Wie kann man Frauen, die abgetrieben haben, in ihrem bewußten oder unbewußten Leid helfen? Eine Ärztin, die viele Jahre hindurch in der Beratung tätig war, faßt im folgenden Beitrag wesentliche Einsichten und Erfahrungen zusammen.
Ich war gerade einmal 17 Jahre alt, als ich erstmals einer Frau begegnete, die als Folge einer Abtreibung ernstlich psychisch erkrankte. Nach einem Seitensprung in der Ehe wurde sie schwanger. Durch eine Abtreibung wollte sie all das ungeschehen machen. Es gelang nicht.
Sie bekam massive Panikattacken und mußte sogar stationär auf der Psychiatrie behandelt werden. Auf diese Weise kam das “Geheimnis" dann doch an den Tag. In der Folge kam es sogar zur Ehescheidung. Jahre später ging sie eine neue Lebensgemeinschaft ein. Seither sind 24 Jahre vergangen und sie leidet - so viel ich weiß - immer noch an denselben Symptomen. Ihr Schicksal hat damals einen tiefen Eindruck auf mich gemacht.
Jahre später, während meines Medizin- und Psychologiestudiums sind mir wiederum Frauen begegnet, die mir von ihren Abtreibungen berichteten und allmählich wurde mir klar: in dieser Situation kann wirklich nur Gott helfen. Auch im Rahmen meiner fast sechsjährigen Beratertätigkeit bei “Human Life International" und “Ja zum Leben" durfte ich in der Begegnung mit vielen Frauen erkennen, was nach einer Abtreibung für den Heilungsprozeß förderlich ist.
Zwei Grundvoraussetzungen gibt es jedenfalls für die Heilung:
1. Das Eingeständnis, daß ein Kind getötet worden ist - und zwar mein Kind -, nicht etwa ein Zellhaufen oder sonst etwas.
2. Wer abtreibt, lädt eine schwere Schuld auf sich und zwar deshalb, weil nur Gott über das Leben verfügen darf. Das Leben ist unantastbar und heilig. Gott ist das Leben selbst. Er liebt unser Leben und will nicht unseren Tod. Das Leben ist eine einmalige Chance und die Berufung, Gott und den Menschen zu dienen. Diese Aufgabe kann von niemand anderem übernommen werden. Daher ist ein abgetriebenes Kind unersetzlich für die ganze Gesellschaft. Jede Abtreibung zerstört den Heilsplan Gottes mit den Menschen. Abtreibung ist keine Bagatelle, sondern eine der Sünden, die zum Himmel schreien.
Im gleichen Atemzug muß man aber auch sagen: Gott haßt zwar die Sünde, aber Er liebt den Sünder - und zwar so sehr, daß Er am Kreuz für uns gestorben ist. Im Rahmen meiner Beratertätigkeit habe ich viele Gebetserhörungen erlebt und daraus den Schluß gezogen: Gott liebt diese Frauen sehr. Er will absolut und definitiv nicht, daß diese Frauen “untergehen". Er will für sie das Leben und das ewige Heil. Damit Gott dieses Heil aber wirken kann, ist es wichtig, daß die Frau ihren realen Anteil an der Schuld erkennt und sich zu dieser Schuld bekennt. Nicht zu mehr und nicht zu weniger.
Dann kann Jesus die Sünde vergeben. Er will es ja, wenn wir bereuen und unser zerstörerisches Verhalten ablegen. Und diese Vergebung brauchen wir immer wieder, wir alle ohne Ausnahme. Denn betont werden muß auch, daß die Schuldzuweisung niemals nur die Mutter des abgetriebenen Kindes treffen darf, auch nicht die Umgebung allein. Sind wir nicht alle irgendwie in dieses Geschehen einbezogen? Daher ist auch für uns alle das Sakrament der Buße das Heilmittel par excellence.
Sich der Tatsache der Tötung und der Schuld zu stellen, ist deswegen so wichtig, weil die Frau ihr Baby willkommen heißen, es annehmen und betrauern muß. Wird nämlich der Trauerprozeß nicht durchlebt, so ist das psycho-physische Gleichgewicht der Frau bedroht. In der Folge könnten dann beispielsweise psychosomatische Erkrankungen, Depressionen und vieles andere auftreten. Entscheidend ist also der richtige Umgang mit der Schuld.
In diesem Zusammenhang ist es angebracht, von Buße zu sprechen: Der Begriff Sühne ist in unserer Zeit des kollektiven “Unschuldwahnes" ein recht unpopuläres Wort. Kaum ein Priester wagt davon zu sprechen. Sicher: Jesus hat uns durch Seinen Tod am Kreuz von unseren Sünden erlöst - ein für alle mal. Also sind mit der gültigen Beichte auch die Sünden vergeben. Aber, was bleibt, sind die Sündenfolgen. Und zur gültigen Beichte gehören aufrichtige Reue und der Wunsch nach Wiedergutmachung.
Bezogen auf die Abtreibung heißt das: Die Frau, die sonst den Rest ihres Lebens viele, viele Stunden lang dem Kind Liebe und Aufmerksamkeit geschenkt hätte, kann dies nicht tun. Es ist ja kein Kind da. So bleibt sie förmlich auf ihrer Liebe “sitzen". Und das ist ein ungeheurer Schmerz. Deshalb ist es auch keine Drangsalierung, wenn man den Müttern, die ein Kind durch Abtreibung verloren haben, sagt: Leistet Wiedergutmachung! Sicher: Es gibt keine eins zu eins Wiedergutmachung. Aber Bemühungen in diese Richtung sind ein wunderbarer Weg der Heilung, der Versöhnung mit Gott, mit dem abgetriebenen Kind und den Mitschuldigen.
Diese Wiedergutmachung kann durch gute Taten, durch Gebet für andere, die vor demselben schwerwiegenden Entschluß abzutreiben stehen, geschehen. All das sind Wege aus dem Dunkel. Dazu einige Anregungen:
* Daß heute noch so viele Kinder in unserem Land abgetrieben werden, ist nur möglich, weil so viele Frauen aus Scham schweigen, statt aufzustehen und andere Frauen zu warnen. Das zu tun, wäre ein Weg der Wiedergutmachung - natürlich auch für die betroffenen Väter.
* Nun mag es nicht jedermanns Sache sein, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Dafür gibt es viele andere Möglichkeiten, Gutes zu tun. Ein Beispiel: Für viele alleinerziehende Mütter ist es sehr schwierig, Beruf, Kindergarten oder Schule unter einen Hut zu bringen, besonders im Krankheitsfall. Ein paar Babysitterstunden in der Woche würden da eine große Entlastung bringen. Kirchliche Stellen vermitteln gerne solche Dienste.
* Eine gute Buße für ein Ehepaar könnte auch sein, das Eheversprechen zu erneuern. Dazu sollte auch gehören, allen Verhütungsmitteln abzusagen und einen Kurs über Natürliche Empfängnisregelung zu besuchen. Wenn Ehepaare versuchen, den Weg der Selbstbeherrschung aus Liebe zu gehen, ist das gelebte Reue.
* Andere Ehepaare werden als Buße (damit alles zum Besseren gewendet wird) an ihrer Paarbeziehung arbeiten, wenn nämlich Konflikte ursächlich für eine Abtreibung waren.
* Viele Frauen, die abgetrieben haben, sind psychisch sehr verletzt. Sie wurden als Kind vernachlässigt, viele sogar sexuell mißbraucht. Eine ungewollte Schwangerschaft bringt dann alle “Defizite" bei ihnen ans Licht, vor allem dann, wenn der Partner oder die Eltern keine Hilfestellung geben.
Viele dieser durch Kindheitserfahrungen traumatisierten Frauen wären allerdings überfordert, wenn man sie dazu aufforderte, sich um andere zu kümmern. Ihre Buße müßte es sein, sich zunächst einmal selbst annehmen zu lernen nach dem Gebot Gottes, den Nächsten wie sich selbst zu lieben. Gelebte Selbstliebe kann es dann sein, mit einem guten christlichen Therapeuten die wahren Ursachen für die Abtreibung herauszuarbeiten, um sie dann Jesus mit der Bitte um Heilung zu übergeben, damit die Frau nicht mehr zerstörerisch handeln muß. Hier kann es auch angebracht sein, einen Priester zu bitten, das Sakrament der Krankensalbung zu spenden.
* Noch eine gute Möglichkeit, Buße zu tun, möchte ich erwähnen: Fasten, Leiden aufzuopfern, Eucharistische Anbetung im Geist der Sühne zu halten - und zwar entweder für Menschen, die in Gefahr sind selbst abzutreiben, oder solche, die nach einer Abtreibung hoffnungs- und friedlos leben, daß ihnen die Gnade der Umkehr zuteil werde. Der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Es gibt ja so viele Möglichkeiten, die Zeit und die Liebe, die ich dem abgetriebenen Kind geschenkt hätte, jemand anderem zuzuwenden. Wesentlich bei der Wiedergutmachung ist jedenfalls, daß sie den Kern des Problems trifft und dazu beiträgt, daß die Wurzel des Übels, die zur Abtreibung geführt hat, ausgerissen wird.
Solche oder ähnliche Arten der Buße sollte man sich selbst auferlegen, um die Schuld positiv zu bewältigen. Denn erfahrungsgemäß hilft es gar nichts, wenn Psychotherapeuten versuchen, den Frauen die Schuld auszureden. Das funktioniert einfach nicht!
Wer sich aber anderen zuwendet, bemerkt dann bald, daß der vermeintlich Schenkende selbst beschenkt ist. So berichteten Frauen, die nach einer Abtreibung Besuchsdienste bei behinderten Kindern machten, das habe ihnen sehr geholfen, den eigenen Schmerz um das verlorene Kind zu mindern. Im Lebenszentrum hat mir einmal die Mutter eines behinderten Kindes gesagt: “Unsere Welt braucht die Behinderten. Durch sie lernen wir die Menschlichkeit" - eine Feststellung, der ich nur zustimmen kann.
Zur gelungenen Wiedergutmachung muß auch eine geistige Runderneuerung treten. Viel Heilung geschieht auf dem sogenannten ordentlichen Heilsweg. Gut wäre es, eine Bußwallfahrt zu machen, eine Lebensbeichte abzulegen, mit dem täglichen Gebet zu beginnen, in der Heiligen Schrift zu lesen. Es ist wichtig, seinen Glauben zu vertiefen und eine positive, katholische Identität zu entwickeln, das heißt voll hinter der Lehre der Kirche zu stehen.
Wie auch immer: Entscheidend ist, daß man (Mann und Frau) sein Leben verändert und einen Schritt auf Gott zu macht, auf Gott, der die Liebe ist. Es darf auf keinen Fall alles beim Alten bleiben!
Heilung besteht in Umkehr, Versöhnung und Wiedergutmachung. Umkehren zu können, ist eine große Gnade, die man erbitten kann und soll. Die ganze Kirche soll hier fürbittend und sühnend mithelfen. Dann dürfen wir fest vertrauen, daß Gott um alles weiß und auch Frauen, die trotz Umkehr noch sehr leiden, zur rechten Zeit Heilung schenken wird.