Als monotheistische Religionen hätten Christentum und Islam viel gemeinsam - so das Selbstverständnis heute. Haben sie aber auch dieselbe Vorstellung von Gott? Und wie steht es mit dem Anspruch des Islam, die “letzte Offenbarung" zu sein?
Dieser Anspruch soll zuerst aus den Blickwinkeln von natürlicher Vernunft und Offenbarung kritisch hinterfragt werden. In einem zweiten Schritt wird ein zentrales innerchristliches Problem beleuchtet. Daran soll eine Anmerkung über Sinn und Grenzen des “Dialogs" mit dem Islam angeschlossen werden.
Stellen wir uns also erstens vor, ein religiös neutraler Gelehrter beschäftige sich aus rein wissenschaftlichen Gründen mit dem Anspruch des Islam, die jüdische und christliche Religion “vollendet", “von Fälschungen gereinigt" und somit auch die Wahrheit über Jesus gebracht zu haben. Dieser Gelehrte wird sich die Glaubensurkunden und die Geschichte der betreffenden Religionsgemeinschaften genauer anschauen. Zudem wird er die Glaubwürdigkeit der jeweiligen Zeugen einer kritischen Analyse unterziehen.
Dabei wird er in der kontroversen Frage nach Jesus folgendes bemerken: Mohammed beansprucht, etwa 600 Jahre nach den betreffenden Ereignissen die Wahrheit über Jesus zu verkünden. Dabei leugnet er aber den Tod Jesu am Kreuz (Sure 4,157) und bestreitet somit die Augenzeugenberichte, die in den Evangelien ihren Niederschlag gefunden haben, und das Dokument des Josephus Flavius.
Die Berichte über die Begegnungen mit dem Auferstandenen, die nicht nur literarisch sondern auch existentiell, nämlich im Martyrium, bezeugt sind, muß Mohammed sodann auch ignorieren. Offenbar ließ er sich von den apokryphen und gnostischen Schriftstellern der christlichen Frühzeit beeinflussen.
Es stellt sich daher die Frage: Würde unser Gelehrter Erzählungen, die - wie die gnostischen Berichte - Augenzeugenberichte bestreiten und durch ihre Absonderlichkeiten ihre eigene Glaubwürdigkeit untergraben, gegenüber den Berichten derer, die dabei gewesen sind, mehr Glauben schenken? Würde er die Aussagen des Koran über Jesus, die etwa 600 Jahre nach den Ereignissen entstanden sind, der lückenlosen Kontinuität der Evangelienüberlieferung, für die es sehr alte papyrologische Zeugnisse gibt, vorziehen? Würde ein Kriminalist Darstellungen eines Ereignisses, die Zeugenberichten widersprechen, mehr Wert beimessen als diesen?
Dem kritischen Denker muß der Islam erst einmal klarmachen, wie das möglich gewesen sein soll, daß die Juden und die Christen die Schriften der Offenbarung, die sie angeblich von “Allah" empfangen hatten, “vertauschen" (und teilweise “vergessen") konnten (Sure 5,13f). Wo und wann hätte eine “Vertauschung", also Fälschung, vor dem Auftreten Mohammeds - weltweit koordiniert - über die Bühne gehen können?
Der unvoreingenommenen Betrachtung zeigen sich massive Ungereimtheiten im islamischen Wahrheitsanspruch.
Wie sieht es aus, wenn man nicht nur kritische Religionsphilosophie betreibt, sondern an die Offenbarung Gottes im Volk Israel und in Jesus Christus auch tatsächlich glaubt?
Von dem im Koran als “Isa" oder “Mesih" (Messias) vorgestellten Propheten heißt es etwa: “Nimmer ist der Messias zu stolz, ein Diener Allahs zu sein." (Sure 4,172) Sieht man sich “Allah", dessen Taten, Drohungen und Verwünschungen näher an, dann ist klar: Hier kann nicht von Gott, dem Vater Jesu Christi, die Rede sein.
Isa soll u. a. gesagt haben: “Und wenn Allah sprechen wird: ,O Isa, Sohn der Meryem, hast du zu den Menschen gesprochen: Nehmet mich und meine Mutter als zwei Götter neben Allah an?' Dann wird er (Isa) sprechen: ,Preis sei dir! Es steht mir nicht zu, etwas zu sprechen, was nicht wahr ist. Hätte ich es gesprochen, dann wüßtest du es. Du weißt, was in meiner Seele ist, ich aber weiß nicht, was in Deiner Seele ist.'" (Sure 5,114)
Hier ist offenbar die Dreieinigkeit kraß mißverstanden und die Gottgleichheit und Sohnschaft des Isa ausdrücklich geleugnet. Zudem klingt die Diktion nicht nach dem geschichtlich bezeugten Jesus. Also wollte der Autor dieser Verse entweder ohnehin nicht über den wirklichen Jesus schreiben, sondern ein fiktives Werk gleichsam mit einer Romanfigur Isa schaffen, oder er verließ sich unkritisch auf zweifelhafte Berichte, oder aber seine Absicht war eine bewußte, dreiste Fälschung der Offenbarung.
Die Stoßrichtung des Islam erweist letzteres, wobei aus den islamischen Zeugnissen hervorgeht, daß Mohammed den Koran tatsächlich unter merkwürdigen Umständen “diktiert" erhielt.
Hier treffen wir aber auf den wunden Punkt innerhalb der Christenheit selbst: Die Christen zur Zeit Mohammeds haben an den Lehren des Neuen Testamentes und der Konzilien über Jesus Christus nicht immer vollständig festgehalten. Darüber hinaus haben etwa die Kopten und Äthiopier, also die Nachbarn der Araber, das Konzil von Chalcedon 451 mit seiner Lehre, daß in Jesus die göttliche und die menschliche Natur “ungetrennt und unvermischt" in einer Person existieren, nicht akzeptiert und sich von der Gesamtkirche getrennt.
Der Islam trat dann mit dem Anspruch auf, die Natur Jesu definitiv zu klären - gegen die historisch bezeugte Selbstverkündigung Jesu und deren Entfaltung in den Konzilien. Wir haben hier eine beklemmende Parallele vor uns: Wie die christologischen Häresien im 7. Jahrhundert dem Aufkommen des Islam theologisch und politisch Vorschub leisteten, so unterstützen auch heute jene kirchlichen Verantwortungsträger, Theologen und Funktionäre, die Gottsohnschaft Jesu, Auferstehung und Erlösung leugnen, die Verbreitung des Islam.
Gerade in “Dialogveranstaltungen" schwächt die christliche Seite meist von vornherein ihr eigenes Bekenntnis ab oder leugnet es überhaupt, um so der islamischen Seite “entgegenzukommen". Aber um welchen Preis und - vor allem - zu welchem Zweck?
Abgesehen von der Verwirrung für die Christen wird den Korangläubigen der Weg zu Heil und Befreiung vorenthalten. Soll das Nächstenliebe sein? Handelt jemand so, dessen Herz und Verstand vom Geist des Evangeliums durchdrungen ist und der das Wertvollste in seinem Leben weitergeben möchte?
Wie die Ausbreitung des Islam als militärisch gewalttätige und siegreiche christologische Häresie schon von der frühmittelalterlichen Kirche als von Gott zugelassene Mahnung empfunden wurde, die christliche Einheit wiederherzustellen (sowohl in der Reinheit der Lehre als auch in der sichtbaren Kirche als sakraler Struktur), so ist es auch heute eine dringliche Aufgabe, in der Pastoral zum wirklichen Jesus, in dem allein das Heil ist, zurückzukehren und auf diese Weise den Irrlehren entgegenzutreten und die Einheit der Christen zu fördern. Das wäre der größte Dienst am korangläubigen Nächsten.
Darum werden auch offizielle Dialogveranstaltungen kaum sehr sinnvoll sein, wenn dabei auf eine Konfrontation über die eigentlichen Fragen verzichtet wird. Sehr wohl hat aber das informelle Gespräch mit dem Nachbarn Sinn: mit den Auswanderern und Flüchtlingen und mit den schon zahlreichen Christen und Ex-Christen, die sich vom Islam blenden haben lassen. Hier hat der Dialog seine volle Berechtigung - als Teil des Missionsauftrages, der vom wirklichen Jesus Christus stammt.