VISION 20006/2003
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Fürchtet euch nicht!

Artikel drucken Gott schenkt Furchtlosigkeit in einer angsterregenden Welt (Von Christof Gaspari)

Wenn ich meinen jüngsten Enkel beobachte, ein hellwaches, vierjähriges Bürschchen, so fällt mir auf, daß ihm recht vieles Furcht einflößt. Als Erwachsener ist man leicht versucht, das zu belächeln. Zuunrecht, wie mir scheint...

Ist es nicht vielmehr so, daß sich kleine Kinder ein realistisches Bild ihrer Situation machen, sobald ihr Intellekt erwacht und sie mit den Lebensumständen rundum konfrontiert? Dann stellen sie fest, daß sie sehr vielen Herausforderungen nicht gewachsen, daß sie auf Hilfe und Schutz angewiesen sind. Und wo diese ausbleiben, sind sie alsbald überfordert und dann ist Furcht eben angebracht.

Sicher, Erwachsene kommen mit vielem zurecht, wovor Kinder sich fürchten. Aber die Grundbefindlichkeit des Kindes, überfordert und daher bedroht zu sein, bleibt im Erwachsenendasein eigentlich erhalten. Nur wird sie leicht verdrängt - vor allem in unserer Zeit.

Das heutige Weltbild ist nämlich weitgehend von der Vorstellung geprägt, der Mensch sei mündig und autonom, sei Herr seines Geschicks und die Menschheit befinde sich in einer unaufhaltsamen Aufwärtsentwicklung, sprich Evolution. Die Vernunft weise schon den rechten Weg.

Selbstbewußt nimmt man also die Geschicke der Menschheit in die Hand - jedenfalls als Gesellschaft, die sich im unaufhörlichen Fortschritt befindet, hin zu einer besseren, weil vom Menschen durchschauten und gestalteten Welt.

Zugegeben, dieser Optimismus wird immer wieder durch Rückschläge angekratzt. Naturkatastrophen, Kriege, wachsende Umweltprobleme, wirtschaftliche Rezessionen, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, neue Krankheiten wie Aids und Sars stellen die Zuversicht, das innerweltliche Heil stehe demnächst vor der Tür, immer wieder in Frage.

Da man solche Signale aber regelmäßig als Pannen auf einem grundsätzlich richtigen Weg zu deuten pflegt, die man durch mehr Forschung und noch bessere Technik schon in den Griff bekommen wird, bleibt Optimismus Staatsreligion.

Bemerkenswert ist allerdings, daß dieser Glaube an das selbst gemachte Glück die Angst des einzelnen nicht wirklich zu bannen vermag. Im Gegenteil, die Symptome eines sich allgemein verbreitenden Unbehagens sind unübersehbar. Um das zu untermauern genügt es, einen Blick in die Statistik zu werfen: steigende Zahlen von Selbstmorden, Depressionen, kriminellen Gewaltakten, von Drogen-, Alkohol-, Beruhigungs- und Aufputschmittelmittelkonsum. Ich erspare Ihnen die Details, liebe Leser.

Was die Statistik diagnostiziert, deckt sich ja auch mit den persönlichen Erfahrungen, die man heute macht. Wieviel Elend im eigenen Bekanntenkreis: durch Scheidungen, Arbeitslosigkeit, Einsamkeit im Alter, Abgeschobenwerden als Kind...

Wer dann noch einen Blick auf die Schlagzeilen wirft oder die Nachrichten im Fernsehen verfolgt, den müßte eigentlich endgültig und restlos die Angst befallen: Welche Abfolge von Katastrophenberichten, großen und kleinen! Nur die Inflation solcher Meldungen und ihre leidenschaftslose Präsentation mit monotoner Stimme bewahren im allgemeinen davor , zu verzweifeln.

Sich zu fürchten, ist also im Grunde genommen die normalste Reaktion - gerade in unserer technischen Welt, in der so vieles perfekt funktioniert. Weil diese Welt uns jedoch mit so vielen Wohltaten versorgt, gelingt es den meisten, die naheliegende Angst zu verdrängen. Wer dies tut, verpaßt allerdings eine entscheidende Chance: die Wurzeln der begründeten Furcht freizulegen und entsprechend zu reagieren.

Welches aber sind diese Wurzeln? Sie haben ihren letzten Ursprung in der vorherrschenden falschen Welt- und Menschensicht. Sie hält sich zwar viel auf ihren Realitätssinn zugute, weil es ihr gelingt, mit einem riesigen wissenschaftlichen Apparat immer tiefer in das Funktionieren der Welt einzudringen. Tatsächlich aber ist dieser Zugang in einem erschreckenden Maß wirklichkeitsfremd. Er blendet nämlich die alles begründende Realität des lebendigen Gottes aus.

“Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott." (Joh 1,1) Wer nur halbwegs mit offenen Augen durch die Schöpfung geht, kann doch gar nicht anders, als deren gottgegebene Herrlichkeit zu bewundern.

Dennoch wird heute unter Ausblendung dieser Realität gottlos an einem immer unüberschaubaren Menschenwerk gebaut, von dem man erhofft, daß es uns Sicherheit und Geborgenheit bescheren wird. Tatsächlich ist dieser Gott ausblendende Umbau der Welt jedoch nichts anderes als das Herumpfuschen am Werk eines Größeren. Daher muß dieses Unternehmen scheitern. Und das spüren die Menschen und reagieren dementsprechend mit Unbehagen und ganz realer Angst. Das ist die notwendige Folge des Realitätsverlustes unserer Zeit, die tut, als gäbe es Gott nicht - eine Neuauflage des Turmbaus von Babel.

Der einzige Ausweg: Sich für die ganze Realität zu öffnen, vor allem für jene des lebendigen Gottes. Oder wie Papst Johannes Paul II. es gesagt hat: “Öffnet die Tore weit für Christus!" Nur so kann man der begründeten Angst, die in der menschlichen Unzulänglichkeit wurzelt, entrinnen.

An dieser Stelle scheint es mir angebracht, etwas klarzustellen: Wenn ich das heutige Fortschrittsprojekt kritisiere, so übersehe ich nicht die großartigen Leistungen, die es auch hervorgebracht hat und deren Nutznießer die meisten von uns sind. Ich predige auch keinen rabenschwarzen Pessimismus, sondern möchte allein die tödliche Einseitigkeit des Unternehmens, die in höchstem Maß angsterregend ist, hervorheben und auf den wirklich einzigen Ausweg hinweisen: sich für das Wirken des lebendigen Gottes zu öffnen.

Wer dies tut, dem wird eine neue Dimension im Leben eröffnet: Er beginnt zu ahnen, daß nicht der reibungslose Ablauf der äußeren Lebensumstände Angstlosigkeit garantiert - sonst müßten ja die Reichen und Gesunden die glücklichsten Menschen sein. Die Lebensangst verliert jemand in dem Maß, in dem er konkret darauf vertraut, daß Gott unter allen gegebenen Lebensumständen Geborgenheit schenkt.

Es geht um einen neuen Realitätssinn: Gott ist nahe, Er wirkt, wenn auch auf geheimnisvolle Weise, in unserem Alltag, Tag für Tag, Stunde für Stunde. In unserer für Gott so verschlossenen Zeit ist es schwierig, Wort für Wort ernstzunehmen, was der Psalmist sagt, aber es beschreibt die entscheidende Realität unseres Lebens: “Schreien die Gerechten, so hört sie der Herr: er entreißt sie all ihren Ängsten. Nahe ist der Herr den zerbrochenen Herzen, er hilft denen auf, die zerknirscht sind." (Ps 34,18f)

Nur wer diese Botschaft ernstnimmt, gelangt zu einer wirklich realistischen Sicht auf seine Existenz.

Auch wenn der Apostel Paulus schreibt: “Ich bin gewiß: Weder Tod noch Leben, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn" (Röm 8,38f), so darf man das nicht als Erbauungsliteratur abtun.

Es beschreibt nüchtern die Realität des Lebens: Jesus Christus ist dir nahe! Daher und nur deswegen gilt auch: Fürchte dich nicht! Denn “wir wissen, daß Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt." (Röm 8,28).

Natürlich ist es schwer, im Alltagsgetriebe das Bewußtsein der Nähe Gottes lebendig zu erhalten. Daher auch die vielen Sorgen und Ängste, die man bei uns Christen antrifft - ich weiß nur zu gut, wovon ich rede. Umso wichtiger aber ist es, uns gegenseitig diese Erfahrung immer wieder in Erinnerung zu rufen.

Zu Beginn des dritten Jahrtausends sind wir Christen in besonderer Weise aufgerufen, einer im Grunde genommen verzagten Welt, die Botschaft von der furchtlosen Freude an einem Leben mit Jesus Christus zu bringen. Die Furchtlosigkeit der Apostel hat die heidnische Welt der Antike von Grund auf verändert. Warum sollte unsere frohe Furchtlosigkeit nicht gleiches in der neuheidnischen Welt unserer Tage bewirken?

Daher noch einmal die wegweisenden Worte von Papst
Johannes Paul: “Fürchtet euch nicht! Öffnet die Tore weit für Christus!"

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