In kirchlichen Einrichtungen tut man sich oft schwer mit einem klaren Nein. Man will nicht gegen die Liebe verstoßen, duldet damit aber, was untragbar ist. Gedanken zu Grenzen der Toleranz in der kirchlichen Sozialarbeit.
Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, in diesem Beitrag zu verdeutlichen, wo im Bereich kirchlicher sozialer Arbeit die Grenzen der Toleranz zu liegen haben, wenn die Verantwortung für die Glaubenserhaltung in den Gemeinden mit jenem Ernst in den Mittelpunkt des Wirkens gestellt bleiben soll, den Christus fordert.
Die soziale Arbeit bekam nach dem Zweiten Weltkrieg in den Kirchen Westdeutschlands einen außerordentlich hohen Stellenwert. Dabei erwies sich die neue Offenheit der Theologen für die Erkenntnisse der Psychologie, der Soziologie, der Ethnologie und der Psychotherapie häufig als ausgezeichnete Möglichkeit der Bereicherung für die seelsorgische Arbeit der Pfarrer.
Der Versuch, den Menschen durch ein Mittragen seiner Krisen wieder zu erfassen, ihm durch psychisches Verstehen mehr Hilfe zu geben und ihm zu einer religiösen Sinnfindung seines Lebens zu verhelfen, ist sicher eine positive Zielsetzung in der Arbeit der Kirchen.
Unter der Priorität der Glaubensfindung psychologische Kenntnisse zu verwenden, ist - wie ich selbst in der Praxis immer wieder erfahre - eine ausgezeichnete Möglichkeit zu erfolgreicher Seelsorge.
Aber dabei blieb es nicht: In den Beratungszentren sowie in den sozialen Hilfsinstitutionen wurden große Mengen von Sozialarbeitern, Psychologen, Eheberatern und Heilpädagogen in den kirchlichen Dienst aufgenommen.
In vielen Institutionen der Kirche wird außerordentlich positiv gearbeitet, dort, wo die von der Kirche Angestellten sich bewußt in den Dienst christlicher Grundwerte gestellt haben.
Aber - und hier liegt die Schwierigkeit - das ist bei den kirchlichen Helfern, die eine Ausbildung in den eben erwähnten Berufen haben, in keiner Weise selbstverständlich. Im Gegenteil: Viele Menschen, die heute in der sozialen Arbeit stehen, sind während ihrer Ausbildung durch ihre Lehrer zu einer atheistischen Grundeinstellung manipuliert worden. Sie bringen in ihre Arbeit zwar ein Zeugnis als soziale Fachkraft, aber kein Zeugnis einer gläubigen Grundeinstellung mit.
Viele kirchliche Institutionen meinten, (aus Toleranz) darauf verzichten zu können. Die Gefahr, daß sie damit in Bezug auf das Seelenheil ihrer Mitmenschen fahrlässig handeln, ist groß und hat sich in den letzten Jahren in schlimmen, oft grotesken Einzelvorkommnissen bestätigt. Ein Beispiel:
Eine junge Frau berichtet, sie habe eine kirchliche Lebensberatungsstelle aufgesucht, weil sie an einer Schlaflosigkeit gelitten habe, die durch quälende Glaubenszweifel und destruktive Phantasien immer beängstigender geworden sei. In der Beratungsstelle habe man ihr gesagt, daß sie “ihre Neurose an den Himmel gehängt habe", daß Glaube ohnehin nur ein repressives Hirngespenst sei, von dem es sich erst zu lösen gälte.
Es steht nun zwar außer Frage, daß es in der Tat sogenannte ekklesiogene Neurosen gibt, bei denen Glaubensinhalte zur Legitimation von Gehemmtheiten verwendet werden, und es ist in solchen Fällen auch nötig, den Menschen vorsichtig zum Bewußtwerden seiner innerseelischen “Tricks" hinzuführen, aber lediglich mit dem Ziel, den Weg zu einer reifen Glaubensentwicklung vorzubahnen. Es lag, wie sich in diesem Fall zeigte, auch keine ekklesiogene Neurose vor, sondern die geistige Krise eines weitgehend gesunden Menschen, der das Gespräch suchte.
Meines Erachtens ist es daher unerläßlich, bei der Einstellung von psychologischen Mitarbeitern in den kirchlichen Dienst an sie die Frage zu stellen: “Glauben Sie an Gott, glauben Sie an Jesus Christus? Ist Christus für Sie der Weg, die Wahrheit und das Leben?"
Von der Bejahung dieser Frage und ihrer Bestätigung durch das Wirken im Amt sollten Einstellung und Tätigkeitsfortführung abhängig gemacht werden. Es wäre besser für die Kirchen, überhaupt nicht mit Psychologen versorgt zu sein als mit solchen, die mehr oder weniger direkt, mehr oder weniger bewußt ihre Schützlinge zum Unglauben verführen.
“Selbstverwirklichung", das “Recht auf Lust", jegliche Betonung des Ego bedarf eines Vorzeichens für den Christen: die Gottesliebe, die Hinwendung zu Gott. Das ist für den Christen die absolute Wahrheit. Egozentrische Parolen als Lebensziel dürfen in der kirchlichen Arbeit keinen Platz haben, weil sie dem Menschen den Weg verstellen, statt ihn dorthin zu öffnen.
Es bedeutet Mißbrauch der positiven Funktion Toleranz, wenn sie als eine ununterschiedliche Billigung jeglicher Handlungen, jeglicher Meinungen, jeglicher Strömungen verstanden werden soll. Toleranz muß dort ihre Grenze finden, wo zerstörerischer Geist Einlaß fordert.
Sie muß dort aufhören, wo der Geist der verantwortungsbewußten Freiheit und konstruktiven, liebevollen Ordnung durch dämonisierte, kranke Antriebe angegriffen wird, sonst verwandelt sich Toleranz unversehens in Fahrlässigkeit, Feigheit oder Verrat. Wenn sich teuflischer Geist, mit der geraubten Waffe Toleranz verkleidet, daran macht, die Beziehung zwischen Gott und Mensch und damit die Schöpfung an sich zu vernichten, ist Duldsamkeit unangebracht.
Weil gerade die Christen auf diesem Sektor manchmal unbedenklich Fehler begehen, soll hier darauf hingewiesen werden, daß es sich im Neuen Testament nachlesen läßt, daß Christus bei aller Toleranz unnachgiebig scharf und bis in den Tod hinein kompromißlos blieb, wo es um die Treue zu Gott, zum Auftrag des Menschen, wo es um den Primat des göttlichen Geistes vor irdischer, materialisierter Eigenmächtigkeit ging.
Der Tod Christi am Kreuz bedeutet schließlich nicht Erlösung durch Selbstauflösung, sondern ist Zeichen der Treue über den leiblichen Tod hinaus, weist auf die Notwendigkeit geistiger Entschiedenheit und ihre erlösende Wirkung hin. Toleranz wird mißbraucht, wenn sie solche Entschiedenheit lähmt und die Notwendigkeit einer Stellungnahme mit dem Mantel des Pluralismus erstickt.
Es ist an der Zeit, daß in der sozialen Arbeit der Kirchen der Mut zur klaren Entscheidung und Unterscheidung wächst; es ist notwendig, daß die Kirchen die eigenen Institutionen zur Ausbildung von seelsorgerischen Mitarbeitern erweitern, damit sie mehr Helfer haben, die außer ihrem Fachwissen eines mitbringen: die entschiedene geistige Lebensausrichtung auf dem Boden des eigenen christlichen Glaubens!