VISION 20006/2003
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Lernen, mit seiner Angst umzugehen

Artikel drucken Angst hat nicht nur negative Aspekte (Von Ingeborg Obereder)

Wer hätte sich noch nie gefürchtet? Jeder kennt sie, die Angst! Angst ist ein normales menschliches Gefühl wie Freude, Trauer oder Wut.

Ohne Angst würden wir wahrscheinlich nicht sehr alt werden, denn sie ist es, die uns davor bewahrt, uns leichtfertig Gefahren auszusetzen. Sie hilft uns auch, gefahrvolle Situationen zu bewältigen. Müßten wir nämlich bei einer realen Gefahr zuerst einmal überlegen, wie wir reagieren sollen, dann könnte uns dies das Leben oder die Gesundheit kosten.

Die Angstreaktion ist biologisch festgelegt, sozusagen ein Teil unseres genetischen Programms. Der Körper wird dabei durch verschiedene Reaktionen auf Kampf oder Flucht vorbereitet, um einer Gefahr sinnvoll begegnen zu können. Wir kennen die Symptome: erhöhten Herzschlag, schnellere und tiefere Atmung...

Zum Problem wird die Angst allerdings dann, wenn ich mich in keiner bedrohlichen Situation befinde und doch Symptome auftreten, die im Ernstfall sinnvoll, im Normalfall aber nur ärgerlich, belastend und “furchtbar" sind. Solche unerwünschten Zustände können sein: Muskelverspannungen, Würgegefühl im Hals, Einschlafstörungen, Schwitzen, Beklemmungsgefühle, Herzrasen, Blutdruckanstieg, Atemlosigkeit, Erstickungsgefühle...

Der Körper muß auf Gefahren reagieren. Allerdings tut er dies nicht nur bei einer tatsächlichen, sondern auch bei einer vorgestellten Bedrohung. “Nicht die Dinge an sich, sind es, die uns beunruhigen, sondern die Art und Weise, wie wir sie sehen", schrieb schon der griechische Philosoph Epiktet.

Angst erfaßt immer den ganzen Menschen: seine Gedanken, Gefühle, Verhaltensweisen, körperlichen Reaktionen und Empfindungen. Manche Menschen nehmen ihre körperlichen Angstsymptome wahr, ohne zu erkennen, daß die Ursache in Angst machenden Gedanken liegt. Oft glauben sie daher, an einer Krankheit zu leiden. Andere Menschen wissen um ihre Ängste, bringen sie aber nicht mit ihrer körperlichen Mißbefindlichkeit in Zusammenhang.

Unsere Ängste hängen wesentlich von unseren Gedanken und Vorstellungen ab. Dies zu erkennen ist für alle wichtig, vor allem für jene, die krank sind vor Angst - die Angst vor der Angst haben, an Panikattacken oder Phobien leiden.

Ein schlechter Einfall allerdings wäre es, würde ich zu meiner Angst sagen: “Ich möchte dich nicht haben! Ich akzeptiere dich einfach nicht! - Verschwinde gefälligst!" Die Angst würde sich dann an mich heften wie eine Klette. Die Begründung ist einfach: Wenn ich mich ständig gegen das Aufkommen von Angst wehre, werden Streßhormone ausgeschüttet, und die Angst wird umso sicherer auftreten oder bestehen bleiben.

Als einmal eine junge Mutter von kleinen Kindern wegen einer Angststörung in meiner Praxis war, fiel mir der Vers aus dem Struwwelpeter ein, wo es heißt: “Konrad, sprach die Frau Mama, ich geh fort und du bleibst da!" Aus den Gesprächen mit dieser Dame ergab sich nämlich, daß sie mit ihrer Angst ähnlich umging. Sie sagte gleichsam zu ihr: Ich geh fort, und du bleibst da!

Aber Angst läßt sich nicht einfach einsperren, im Gegenteil, sie wird dann noch mächtiger. Ebenso ist es keine Lösung zu sagen: “Du bleibst da, und ich bleib auch da!" In diesem Fall würde ich meinen Lebensraum immer mehr einschränken, was leider viele Angstpatienten auch tun. Sinnvoll ist nur, zu seiner Angst zu sagen: “Ich geh fort, und du gehst mit!" Angst läßt sich nämlich weder ein- noch aussperren. Sie muß akzeptiert werden; ich muß lernen, mit ihr umzugehen.

Ein anderer Grundsatz für den Umgang mit der Angst besteht darin, daß ich genau das tue, wovor ich mich fürchte. William James hat gesagt: “Tue das, wovor du dich fürchtest, und die Furcht stirbt einen sicheren Tod." Allen, die Angst haben, in ein Kaufhaus zu gehen, mit dem Zug zu fahren, die in einem Gastlokal nur Plätze aufsuchen, die eine rasche Flucht ermöglichen, möchte ich eindringlich ans Herz legen: “Vermeiden Sie Vermeidungsverhalten!"

Wenn Sie sich zu einer Unternehmung durchgerungen haben, die Sie aus Angst lieber vermieden hätten, beachten Sie einen weiteren Grundsatz der Angstbewältigung: Halten Sie unbedingt durch! Anfangs werden die körperlichen Symptome vielleicht sogar stärker auftreten, Sie werden aber bald merken, daß sie von allein abnehmen - es sei denn, sie bekämpfen ihre Angst.

Sprechen Sie sich selbst Mut zu wie: “Ich halte durch! - Es wird gleich besser!" Verlassen Sie die Situation erst, wenn die Angst spürbar abgenommen hat; das nächste Mal werden Sie von Anfang an schon mit weniger Angst in die Situation hineingehen.

Oft ist es hilfreich, sich zu bewegen, da dadurch die auf Kampf oder Flucht vorbereitete Energie abgebaut wird. Man kann gehen, laufen, hüpfen oder einfach Arme und Beine ausschütteln. Auch eine bestimmte Atemtechnik vermindert die körperlichen Angstsymptome: Bei geschlossenem Mund tief durch die Nase ein- und zwei- bis dreimal so lange bei leicht geschlossenen Lippen durch den Mund ausatmen. Der Herzschlag wird durch die langsamere Atmung herabgesetzt. Das verlängerte Ausatmen bewirkt eine Entspannung der Muskulatur.

Kontrollieren Sie vor allem Ihre Gedanken! Wer lebhafte Vorstellungsbilder über das entwickelt, was passieren könnte, begibt sich in einen Teufelskreislauf. Gedanken wie “Gleich fall' ich um" oder “Das halte ich nicht mehr aus" verstärken unnötig die Angstsymptome.

Wenn Sie ruhiger leben wollen, verzichten Sie auf Ihre Angst-Phantasien, denn diese steigern zwangsläufig die so unangenehmen körperlichen Symptome der Angst. Beobachten Sie vielmehr das Erlebte und beschreiben Sie, was tatsächlich geschieht: “Ich spüre, wie mein Herz schlägt, wie ich zittere; leichter Schwindel tritt auf..."

Ermutigen Sie sich zugleich in einem inneren Selbstgespräch, daß Sie alles aushalten können. Vielleicht gelingt es Ihnen sogar, Ihre Aufmerksamkeit überhaupt nach außen zu lenken anstatt auf körperliche Vorgänge.

Ich fasse das bisher Gesagte zusammen: Angst ist ein normales Gefühl und biologisch sinnvoll. Vor allem aber ist es wichtig zu wissen: Angst darf nicht verdrängt, sondern muß zugelassen werden. Das Vorhandensein von Angst muß - wie psychologische Experimente eindrucksvoll zeigen - akzeptiert werden, um eine Besserung zu erzielen.

Zum Abschluß noch ein Exkurs in die Heilige Schrift. Wie läßt sich das Vorhandensein und das notwendige Akzeptieren von Angst mit der biblischen Aufforderung vereinbaren: “Fürchte dich nicht!" (Lk 1,30)?

Das Schriftwort stellt ein Ziel vor Augen, dem es sich anzunähern gilt. Es hilft mir, das Haus meines Lebens auf festen Grund zu bauen - auf Gottes Wort und Seine Verheißungen. Nur die Wahrheit kann und wird mich frei machen; frei machen auch von der Angst.

Meine Gesundheit, mein Leben, alles, was mir lieb und teuer ist, ist bedroht. Nichts auf der Welt “habe" ich für immer, ist mir wirklich sicher. Das ist die Realität. Viele Menschen mit körperbezogenen Ängsten können jedoch letztlich die Bedrohtheit des Lebens oder der Gesundheit nicht akzeptieren. Der Aufruf “Fürchte dich nicht!" will mich jedoch dahin führen, immer mehr auf das einzig Sichere zu schauen: auf meinen Herrn, auf Jesus, meinen Retter und Erlöser.

Machen wir es wie der heilige Petrus! Als er im Wasser zu versinken drohte, streckte er seine Hand nach Jesus aus, der ihn errettete. Strecken wir uns aus nach Ihm! Schauen wir in allen Situationen des Lebens auf Ihn. Vertrauen wir Ihm und Seiner Liebe. Wir gehören Ihm, und Er ist treu.

Die Autorin ist Psychotherapeutin in Linz.

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