VISION 20001/2004
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Ein Kind ist doch etwas Tolles, keine Last!

Artikel drucken Lehren aus einem Leben nach der Abtreibung

Teilnehmer der Aktion “City Life" von “Jugend für das Leben" haben heuer im Sommer Renate (Name geändert) kennengelernt. Sie hat vor 20 Jahren ihr Kind abgetrieben. Im folgenden Interview gibt sie Zeugnis von ihrem Lebensweg.

Wie kam es zu der Abtreibung?

Renate: Da war ich 19 Jahre alt, das war 1983. Ich habe mir damals gedacht, daß mir so etwas nie passieren würde, habe nie verhütet und in Betracht gezogen, daß ich schwanger werden könnte. Ich habe damals Schauspiel gelernt, alles hat erst begonnen. Ich wurde Schauspielerin am Theater an der Josefstadt - und bin überraschend von meinem damaligen Freund schwanger geworden. Mit Religion hatte ich überhaupt nichts am Hut, es war kein Thema für mich. Als ich meine Schwangerschaft bemerkte, habe ich mir gedacht: das kann jetzt nicht sein. Das ist nicht der Mann, mit dem ich leben will und mit meiner Karriere als Schauspielerin wird es Schluß sein. Meine Eltern haben mich auch nicht bestärkt, daß ich das Kind bekommen sollte. Sie haben mir zur Abtreibung geraten. Ich dachte: Wenn man das Kind einfach wegtut, ist alles erledigt. Das war ein ganz grober Fehler.

Was geschah dann bei der Abtreibung selbst?

Renate: Ich wurde nicht betäubt, weil ich eine irre Angst vor der Narkose hatte, sondern bekam eine Spritze in die Gebärmutter. Als ich in den Abtreibungsraum geschoben wurde, war ich ziemlich ruhig. Es war eine Küretage: Absaugen und Auskratzen und hat sauweh getan. Während der Absaugung habe ich gespürt: Jetzt wird mir Leben rausgesaugt. Leben von meinem Leben wird mir weggenommen. In diesem Moment bin ich während der Abtreibung komplett eingegangen. Aber da war es natürlich schon zu spät.

Und wie ist es dann nach der Abtreibung weitergegangen?

Renate: Zunächst körperlich nicht so gut. Ich war mitgenommen. Psychisch war in den ersten 14 Tagen alles sehr gut. Ich dachte, das Problem sei erledigt, ich sei wieder richtig frei. Nach drei Wochen setzten aber total schwere psychische Probleme ein, die zehn Jahre lang anhielten. Starke Depressionen, Angstzustände und Panikattacken waren mein Alltag. Hatte ich vorher gedacht, mit einem Kind würde alles zerstört, so traf das dann ohne Kind ein: Schauspiel und Karriere - nichts konnte ich machen wegen meiner Ängste und Depressionen. Es trat ein, was wahrscheinlich mit dem Kind gar nicht eingetreten wäre, weil viele mir geholfen hätten.

Ich habe mich immer als Mörderin gesehen. Ich war einfach eine Mörderin und habe mir eine komplette Selbstbestrafung angetan. Ich sah das Kind irgendwie im Himmel, hatte aber ein irrsinnig schlechtes Gewissen. Der erste Arzt sagte mir: Vergessen sie das, abtreiben tun andere auch... Er konnte mir überhaupt nicht helfen. Der zweite Arzt hat mir gesagt, wenn ich mich als Mörderin sehe, müßte ich das Geschehene akzeptieren, als Mörderin weiterleben. Das hat mir zum Teil geholfen. Ich habe akzeptiert, daß ich damals ein Kind hatte. Es ist einfach mein Kind, welches gestorben ist, und ich bin die Mutter. Jede Frau, die abtreibt, ist in Wirklichkeit Mutter und hat ein Kind, das gestorben ist. Wirklich geholfen hat mir erst, als ich wieder ein Kind bekam.

Was waren das denn vorher für Ängste?

Renate: Ich habe eine Zeit lang wirklich Platzangst gehabt, konnte zum Beispiel nicht mehr ins Auto einsteigen. Es waren Ausbruch- und Rückzugsängste, abwechselnd. Vermutlich hätte ich manche Schwierigkeiten auch durch meine problematische Kindheit bekommen, die Abtreibung war aber das auslösende Moment.

Wann haben diese schweren Probleme nachgelassen?

Renate: Als ich nach zehn Jahren ein zweites Kind bekam. Ich lebe heute allein mit meiner Tochter. Der Mann hat sich nach der Nachricht, ich sei schwanger sofort verabschiedet. Er wollte sein Kind nie sehen.

War der Mann überfordert?

Renate: Das Kind paßte nicht in seine Planung. Da ist er komplett ausgestiegen. Menschen glauben immer, sie haben Planungen und dann kommt's anders. Meine Situation war daher schrecklich. Dazu kam noch, daß meine Ärztin verlangte, wegen dem Kind die Antidepressiva sofort abzusetzen. Daher war die Schwangerschaft ohne meine Tabletten in den ersten fünf, sechs Monaten eine Katastrophe. Wie ich dann die Bewegungen meines Kindes in mir gespürt habe, hat sich alles komplett geändert. Depressionen und Ängste wurden schwächer, mit dem Kind hat sich mein Leben komplett gedreht. Ich kann daher nicht verstehen, wenn Frauen sagen, sie können vieles mit einem Kind nicht mehr machen. Für mich war das genau umgekehrt. Das Kind hat mir die geistige Freiheit gebracht. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, wie ich leben konnte ohne mein Kind. Für mich ist es das Natürlichste, daß die Frau ein Kind hat. Das gehört zum Leben dazu.

Was würdest Du einer Frau raten, die in der gleichen Situation wie Du damals steckt?

Renate: Heute wird soviel überlegt, ob man ein Kind kriegen soll oder nicht. Das Kinderkriegen ist einfach das Natürlichste, was es gibt. Fünfmal überlegt man hin und her, ist dies der richtige Zeitpunkt oder ein späterer - und der richtige Moment ist dann nie da. Die Wohnung ist jetzt zu klein oder das Auto ist jetzt zu groß, der Zeitpunkt stimmt nicht. Man soll das Kind annehmen und sich freuen, daß es passiert ist. Ein Kind ist etwas Tolles und nicht eine große Aufgabe, die das Leben kaputt macht. Das ist ein falsches Denken, was uns da eingeredet wird. Wenn das Kind schon im Bauch der Mutter ist, ist es zu spät zu überlegen und zu entscheiden. Da ist alles schon passiert.

Was mich zum Schluß interessiert, ist Dein religiöser Weg. Du sagtest zu Beginn des Interviews, zum Zeitpunkt der Abtreibung warst Du ungläubig. Hast Du Dich seither verändert?

Renate: Da hat sich schon etwas geändert. Aber ich weiß nicht, ob sich das durch die Abtreibung geändert hat oder durch mein ganzes Leben. Ich habe früher nicht viel nachgedacht, wie man betet oder so. Jetzt denke ich einfach viel mehr über Gott nach und auch darüber, daß gewisse Gebote nicht einfach dazu da sind, um uns zu ärgern, sondern um uns zu schützen. Die Gebote sind nichts anderes als Hilfen, die uns gegeben werden, sodaß wir irgendwie gut auskommen miteinander und so gut wie möglich für uns selber leben. Das Gebot: “Du sollst nicht töten" steht meiner Meinung nach nicht nur da für das Opfer, sondern für mich selber.

Das Gespräch führte Norbert Steinacher am 25. 11. 2003 in Wien.

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