Glaubensfragen sind für viele Menschen Privatsache: „Das mache ich mir mit meinem Herrgott selbst aus,“ heißt es da oft. Auch unter Katholiken ist diese Haltung nicht selten zu finden: Das religiöse Leben ist klar umrissen und begrenzt: am Sonntag Meßbesuch, Taufe der Kinder, Erstkommunion und Firmung – na klar, Tischgebet – aber nur in den eigenen vier Wänden, Kirchensteuer… Aber was das Leben im Alltag anbelangt – da gelten andere Regeln.
Auch in der Sprache trifft man oft auf diese Kluft zwischen der Darstellung dessen, was in der Welt vor sich geht und dem, was man in Sonntagspredigten zu hören bekommt. So als gäbe es da zwei Welten, die wenig Überschneidungen aufweisen.
Wie leicht man jedoch Brücken zwischen Welt und Glauben, zwischen Alltagsbeobachtungen und Texten aus der Heiligen Schrift schlagen kann, zeigt die Sammlung von Texten des Publizisten Lorenz Jäger, die der „fe-Verlag“ herausgegeben hat. „Glaube und Frömmigkeit, Heilige Schrift und heilige Überlieferung werden in aktuellen Situationen gesehen und gedeutet,“ so wird das Buch vom Verlag vorgestellt. Es bietet kurze Betrachtungen, die in den letzten Jahren unter dem Glossentitel „Exerzitien“ in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, also durchaus nicht in einem Kirchenblatt, erschienen sind.
Bedingt durch ihre Kürze sind diese Texte eher Gedankenanstöße als profunde Abhandlungen. Sie hätten etwas „Spielerisches“, bemerkt Martin Mosebach in seinem Vorwort, „ein stets mitzuhörendes ,A propos’…“ Mosebach vergleicht den Zugang Jägers mit dem „Bibelstechen“, also dem Aufschlagen der Schrift an einer beliebigen Stelle, um sich von den Worten, auf die der Blick fällt, inspirieren zu lassen.
Auf jeweils 2,5 Seiten werden so unterschiedliche Themen wie „Antwort auf Hiob“, „Markt für Bestattungen“, „Freitags nur Kaviar“ „Madonna und Kabbala“, „Großfürstin Elisabeth: Putins Heilige“ abgehandelt. In letzterer erzählt er die berührende Geschichte einer Schwägerin des letzten Zaren, deren Haltung Putin, als er noch Präsident war, in einer Rede hervorgestrichen hatte: Sie hatte aufopferungsvoll deutsche wie russische Kriegsverletzte im 1. Weltkrieg gepflegt, war dann aber trotzdem Opfer der systematischen Ausrottung der Zarenfamilie durch die Bolschewiken.
Ich staune bei der Lektüre über die Belesenheit und umfassende Bildung des Autors, muß aber auch gestehen, daß man die Texte nicht einfach nur so überfliegen kann. Sie sind eben für ein Medium verfaßt worden, das sich als intellektuell anspruchsvoll versteht.
Aus einer der Glossen, die mir besonders gut gefallen hat („Aufbauhelfer, Gaspedal“), möchte ich abschließend eine Passage zitieren, die allerdings auch den etwas sperrigen Stil illustriert: „Was würde man von einem Liebenden denken, der seiner Angebeteten etwa folgende Erklärung machte: „Ich liebe dich, weil die Liebe mich erfolgreich macht, weil du eine schöne, angenehme Wohnung hast, weil Nachwuchs die beste Zukunftsinvestition bedeutet, weil Liebe seit kurzem wieder modern und übrigens meine Wertegrundlage ist, die mir, siehe oben, zum Erfolg verhilft…
Wer etwas begründen will, muß aufpassen, daß seine Rede nicht so rettungslos ihr Ziel verfehlt: Es gibt Dinge im Leben, die sich nicht durch ihren Nutzen ausweisen müssen, und wer es dennoch versucht, ihrer habhaft zu werden, steht am Ende mit leeren Händen da.“
Auch den Glauben dürfe man nicht vorrangig mit Nützlichkeitsargumenten verkaufen, stellt Jäger fest, etwa als „Aufbauhelfer des vereinten Europas“, wie dies der Publizist Wolfram Weimer in seinem Buch Credo getan habe, indem er meint: Den europäischen Gesellschaften könne „ein bisschen mehr Religion im Sinne des Gaspedals gar nicht schaden.“ Und Jäger schließt mit der Bemerkung: „Braucht eine Religion, die funktionalistische Freunde hat, überhaupt noch Feinde?“
Christof Gaspari
Hauptsachen – Gedanken und Einsichten über den Glauben und die Kirche. Von Lorenz Jäger. fe-Verlag, 272 Seiten, 9,95 Euro.