Allen bin ich alles geworden, um auf jeden Fall einige zu retten. Alles aber tue ich um des Evangeliums willen", schrieb Paulus in 1Kor 9,22ff - ein Wort, das in besonderer Weise auf Josef Freinademetz zutrifft, dessen Lebensweg vom einsamen Tiroler Bergbauernhof nach China führte.
Er wurde am 15. April 1852 bei Abtei in Südtirol in ärmlichste Verhältnisse hinein geboren. Als er 6 Jahre alt war, mußte er täglich, wie alle Bergbauernkinder, einen weiten Weg zur Dorfschule gehen. Begabt, wie er war, kam er als 10-jähriger nach Brixen ins Gymnasium, um später studieren und Priester werden zu können. Er hatte “eine leichte Auffassungsgabe, ... war namentlich für Sprachstudien ganz besonders talentiert."
1872 begann er das Theologiestudium, wurde bereits 1875 zum Priester geweiht und war dann Kooperator und Dorfschullehrer. Zeitzeugen berichten, daß er “trotz seiner Jugend wie ein abgeklärter, ausgereifter Mann" war. Im Jänner 1878 entdeckte er einen Bericht über das von Arnold Janssen gegründete Missionshaus in Steyl.
Freinademetz, der sich bereits seit seiner Schulzeit zur Heidenmission hingezogen gefühlt hatte, fuhr mit Billigung seines Bischofs nach Steyl, um sich der Gemeinschaft anzuschließen. Janssen erkannte in ihm bald den berufenen Missionar und sandte ihn und Johann Anzer im März 1879 als erste Steyler Missionare (SVD) nach China. Der Abschied von der Tiroler Heimat wurde ihm schwer: “Für nichts in der Welt würde ich ein solches Opfer bringen. Für unseren guten Herrn und Gott tue ich es und bin dabei zufrieden und froh".
In Hongkong angekommen, begann für ihn auf einer Missionsstation eine harte Lehrzeit. Später bezeichnete er sie als sein “Noviziat für die Mission": Erlernen einer schwierigen Sprache; Begegnung mit chinesischen Sitten und Verhaltensweisen, die ihn anfangs abstießen; Malaria, die ihn quälte; eine seltsame Ernährung, an die er sich gewöhnen mußte. Bald wurde er chinesisch eingekleidet und erhielt den Namen Fu-Shenfu. Nach zwei Jahren wurde er nach Süd-Shantung, sein Missionsgebiet, versetzt, wo er wieder eine neue Sprache, das Shantung-Chinesisch, zu erlernen hatte.
In dieser Zeit schrieb er in einer Art Rückblick, vor welch ungeheuren Problemen ein europäischer Missionar steht, wenn er nach China kommt. Ein erschütternder Bericht, aus dem hervorgeht, daß ihn in all den Entmutigungen nur der tiefe, trockene Glaube aufrecht erhalten hatte.
Im März 1882 kam er nach Puoli, dem Ort, wo er am eigentlichen Ziel seiner Wanderung angelangt zu sein meinte. Von dieser Missionsstation aus begab sich Freinademetz in die umliegenden Dörfer, um Kontakte zu knüpfen; ein schwieriges Unterfangen. Etwas leichter hatten es die wenigen einheimischen Katechisten, die mit den Missionaren zusammenarbeiteten: “Diese Katechisten tun sich viel leichter als wir, sie sind Chinesen, wir dagegen heißen europäische Teufel".
Auf diesen Reisen erlebte er viele Enttäuschungen, viel Betrug und Lüge. Dennoch vollzog sich in ihm in dieser Zeit ein großer Wandel: China wurde ihm zur Heimat und er selbst allmählich - soweit das möglich ist - Chinese, der Chinesisch so gut sprach, daß man “nicht mehr den Ausländer heraushörte".
Zunehmend sah er die einheimischen Traditionen, die er früher hart beurteilt hatte, in einem günstigeren Licht: “Die Chinesen sind gute Köpfe, vorzüglich begabt, selbst der einfache Bauer redet wie ein Doktor... In vielen Dingen sind sie den Europäern überlegen, das wissen sie auch selbst. Daher das riesige Selbstbewußtsein und die Verachtung der Ausländer".
Seine freundliche, gütige Art öffnete ihm die Herzen der chinesischen Christen. Selbst viele Nichtchristen brachten ihm höchste Achtung entgegen: “Fu-Shenfu ist ein kluger Mann". Große Sorgen bereiteten ihm die Streitigkeiten zwischen christlichen und heidnischen Chinesen, in die er hineingezogen wurde, die Verleumdungen, Intrigen, falschen Gerüchte: “Die leidige Ansicht, als kauften wir unsere Christen, hat den Boden ganz unterwühlt und den Hunger nach Geld in allen Krämerseelen gereizt".
Am 23. Mai 1889 ereignete sich ein denkwürdiger Vorfall. Nach einer Vorsprache bei einem örtlichen, christenfeindlich gesinnten Mandarin wurde er von dessen Untergebenen überfallen: “Sie rissen mir die Haare aus, verdrehten mir die Arme, und aus dem Ort, wo alle Welt seine Notdurft verrichtet, griff einer eine Handvoll heraus und frisierte mir das ganze Gesicht." Man schleifte ihn durch die Straßen, doch trotz seiner Not hielt er der Menge eine Predigt: “Was die Religion, die ich predige, angeht, so kennt ihr sie nicht. Würdet ihr sie kennen, so hättet ihr so viel und noch mehr Begeisterung für sie, als ihr jetzt gegen sie zeigt!"
Daraufhin wurden die Leute still und zerstreuten sich. Es war dies nicht das einzige Mal, daß er mißhandelt wurde.
Sein Aufgabenbereich - mehrfach war er Provikar und Administrator - wurde im Laufe der Jahre immer größer und damit seine Einsicht in die Mentalität der Chinesen: “Dem Volke dieses Landes gegenüber hüte dich, an ihren Gebräuchen zu rütteln, sofern dieselben nicht abergläubisch sind. Passe dich vielmehr der Sitte des Landes nach Möglichkeit an ... was gibt es Unsinnigeres, als Frankreich, Deutschland, Italien in China einführen zu wollen".
Er schrieb, daß guter Religionsunterricht bei Neuchristen “mit unendlichen Schwierigkeiten" zu kämpfen habe, trotzdem sei “ein guter Unterricht eine conditio sine qua non (unbedingte Notwendigkeit Anm.), soll in einer neuen Gemeinde das Christentum tiefe Wurzeln schlagen und gute Früchte zeitigen".
Schwer litt er unter dem schlechtem Beispiel ausländischer “Christen": “Leider ist das Benehmen mancher Ausländer nur dazu angetan, uns in den Augen der chinesischen Bevölkerung noch verächtlicher zu machen. Die Christen ... geben kein Beispiel christlichen Lebens, im Gegenteil". Vielfach hatte die Bevölkerung “keinen anderen Herzenswunsch als den, die fremden Teufel wieder vertreiben zu können".
Um 1900 wurde die Situation durch die berüchtigten Boxeraufstände äußerst heikel. Es kam zu grausamen Christenverfolgungen, Missionare wurden ausgewiesen, es gab viele Märtyrer. Freinademetz selber blieb unter höchster Lebensgefahr bei seinen Christen, bis sich die Lage entspannte.
Als er um 1901 zum Provinzial des Ordens in Süd-Shantung ernannt wurde, trachtete er, die arg darniederliegende geistliche Situation der Mitbrüder zu verbessern, die ihre Ursache in andauernden Schwierigkeiten mit dem Bischof, aber auch in der mangelnden Beobachtung der Gelübde und der Ordensdisziplin hatte. Regelmäßige Exerzitien verbesserten die Lage rasch, und bereits 1903 gab es viel mehr Einheit und gegenseitiges Vertrauen, sehr zum Nutzen der Mission und ihrer Glaubwürdigkeit.
Tatsächlich blühte die Mission auch sichtlich auf. Auf seinen Visitationsreisen fand er natürlich die verschiedensten Verhältnisse vor, und nicht überall war die Kirche wirklich blühend. Aber im großen und ganzen zeigten sich Fortschritte, die auch darauf zurückzuführen waren, daß die Zusammenarbeit zwischen dem neu ernannten Bischof Henninghaus und ihm als Ordensoberen ausgezeichnet war. Am 28. Jänner 1908 starb der Heilige an Typhus.
Freinademetz ging mit persönlicher Bescheidenheit, jedoch furchtlos auf die Menschen zu. Dabei konnte er recht fröhlich sein, wenn er etwa zu seinen Mitbrüdern auch in sehr ernsten Situationen auf tirolerisch sagte: “Bubn, es müascht lustig sein!".
Aber “bei aller Güte und Freundlichkeit war sein Urteil klar, nüchtern, mit einem praktischen Blick, dabei treu in der Beachtung der kirchlichen Pflichten. Seine ruhige und gesetzte Art, seine Selbstbeherrschung imponierte den Chinesen mehr als vieles andere". Er brachte ihnen das Evangelium ohne billiges Aufgeben von Glaubenswahrheiten - auch auf das Risiko hin, nicht sofort gehört zu werden.
Sein Erfolgsgeheimnis: “Er war ein Mann des Gebets...
oft bis spät in die Nacht"; denn “ein Priester ohne Frömmigkeit ist wie ein Leib ohne Seele" - ein bedenkenswertes Wort, vielleicht nicht nur für die Priester...