Wenn die Kirche nicht die Kirche Jesu Christi ist, wird sie in meinen Augen total uninteressant. Dann landet sie im ohnedies schrecklich überfüllten Universum der Religionen mit ihren Riten, der Moralisierer mit ihren Prinzipien, der Philosophen mit ihren Ideen. Wenn nichtJesus in ihr ist, ist sie nur eine leere Hülle, eine lästige noch dazu. Der heilige Paulus betont es zurecht kraftvoll: Ohne Auferstehung, genauer: ohne den Auferstandenen, ist unser Glaube schal, wären wir bedauernswerter als alle anderen Menschen.
Aber Jesus ist nun einmal kein Leichnam, den wir mitschleppen, keine Erinnerung, die sich im Nebel der Vergangenheit auflöst, kein Geist, den naive Gläubige oder geschickte Geistliche mit Anrufungen zu beschwören versuchen. Er ist der Unerwartete des Ostermorgens, der Messias, der den Tod hinter sich gelassen hat. Er kommt noch mal in die Welt, nur um den Glauben der Jünger gerade fest genug zu verankern. Und er entschwindet in die Herrlichkeit, um die engen Grenzen des römischen Palästinas zu verlassen. So wird Er Zeitgenosse und Mitbürger jedes Menschen, zu allen Zeiten und an allen Orten. “Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt."
Wer nicht erkennt, daß der Herr sich bewußt an die ganze Menschheit binden wollte, genauer noch: an jeden Menschen - der hat nichts von Jesus aus Nazareth verstanden. Dieser vergießt Sein Blut für euch (die ihr da seid) - und für die vielen (die nicht da, aber eingeladen und seit dem ersten Abendmahl erwartet sind). Er kam zu den “verlorenen Schafen des Hauses Israel"; der gute Hirte hat aber auch noch andere Schafe, nicht aus diesem Stall: “Auch sie muß ich führen, und sie werden auf meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten." (Joh 10,16) Das ergibt aber keinen Sinn und ist überhaupt nicht geschichtswirksam, wenn der Auferstandene nicht mit menschlicher Stimme prophetisch zu den Menschen reden, sie durch menschliche Gesten sakramental berühren, sie sichtbar einen kann.
... Die Kirche ist kein zufälliges Anhängsel, nicht die unvermeidliche Institutionalisierung einer für uns begrenzte Wesen viel zu neuen, viel zu großen Gnade, nicht die Struktur, die uns aussaugt und das Quellwasser des Evangeliums kanalisiert - oder sogar versickern läßt.
Nein, die Kirche gehört eindeutig zum Pastoralplan Jesu. ... Von den ersten Tagen Seines öffentlichen Auftretens an versammelt der Nazarener eine aus mehreren Kreisen bestehende Gemeinschaft um sich. Im Zentrum die Zwölf, nicht etwa elf oder 13. Sie werden nach dem Bild der zwölf Söhne Jakobs die “Väter" des neuen Israel sein, das keine gestaltlose Masse sein wird, sondern ein strukturiertes Volk.
Verschiedene Seiner Worte weisen in diese Richtung: “Wer euch hört, hört mich; was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein; du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen; wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; weide meine Schafe, weide meine Lämmer..."
“Meine Lämmer", sagt Er. Er überläßt seine Herde nicht den Zufällen der Geschichte, dem Wankelmut der Menschen. Er setzt Hirten ein, nicht Söldner. Durch ihren Dienst wird die sichtbare Kirche bis zum Ende an ihren unsichtbaren Herrn gebunden sein.
Alain Bandelier
Auszug aus Famille Chrétienne v. 12.-18.5.2001