VISION 20006/2003
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Im Vertrauen auf Gott nachtwandlerisch durchs Leben

Artikel drucken Für Gott ist keine Not zu groß, in jeder kann Er helfen (Von Urs Keusch)

In den drei Jahren, während derer ich in VISION 2000 geschrieben habe, erhielt ich viele Briefe von Lesern, über die ich mich alle sehr gefreut habe. In diesen Briefen und in den täglichen Begegnungen mit Menschen kommt einem als Priester die ganze und vielfältige Not unserer Zeit entgegen.

Menschen leiden an dem fortschreitenden Verlust des Glaubens und der Dämonisierung in unserer Zeit. Andere möchten glauben und können es nicht. Wieder andere leiden an ihren Kindern, die von der Kirche nichts mehr wissen wollen. Andere werden mit ihren schweren psychischen Leiden nicht fertig. Bei anderen geht die Ehe in Brüche.

Dann gibt es Familien, die von finanziellen Sorgen fast erdrückt werden. Immer mehr Menschen verlieren von einem Tag auf den anderen ihre Arbeitsstelle. Viele halten dem Leistungsdruck am Arbeitsplatz nicht mehr stand. Jemand ist unheilbar krank und fühlt sich von seinen Ärzten im Stich gelassen.

Junge Menschen haben das tiefere Gefühl für Liebe und Treue verloren: Sie finden keinen Sinn mehr im Leben, verirren sich oft in okkulten Praktiken. Sie halten ihren Ängsten nicht mehr stand, verlieren ihre psychische Stabilität, geben ihre Lehre, das Studium auf und geraten immer mehr ins gesellschaftliche Abseits.

“Ich werde noch in dieser Woche sterben", sagte mir ein Mädchen, “der Geist, den wir angerufen haben, hat es mir geoffenbart." Sie war voll Unruhe und zitterte am ganzen Leibe...

Manchmal sieht man sich als Priester bei all diesen Nöten der Menschen wie vor einem riesigen Berg. Als ich einmal einem Freund von diesem Berg erzählte, sagte er zu mir:

“Mir erging es genauso: Ich meinte, dieser Berg würde über mich fallen und mich erdrücken. Als ich betete und dem Herrn meine Not klagte, da war mir, als hörte ich in meinem Herzen eine Stimme: ,Habe ich nicht gesagt, wenn dein Glaube so groß wäre wie ein Senfkörnlein, könntest du zu diesem Berg sagen: Heb dich hinweg und stürz' dich ins Meer, und er würde es tun?' (Mt. 17,20) Da habe ich begriffen: Mir fehlt der Glaube! Also habe ich zum Herrn gebetet: ,Ich glaube an Dich. Ich glaube, daß es Dir in Deiner allmächtigen Liebe möglich ist, den vielen Menschen zu helfen, die mir ihre Nöte anvertraut haben.' Als ich so voll Vertrauen zu meinem Herrn gesprochen hatte, war der Berg weg, und ich konnte wieder fröhlich sein."

Ich glaube, hier liegt die größte Not des Menschen heute: Vielen von uns fehlt der senfkörnlein-große Glaube. Oder, was dasselbe meint: Uns fehlt das Vertrauen in den lebendigen Gott, der uns nahe ist und darauf wartet, daß wir mit all unseren Nöten zu Ihm gehen. Er ist uns in der Menschwerdung Seines Sohnes so nahe gekommen - und doch sind viele Ihm so fern!

Ich habe in all den Jahren meiner Seelsorgetätigkeit die Erfahrung gemacht, daß es kein größeres Geschenk, keine größere und schönere Tugend gibt als ein tiefes, herzliches Vertrauen in die Liebe und die gütige Vorsehung Gottes, der nichts unmöglich ist.

In der Bibel heißt es immer wieder: “Fürchtet euch nicht!" Jemand hat sich die Mühe gemacht und alle “Fürchtet euch nicht!" des Alten und Neuen Testaments gezählt. Er ist auf 366 gekommen: für jeden Tag des Jahres ein “Fürchtet euch nicht!" - selbst im Schaltjahr.

Dieses von Gott und Seinen Engeln gesprochene “Fürchtet euch nicht!" will ja genau das ausdrücken: “Hab keine Angst, was immer dir zustößt, du bist in Gottes Hand. Vergiß das nie. Gott ist dir näher als deine Gefahr. Und deine Gefahr ist auch in der Hand Gottes. Nimm zu Ihm deine Zuflucht, und deine Not, dein Unglück, dein Schmerz, dein Problem, deine Angst kann dir zum Segen werden."

Ich bin mir ganz sicher, weil ich es fast täglich erlebe: Es gibt heute keine Botschaft, die so hell und tröstlich an die Welt ergeht wie die Botschaft von der barmherzigen Liebe Gottes, die uns der Himmel durch die heilige Schwester Faustyna geschenkt hat. Auf dem Bild des auferstandenen Herrn stehen die Worte: “Jesus, ich vertraue auf Dich!" Das heißt doch dasselbe wie: “Fürchte dich nicht! Hab' keine Angst vor der Zukunft. Hab' kein Angst vor dem, was dir zustoßen kann. Denn ich bin der Herr des Lebens, ich bin der Herr auch all deiner Probleme!"

In den Aufzeichnungen der heiligen Faustyna gibt es einen wunderbaren Satz. Da sagt Christus: “Selig der Mensch, der sich mir anvertraut, Ich selbst werde für ihn sorgen." Ich weiß von Menschen, die in einem solchen biblischen Vertrauen geradezu nachtwandlerisch durchs Leben gehen und Dinge erleben, die an die Wunder der Bibel erinnern.

Es gibt keine unlösbaren Probleme und Nöte für Menschen, die von Herzen an die Güte Gottes glauben und dem Vertrauen in die Allmacht der Liebe Gottes keine Grenzen setzen. Und es gibt auch keinen schöneren Gottesdienst als das kindliche Vertrauen eines glaubenden Menschen.

Wer in großer Not ist - materiell oder geistig - sollte das Gebet “Jesus, ich vertraue auf Dich!" laut beten, laut sprechen - 20, 30, 100 Mal. Er sollte es solange mit glaubendem Herzen sprechen, bis er innerlich die Gewißheit hat: Der Herr hat mich erhört. Das äußert sich in einem tiefen, inneren Frieden, den nur der Herr uns schenken kann, in einer tiefen, innerlichen Gewißheit der Nähe und Fürsorge Gottes.

Man kann heute die Menschen nicht genug anhalten, ihr Vertrauen in die Liebe und Fürsorge Gottes Tag für Tag zu vertiefen. Das geht nur, wenn wir täglich - und seien es auch nur ein paar Zeilen - in einem guten geistlichen Buch lesen, das dieses Vertrauen stärkt und vertieft. Wir sollten es auch als eine Gnade ansehen, als einen Liebesbeweis Gottes, wenn in unserem Leben nicht immer alles rund läuft und geradeaus geht, wenn wir hin und wieder ein wenig Einsamkeit erleben, manchmal ein wenig Demütigung, ein bißchen Schmerz und Krankheit. Das alles sind ja “Tricks" der Liebe Gottes, mit denen Er Seine Kinder an sich ziehen will.

Viele machen einen großen, ja verhängnisvollen Fehler: Sie gehen mit ihrer Not viel zu spät zu Gott, vertrauen Ihm ihre Not nicht an. Lieber telefonieren sie stunden- und tagelang mit Freunden, erzählen und wiederholen ihre Probleme so lange und so oft, bis sie selbst und ihre “Opfer" erschöpft sind. Natürlich darf und soll man seine Nöte anderen anvertrauen. Doch: “Suche nur bei einem Verständigen Rat!" (Tob 4,18) Der Verständigste von allen und über allen aber ist unser Vater im Himmel. Nur: zu Ihm gehen so viele oft erst, wenn ihnen das Wasser bis zum Hals steht. Dann meinen sie, wenn sie hin und wieder ein Stoßgebet zum Himmel schicken, müßte Gott ihnen helfen. Ist das nicht töricht?

Gleichen Menschen, die das tun, nicht jenen, die zweimal am Tag einer Kreditbank eine Postkarte senden mit der Bitte: “Schicken sie mir bitte 100.000 Euro." Sie werden nie Geld bekommen. Und auch bei Gott erreicht man auf diese billige Weise meist nichts. In den großen Nöten und Fragen unseres Lebens will Gott mit großem Ernst, demütiger Hingabe, anhaltend und inständig (Apg 12,5) angefleht werden. Dasselbe meint auch der heilige Franz von Sales, als er einmal sagte: “Die beste Art zu beten ist, mit wenigen Worten zu beten, aber nicht in zu kurzer Zeit."

Noch etwas: Menschen in großer Not sollen auch andere für sich beten lassen: Freunde, Gebetsgruppen, Klöster, Kinder, vor allem einfache und “arme" Menschen, deren Gebet durch die Wolken dringt (Sir 21,5;35,21). Es sollte überall Gebetsgruppen geben, die sich regelmäßig treffen und in ausgedehnten Stunden für all die vielen Anliegen beten, die ihnen anvertraut werden. Wir würden Wunder erleben. Aber weil es so wenige Menschen gibt, die an die Macht des anhaltenden Gebets glauben und lieber schlafen als wachen, gibt es so wenige Wunder und so wenige gute Werke, die den Vater im Himmel preisen. (Mt 5,16)

Noch ein Letztes: Gott kann und will jedem Menschen und in jeder Not helfen, oft wunderbar und wie kein menschlicher Verstand es sich vorzustellen vermag. Er will aber oft auch durch uns Menschen helfen: durch dich und mich! Wenn eine Familie zum Beispiel in einen finanziellen Engpaß hineingeraten ist, ein Kind auf eine notwendige Ausbildung verzichten muß oder eine kranke Mutter sich keinen Kuraufenthalt leisten kann, obwohl sie es dringend bräuchte: Dann könnte es sein, daß Gott durch uns diesen Menschen helfen möchte.

Überhaupt denke ich, wir Christen sollten mit dem Geld etwas lockerer umgehen, als wir das im allgemeinen tun. Es gehört zur Tugend des Christen, sensibel für die verborgenen und oft so drückenden finanziellen Nöte der Menschen zu sein. Nach Mutter Teresa sollte man ja geben bis es ein wenig wehtut.

Zuletzt noch ein Wort des Heiligen Franz von Sales, das alles zusammenfaßt. Er schreibt in einem Brief:

“Wenn ich noch einmal zur Welt käme, ließe ich mich von vornherein auch in den geringfügigsten Dingen von der göttlichen Vorsehung mit der Einfalt eines Kindes und mit Verachtung aller menschlichen Klugheit leiten... Selig, wer dem vertraut, der als Gott alles Gute geben kann und es auch geben will als Vater ... Könnten wir die Vorsehung in ihrem wunderbaren Walten recht begreifen, unser Herz müßte von innigem Gefühl der Liebe und des Dankes fröhlich sein."

Der Autor ist Priester und wohnt in der Schweiz.

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