mitternacht offengehalten, und ich konnte Hunderte, ja Tausende willkommen heißen, die einfach durch das offene Tor und eine persönliche Einladung hereinkamen.
Da entstand eine Gebetsatmosphäre, die ihresgleichen sucht. Und dabei ganz wenige Hilfen: das ausgesetzte Allerheiligste, Kerzen, Gebetshilfen, eine Gebetsbegleitung (“Haben Sie ein besonders Anliegen, legen Sie dieses vorne in die “Joy&Worry-Box, ziehen Sie eine Schriftstelle aus dieser Sammlung"), Priester und Gebetsdienste, die bei Bedarf bereitstehen... Wie wenig ist notwendig, um Menschen zu einer Begegnung mit Gott zu führen!
Das Gespräch führte Christof Gaspari.