Das Projekt Stadtmission war ein vom Wiener Erzbischof initiiertes Abenteuer. Im folgenden Interview blickt er auf das Geschehen zurück und drückt seine Hoffnungen für den weiteren Weg aus.
Wenn Sie auf die Stadtmission zurückblicken, Herr Kardinal, welches waren für Sie die wesentlichen Effekte dieses Geschehens?
Kardinal Christoph Schönborn: Eine Bilanz kann man derzeit nicht machen - und man wird sie wahrscheinlich nie machen können. Denn viel Entscheidendes geschieht ja im ganz persönlichen Bereich, wo Menschen eben die Türen für Christus geöffnet haben. Und da gibt es sehr, sehr viele persönliche Zeugnisse, sehr eindrucksvolle Begegnungen. Was ich aber für die Erzdiözese als großes Geschenk und als Positives sehe, ist das, was ein bewährter Wiener Pfarrer und Dechant so formuliert hat: “Wir haben gelernt, daß wir nicht Angst haben müssen vor der eigenen Angst." Und wir haben gemerkt: Wir leben in einer Zeit, in der viele darauf warten, daß ihnen Menschen begegnen, die von Gott Zeugnis geben, die sich auch trauen, ihren Glauben mitzuteilen.
Ist in dieser Stadtmission spürbar geworden, daß Menschen tatsächlich warten?
Schönborn: Ich glaube, viele in der Stadtmission waren überrascht, daß es eigentlich recht unkompliziert ist, mit Menschen über den Glauben ins Gespräch zu kommen. Für viele war das die größte Überraschung. Natürlich ist diese Erkenntnis eine riesige Ermutigung.
War das eine Erfahrung, die auch in den Pfarren gemacht worden ist oder überwiegend im Geschehen rund um den Dom?
Schönborn: Ich habe den Eindruck, daß dies auch sehr stark in den Pfarren erfahren wurde. Allerdings habe ich noch keinen sehr vollständigen Überblick. Das große Nachtreffen der Pfarren findet erst im September statt. Wir haben alle Pfarren gebeten, ihre Erfahrungen zu sammeln, damit wir daraus manche Konsequenzen ziehen können. Aber lassen Sie mich ein Beispiel erzählen: Kaffeezelt vor einer Kirche. Ich habe dort einen Besuch gemacht und erlebt, daß alle möglichen Passanten hereingekommen sind, sich auf einen Kaffee einladen ließen, sitzengeblieben sind - und sich in Gespräche haben verwickeln lassen. Die Überraschung war: Man muß das Pfarrkaffee nicht unbedingt im Pfarrsaal abhalten. Es ist vor der Kirche, am Straßenrand möglich. Eine wichtige Erfahrung.
Können Sie unseren Lesern eine oder zwei Begebenheiten erzählen, die Sie selbst persönlich sehr berührt haben?
Schönborn: Mich hat die Begegnung mit der Geschäftsführerin einer der großen Wiener Shopping Citys sehr berührt. Sie war zunächst bereit, schon lange vor der Stadtmission die Tore der Shopping City zu öffnen für die berühmte rote Tür. Und während der ganzen Stadtmission hat sie die Shopping City für missionarische Aktivitäten zur Verfügung gestellt. Das war so beeindruckend...
Sie hatten auch eine Begegnung mit Obdachlosen...
Schönborn: Ja, darüber haben wir bewußt wenig gesprochen. Es geschah auch bewußt fernab der Medien: Ein Abend in der Minoritenkirche, ein großes Festmahl für persönlich eingeladene, vor allem arme Leute auf der Straße, auch Flüchtlinge. Jeder hatte eine persönliche Einladung von mir, Maria Loley und der Gemeinschaft Emanuel. Ja - ein sehr berührender Abend. Natürlich kann man sagen: Ja, was hat das schon den Armen geholfen? Aber ich habe einen Brief von jemandem, den ich persönlich eingeladen hatte, ein Mensch in großen persönlichen Schwierigkeiten, eine sehr berührende Dankantwort: Daß ich persönlich eingeladen worden bin!
Wenn Sie an die Zukunft denken: War die Stadtmission ein Modell, das auch anderswo in Österreich aufgegriffen werden sollte?
Schönborn: Ja, natürlich! Das ist die fast selbstverständliche Hoffnung, daß andere ermutigt werden. Wir sind ja zu dieser Stadtmission auch durch die Erfahrungen von Pfarrmissionen - gerade in der Wiener Innenstadt - ermutigt worden. Eine Ermutigung hat die nächste ausgelöst. So wird es auch weiter sein. Die vielen, die aus Österreich und der ganzen Welt hier waren, werden die Erfahrungen in der einen oder anderen Form bei sich umsetzen.
Sollen Ihrer Meinung nach auch Österreicher zur nächsten Stadtmission 2004 nach Paris fahren?
Schönborn: Ja, unbedingt. Es hat gleich nach der Stadtmission ein erstes Treffen in Paris stattgefunden. Mein Traum ist folgender: In Wien haben 110 Pfarren an der Stadtmission teilgenommen - Paris hat 109 Pfarren... Wie wäre es, wenn jede Wiener Pfarre, die teilgenommen hat (und vielleicht Huckepack noch eine mitnimmt, die nicht teilgenommen hat, sich aber für Paris interessiert) eine Pariser Pfarre als Partnerpfarre bekommt? Dann könnten einige aus der Pfarre nach Paris fahren und erzählen, was sie hier erlebt haben. Umgekehrt könnten sie sich umschauen: Wie lebt eine Großstadtpfarre in Paris? Das wäre eine wunderbare Weiterführung der inneren Stärkung.
Welche darüber hinausgehenden Anliegen würden Sie unseren Lesern gerne mitteilen?
Schönborn: Ich habe es in Thema Kirche geschrieben - einen großen Dank und eine große Bitte - eigentlich drei Bitten: Erstens, daß die Gebetsbewegung weitergeht. Denn dort, wo sich eine Tür für Christus öffnet, besteht die Gefahr, daß - wenn Christus nicht dauerhaft einzieht - der Widersacher sich dann einnistet. Das hat Jesus gesagt. Lukas hat das sehr genau beschrieben (Lk 11,24). Also: Weiterführen der Gebetsbewegung.
Die zweite Bitte: dranbleiben! Was wir erfahren haben, muß weiter praktiziert werden. Also weiter über den Glauben sprechen! Glaubensinititativen weiterpflegen! Und das dritte, das gebe ich auch den Lesern von VISON 2000 gerne mit: Wir haben natürlich noch finanzielle Sorgen, weil wir vielen ost- und mitteleuropäischen Gästen ganz starke Preisnachlässe gewährt haben.
Das Gespräch führte Christof Gaspari.
Kontonummer: 28041650400, BLZ 20 111