VISION 20002/2004
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Nicht katholisch, die Anthroposophen

Artikel drucken Trotz vieler ähnlicher Begriffe ein fundamentaler Unterschied im Gottes- und Menschenbild

Auf der Suche nach einer guten Ausbildung für die Kinder, stößt ein Ehepaar auf eine Steiner-Schule und gerät damit in den Sog der Anthroposophie. Keine Erfüllung, wie sich bald herausstellt...

Sie waren fünf Jahre lang Anthroposophen. Wie sind Sie dazu gekommen?

Patrick Duplan: Wir stammen beide aus einer katholischen Familie. Zu unserem jugendlichen Alter kam noch Mai 68 - so haben wir, wie viele andere auch, der Kirche den Rücken gekehrt.

Marie-Christine Duplan: 1981 kommt unser erstes Kind. Dann unser zweites. Trotz feministischer Ansichten und einer erfüllenden Arbeit - ich unterrichtete Französisch - beschloß ich, mich ganz den Kindern zu widmen. Dadurch stellten sich auch rasch Fragen nach dem Sinn des Lebens.

Patrick: Als Studenten hatten wir uns für die biodynamische Landwirtschaft von Rudolf Steiner begeistert. Und da gab es im Westen des Großraums von Paris, gleich in der Nachbarschaft, eine Schule, die nach den pädagogischen Prinzipien von Steiner funktionierte.

 

Das war dann natürlich etwas für Sie...

Marie-Christine: Wir schauen uns das an... Alles scheint schön, friedlich. Man spricht von der Anpassung an den Rhythmus des Kindes... Kurz, die ideale Schule! Uns begeistert auch der Sinn für's Feiern - ja, für das Heilige. Fast meinte man, alles sei dort Liturgie: Man feiert die christlichen Feste ebenso wie die Wiederkehr der Jahreszeiten. Im Grunde wollten wir wieder Christen werden. Aber die Kirche erschien uns kleinkariert, die Pfarrer moralisierend, die Katholiken verklemmt und verstaubt, die Liturgie zum Sterben fad. Hier aber war's lebendig!

Patrick: Neugierig und um zu erfahren, wohin wir unsere Kinder stecken, interessierten wir uns rasch für die Anthroposophie, die Lehre Rudolf Steiners, derzufolge der Mensch den göttlichen Funken wiederfinden und erwecken soll, den Christus-Geist in seinem Inneren.

Entspricht das der wahren spirituellen Mission Christi?

Patrick: Wie alle Gnostiker, behauptet auch Steiner, die katholische Kirche habe die Wahrheit über den Christus, das Wort, von dem das Johannes-Evangelium spricht, verraten. Auf einen einfachen Nenner gebracht, behauptet Steiner, die Evangelien sprächen nicht von einem Jesus-Kind, sondern von zwei. Diese lebten miteinander bis zum Tag ihrer Verschmelzung, im Alter von 12 Jahren, als sie zu Ostern zum Tempel nach Jerusalem pilgerten. Das erste Jesus-Kind, im Matthäus-Evangelium beschrieben, habe das Ich und den Astralkörper von Zarathustra in sich getragen. Das habe es zum Erben der gesamten Weisheit des Altertums gemacht. Das zweite, aus dem Lukas-Evangelium, sei Träger der aus der Liebe und Barmherzigkeit geborenen Spiritualität des Buddha gewesen. Deren Fusion habe dann Jesus von Nazaret geboren. Bei dessen Taufe im Jordan habe diese Körperhülle den Geist des Christus-Logos empfangen.

Und das alles haben Sie geschluckt?

Patrick: Das - und noch vieles mehr...

Marie-Christine: In so einer Situation finden Sie das entweder abstrus und Sie lassen es sein. Oder Sie studieren weiter. Und Sie machen, weil es verlockend klingt (vielleicht hat er recht?), immer weiter: die Wiedergeburt, die Abfolge von “Leben" auf der Erde, die Evolution des Universums und der Menschheit, die geistigen Hierarchien... Mit der Zeit sagt man Ihnen, man müsse biodynamisch essen, erklärt Ihnen durch Nebenbemerkungen, ihre Kinder sollten sich nicht mit anderen, die Fernsehen oder Plastik-Spielzeug (!) haben, abgeben. Oder: Kinder könnten nicht in die erste Klasse gehen, ohne ihre ersten Milchzähne verloren zu haben. Vor dem siebenten Lebensjahr würde das Kind noch die Seele mit den Eltern teilen...

Patrick: Unbemerkt läßt man sich so in ein ganzes System einsperren. Ja, schlimmer: Man baut sich einen richtigen Schutzraum, um sich vor der Welt rundum zu schützen...

Sie traten auch der “Christen-Gemeinschaft" bei?

Patrick: Eine neue Kirche. Am Beginn des 20. Jahrhunderts von den Steinerianern gegründet. Der Kult versteht sich als Akt der Weihe des Menschen. Ähnelt erstaunlich der Eucharistie. Man bewegt sich aber mitten im Pantheismus: Man wendet sich an den Kosmischen Christus, die Sonne, die Geister, die die Planeten bevölkern... So haben wir damals meditiert: “Die menschliche Seele, stets hingegeben an die Erschaffung ihrer selbst, wird sich ihrer selbst bewußt. Dann setzt der Geist des Kosmos sein Werk fort, schöpfend aus der neuen Kraft dieser Erkenntnis. Aus dem Dunkel der Seele läßt er die Frucht des Willens hervortreten, die aus dem Wissen um das Ich sprießt."

Für uns, die wir nach dem Heiligen dürsteten war das sehr anziehend. Wir haben da mit dem Finger die Ursünde, die Sünde des Stolzes berührt: sich selbst zu erschaffen, vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen. Auf gewisse Weise Gott zu werden. Und dabei zur Elite jener zu gehören, die es wissen - das tut wohl!

Waren eigentlich die Eltern aller Kinder in dieser Schule Anthroposophen?

Marie-Christine: Natürlich nicht. Von den 200 bis 300 Familien ahnten viele nichts von dem, was da dahinter steckt. Ihre Anwesenheit gibt der Schule, die ja für die Öffentlichkeit bestimmt ist, eine Art moralische Garantie-Erklärung. Wir kannten dort eine Parade-Katholikin, Katechetin in ihrer Pfarre noch dazu. Sie war überzeugt davon, daß die ersten Christen an die Reinkarnation - ein zentraler Punkt in der Anthroposophie - geglaubt hatten. Als wir mit der Anthroposophie gebrochen hatten, verstand sie überhaupt nicht, daß wir für Félicien ein echte christliche Taufe verlangten.

Wie sind Sie der Anthroposophie entkommen?

Marie-Christine: Wir fingen an, einige pädagogische Methoden infrage zu stellen. Sie geben dem Sinn für Ästhetik allzu stark den Vorrang vor der Bildung der Intelligenz. ... Im Juni 1987 erschütterte ein gravierendes Ereignis unser schönes Gebäude: Man gab uns zu verstehen, daß wir die Anweisungen der Lehrerschaft - alles Anthroposophen, nebenbei bemerkt - nicht hinreichend befolgten... Da gerieten wir in Panik: Wenn sie unsere Ältere nächstes Jahr nicht mehr nehmen - was sollte dann aus uns werden? Unsere Welt geriet ins Wanken. So haben wir - zu unserer Schande - auf verschiedene Weise der Aufnahme-Kommission gegenüber Akte der Unterwürfigkeit gesetzt.

Patrick: Offen gestanden: Man hatte uns manipuliert...

Marie-Christine: Das ganze Jahr 88 hindurch ist in uns das Mißtrauen gewachsen. Und dann haben wir eines Tages erfahren, daß unsere Tochter aus rein administrativen Gründen den Kindergarten wiederholen müsse. Da bin ich explodiert! Ich habe es nicht mehr ertragen, meine Kinder auf Steiners Altar zu opfern.

Patrick: Der Mutterinstinkt meiner Frau hat uns gerettet. Nach diesem Konflikt konnten wir nicht mehr bleiben. Unsere Entgiftung, die Umkehr zum Herrn und unsere Heimkehr in die Kirche fanden aber nicht ohne Schwierigkeiten statt. Hätte sich der Heilige Geist nicht durch eine Flut von Zeichen und menschlich unerklärlichen Fügungen ins Zeug gelegt, ich weiß nicht, wie lange wir gebraucht hätten, damit uns die Schuppen von den Augen fallen...

Das Gespräch führte Yann-Loic Jamin. Es ist ein Auszug aus Famille Chrétienne v. 27.8.92

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