Am 19. Oktober wird eine der großen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts seliggesprochen, Mutter Teresa von Kalkutta. Ihr weltweites Wirken für die Armen ist weitgehend bekannt. Das Innere ihres Glaubenslebens enthüllte aber erst ihr Seligsprechungsprozeß...
Mutter Teresa war vor allem eine in Gott verliebte Frau. Es scheint, daß sie sich schon früh in Ihn verliebt hat und in dieser Liebe ohne ernsthafte Hindernisse gewachsen ist. Ihre Erziehung war geprägt durch eine gründliche Einübung in den katholischen Glauben und ein ernsthaftes geistliches Leben. In zahlreichen persönlichen Briefen enthüllt sie, daß Jesus der Erste und Einzige war, der ihr Herz bezauberte: “Von Kindheit an war das Herz Jesu meine erste Liebe".
Zugleich mit dieser frühen Vertrautheit mit Jesus hat Mutter Teresa eine besondere Gnade zur Zeit ihrer Ersten Heiligen Kommunion empfangen: “Ab dem Alter von 5 Jahren, als ich Ihn zum ersten Mal empfing, war die Liebe zu den Seelen dabei. Sie wuchs mit den Jahren."
In der Tat, Mutter Teresas Liebe zu Jesus und den Nächsten wuchs so, daß sie im Alter von 18 Jahren ihre Familie und ihr Heimatland verließ, um Jesu Ruf zu einem Leben als Missionarin in Indien als Loretto-Schwester zu folgen.
Acht Jahre später legte sie ihre endgültigen Gelübde vor Christus als Ordensfrau ab. Sechs Monate nach ihrer ewigen Profeß war sie tief ergriffen von der intensiven Freude, die dieses Ereignis begleitet hatte. “Wenn sie wüßten, wie glücklich ich war", schrieb sie heim an ihren geistlichen Vater in Skopje, P. Jambrekovic SJ. “Freiwillig hätte ich mein eigenes Brandopfer entzündet [d.h. die Opferhingabe]. ... Ich wollte nur alles für Jesus sein... Ich hätte alles für Ihn gegeben, sogar das Leben."
Mutter Teresas Leben als Lorettoschwester war eine von intensiver und großmütiger Liebe zu Gott geprägte Zeit. Wie sie einige Jahre später schrieb, “In diesen 18 Jahren habe ich versucht, Seinen Wünschen gemäß zu leben. Ich brannte sehnsüchtig danach, Ihn so zu lieben, wie Er nie zuvor geliebt worden war."
Als Ausdruck ihres kühnen Wunsches legte Mutter Teresa 1942, im Alter von 36 Jahren ein großmütiges privates Gelübde vor Gott ab. Wie sie später erklärte, “wollte (sie) Jesus etwas sehr Schönes geben", “etwas ohne Vorbehalt". So verpflichtete sie sich mit Erlaubnis ihres geistlichen Leiters gegen Ende ihrer jährlichen Exerzitien in jenem Jahr, “Gott alles zu geben, was Er verlangen würde - Ihm nichts zu verweigern".
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Mutter Teresa betrachtete ihr Gelübde von 1942 als ein heiliges Bündnis, das sie mit ihrem Göttlichen Gemahl verband. Jesus, seinerseits, nahm Mutter Teresa beim Wort. Mehrere Jahre später, 1946, in einer Reihe von inneren Einsprechungen und Visionen bat Er sie, eine neue religiöse Gemeinschaft zu gründen, die ganz dem Dienst an den Ärmsten der Armen geweiht sein sollte. Mit Seinen an Mutter Teresa gerichteten Worten spielte Jesus auf ihr Gelübde an: “Du bist meine Braut für Meine Liebe geworden. Willst du ablehnen, das für mich zu tun? Lehne mich nicht ab."
Dieser Ruf Jesu ist das zweite “Geheimnis" von Mutter Teresa.
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Seit der Zeit der Ablegung ihrer ersten Gelübde im Mai 1931 war Mutter Teresa der Entally-Gemeinschaft der Loretto-Schwestern in Kalkutta zugeteilt und lehrte an der St. Mary's Bengali Medium School für Mädchen. Die Schule war dem Kloster angegliedert und nahm ärmere und Waisenkinder auf, halbinterne wie Internatsschüler. Unter anderen Verpflichtungen hatte die eifrige junge Ordensfrau die Obsorge für eine andere Loretto-Schule, St. Teresa's Primary Bengali Medium School, die sich in der Lower Circular Road befand. Ihr täglicher Ausflug durch die Stadt gab ihr Gelegenheit, die Not und das Leid der Armen zu beobachten. Im Mai 1937, nachdem Mutter Teresa ihre ewigen Gelübde als Loretto-Schwester abgelegt hatte, lehrte sie an der St. Mary-Schule weiter Religion und Geographie. 1944 wurde sie die Leiterin der Schule.
Im Klassenzimmer war Mutter Teresa mehr als nur anwesend. Es war ihr ein Anliegen, ihren Studenten ihre übernatürliche Vision des Lebens zu vermitteln und sie zu einem tieferen Glauben zu führen. Auch hatte sie Gelegenheit, den Armen in den von den Loretto-Schwestern geführten Spitälern zu dienen. Diese Begegnungen machten einen tiefen Eindruck auf sie.
Obwohl sie sich dessen nicht bewußt war, erwies sich all dies als das von der Vorsehung gegebene Umfeld, in dem Gott sie für ihre künftige Sendung vorbereitete. Während all ihrer Jahre in Loretto war Mutter Teresa bekannt für ihre Nächstenliebe, ihre Großzügigkeit und ihren Mut, ihre Fähigkeit zu harter Arbeit, ihr natürliches Organisationstalent - und ihre Fröhlichkeit. Sie war eine betende, treue und inbrünstige Ordensfrau.
Obwohl ihr privates Gelübde von 1942 niemandem bekannt war, waren ihre Liebe und ihre Großzügigkeit allen offenbar. Die Schwestern ihrer Gemeinschaft sowie die Schüler und Internatsschüler von Saint Mary liebten und bewunderten sie.
Mutter Teresa verließ das Loretto-Kloster in Entally, Kalkutta, am Abend des Montags, 9. September 1946 für einen Urlaub und acht Einkehrtage in Darjeeling. Irgendwann am nächsten Tag, als sie im Zug saß, hörte Mutter Teresa zum ersten Mal die Stimme Jesu durch innere Einsprechung.
Im Verlauf der nächsten Monate bat Jesus sie durch weitere innere Einsprechungen und mehrere innere Visionen, eine Ordensgemeinschaft zu gründen, die dem Dienst an den Ärmsten der Armen geweiht sein sollte und, wie Mutter Teresa es ausdrückte, “Seinen Durst nach Liebe und nach Seelen stillen" sollte. Diese Erfahrung im Zug war ein Wendepunkt in Mutter Teresas Leben: Sie berief sich immer auf sie als einer “Berufung innerhalb einer Berufung". Der 10. September sollte später bei den Missionarinnen der Nächstenliebe als “Tag der Eingebung" gefeiert werden.
Von 1946 bis zu ihrem Tod lehnte Mutter Teresa es konsequent ab, irgendwelche Einzelheiten über die Eingebung, die den Beginn der Missionarinnen der Nächstenliebe begründete, zu erzählen oder über den Vorgang der Unterscheidung, der zur offiziellen Errichtung des neuen Institutes am 7. Oktober 1950 führte. Mutter Teresas Schweigen spiegelte ihre Verehrung für die Heiligkeit des Geschenks wider, das sie in der Tiefe ihrer Seele empfangen hatte. Wie sie ihren Schwestern 1993 schrieb: “Für mich ist Jesu Durst etwas so Intimes, daß ich mich bis jetzt davor scheute, zu euch über den 10. September zu sprechen. Ich wollte es Unserer lieben Frau gleichtun, die ’alle diese Dinge in ihrem Herzen bewahrte'". So bestand Mutter Teresa aus einer tiefen Demut heraus auch darauf, daß diese Dokumente vernichtet werden.
In einem Brief an Erzbischof Ferdinand Périer SJ vom 30. März 1957 erklärte sie: “Ich möchte, daß es alleine Sein Werk bleibt. Wenn der Beginn bekannt wird, werden die Menschen mehr an mich denken, weniger an Jesus." Erzbischof Périer beachtete jedoch Mutter Teresas Wunsch nicht.
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Als Mutter Teresa Loretto verließ, um in die Straßen von Kalkutta zu gehen, war sie getragen von den starken geistlichen Tröstungen dieser Monate rund um ihre Eingebung. Das freudige Licht ihrer intimen Vereinigung mit Ihm sollte nicht andauern. Es wurde abgelöst von einer geistlichen Nacht, die ein integrierender Bestandteil ihres ganzen Lebens als Missionarin der Nächstenliebe werden sollte.
Als Mutter Teresa sich der Veränderung in ihrer Seele bewußt wurde, sprach sie darüber mit P. Van Exem. Sie vertraute auch Erzbischof Périer an: “Ich sehne mich mit schmerzlicher Sehnsucht danach, alles für Gott zu sein, heilig zu sein in einer solchen Weise, daß Jesus Sein Leben in dem meinen ganz leben kann. Je mehr ich nach Ihm verlange, desto weniger verlangt Er nach mir. Ich möchte Ihn so lieben, wie Er noch nie geliebt worden ist - und doch ist da diese Trennung, diese furchtbare Leere, dieses Gefühl der Abwesenheit Gottes."
Nach einiger Zeit offenbarte Mutter Teresa dem Erzbischof, daß sie nicht nur keine Erleichterung gefunden hatte, sondern daß die Nacht “dichter" wird und schwieriger zu ertragen.
Sie wunderte sich über den Widerspruch in ihrer eigenen Seele: die scheinbare Abwesenheit von Glaube, Hoffnung und Liebe und von Gott selbst. Zur gleichen Zeit litt sie an einer intensiven, quälenden Sehnsucht nach Gott.
In einem Brief offenbart sie ihre Qualen, ihren Kampf und dennoch ihre völlige Hingabe an Gott: “Es gibt da so viel Widerspruch in meiner Seele: so eine tiefe Sehnsucht nach Gott - so tief, daß sie schmerzlich ist, ein ständiges Leiden - und doch nicht von Gott angenommen, abgewiesen, leer, kein Glaube, keine Liebe, kein Eifer. Seelen üben keine Anziehung aus. Himmel bedeutet nichts: mir scheint er ein leerer Platz zu sein. Der Gedanke an ihn bedeutet mir nichts und doch diese quälende Sehnsucht nach Gott. Beten Sie für mich, daß ich Ihm weiterhin zulächle, trotz allem. Denn ich gehöre nur Ihm, so hat Er jedes Recht über mich. Ich bin ganz glücklich, niemand zu sein, nicht einmal für Gott."
(...) So furchtbar diese Gefühle auch waren, war da diese gleiche ständige Hingabe: “Die Nacht ist so dunkel und die Pein so schmerzlich, aber ich nehme alles an, was Er gibt, und ich gebe, was immer Er nimmt." Die Haltung der Hingabe - in Übereinstimmung mit ihrem Gelübde von 1942 - sollte ein Markenzeichen Mutter Teresas Antwort durch all die Jahre schmerzlicher Erfahrung sein: “Mit Freude nehme ich alles bis ans Ende meines Lebens an."
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Mutter Teresa, die so berühmt ist für ihren felsenfesten Glauben, ihre unbesiegbare Hoffnung und ihre brennende Liebe, war jedoch ohne diese Süßigkeit so vereint mit Gott, daß alle, sogar ihre Schwestern, angenommen haben, daß sie in der Freude war. Sie war jedoch dadurch, daß ihr die Freude fehlte, eher gezwungen, ihren Weg im Glauben zu gehen.
Ihre Bitte um Gebete, die sie im Laufe ihres Lebens stets wiederholte, wird im Licht ihrer verborgenen Pein bedeutungsvoller. “Bitte beten sie besonders für mich, daß ich das Werk Gottes nicht verderbe." Mutter Teresas Leben ist ein eindrucksvolles Zeugnis für den reinen Glauben. Dadurch sah sie die Hand Gottes in allem, was in und rund um sie geschah und betrachtete sich als ein “kleiner Pinsel in Seinen Händen."
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“Von dem Augenblick an, als die Arbeit begann", war die Nacht Mutter Teresas “ständiger Begleiter". “Ihre Briefe, die während der 50er- und 60er-Jahre geschrieben wurden, bringen den unablässigen Schmerz in ihrer Sehnsucht nach Gott zum Ausdruck. In den frühen Sechzigerjahren begann sie dankbar den Sinn in ihrem Leben zu verstehen und die Rolle, die ihre persönliche Nacht in ihrer Sendung zu den Ärmsten der Armen spielte. Aber die Intensität der Erfahrung ließ nie nach. Nacht und Nichts waren noch die Themen, die sie mit ihren geistlichen Leitern in den 70er- und 80er-Jahren diskutierte. In den wenigen noch vorhandenen Briefen aus diesen Jahren brachte sie die Intensität ihres Durstes nach Jesus zum Ausdruck, ihren Schmerz über das Leiden der Armen, aber ihre Dankbarkeit, daß sie in ihrem Nichts so arm wie Jesus sein kann und durch ihre Armut die Seelen dazu bringen kann, Ihn zu lieben. Erst zwei Jahre vor ihrem Tod ließ sie sich dazu bewegen zu sagen, daß sie von Gott ein wunderbares Geschenk bekommen habe, nämlich die Fähigkeit, Ihm die Leere zu schenken, die sie fühlt. Soviel wir wissen blieb Mutter Teresa bis zu ihrem Tod in diesem Zustand des “dunklen" Glaubens und der völliger Hingabe.
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Eine der größten Hinweise auf Mutter Teresas Glauben und Liebe während ihrer langen und schmerzlichen inneren Nacht war ihre tiefe und beständige Freude. Sie strahlte einfach Freude auf ihre Umgebung aus. Ihre Freude war keine Sache des Temperaments und einer natürlichen Neigung, sondern das Ergebnis von Gottes Gnade und ihrer Hingabe. Sie erforderte eine bewußte und entschiedene Anstrengung. Wenn es härter war, war ihr Lächeln strahlender.
Mutter Teresa war entschlossen, “ein Apostel der Freude" zu werden und sie verbreitete den Duft der Freude Christi überall dort, wohin sie ging. Ihre Liebe zu Gott war derart, daß sie das Kreuz nicht nur annahm, sondern es mit Freude annahm. “Mein zweiter Entschluß [der Einkehrtage] ist, ein Apostel der Freude zu werden, das Heiligste Herz Jesu durch Freude zu trösten. Bitte bitten Sie die Muttergottes, mir ihr Herz zu geben, daß ich leichter Seinen Wunsch in mir erfüllen kann. Ich möchte sogar Jesus anlächeln und so, wenn möglich, die Pein und die Nacht meiner Seele sogar vor Ihm verbergen."