VISION 20002/2004
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Der heilige Benedikt

Artikel drucken Botschaft an uns (Von Bernhard Eckerstorfer OSB)

Melk, Beuron oder Einsiedeln. Den meisten fallen wohl zu diesen Orten die Benediktiner ein, denen die Kurzformel zugeordnet wird: “ora et labora" - bete und arbeite. Der Benediktinerorden hat wesentlich die abendländische Zivilisation geprägt, Papst Paul VI. seinen Gründer zum Patron Europas ernannt. Doch während andere Ordensgründer wie Franz von Assisi oder Elisabeth von Thüringen für viele ein klares Gesicht haben, ist der hl. Benedikt für die meisten eine unbekannte Gestalt, obwohl in letzter Zeit die Weisheit seiner Regel vermehrt Beachtung findet.

Wer war nun dieser Mann, nach dessen Programm weltweit derzeit 16.000 Benediktinerinnen in 790 Klöstern und 8.400 Benediktiner in 380 Klöstern ihr Leben ausrichten? Was hat ihn bewegt und getragen, das uns heute noch etwas sagen kann?

Im umbrischen Nursia geboren, lebte Benedikt in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts. Genaue Lebensdaten kennen wir nicht. Ja, wir wüßten überhaupt nichts über sein Leben, hätte nicht Papst Gregor der Große ein eigenes Buch über ihn verfaßt. Er wollte freilich keinen historischen Bericht schreiben, sondern den heiligen Mann seinen Zeitgenossen als Vorbild für ein geistliches Leben nahebringen.

Als Sohn vornehmer Eltern kam Benedikt mit seiner Amme nach Rom, wo er eine gute Ausbildung genoß. Vom Treiben in der Großstadt abgestoßen, flüchtete er in die Einsamkeit. Im östlich von Rom gelegenen Subiaco ließ er sich in einer Höhle nieder. Nach drei Jahren gründete er dort mehrere Gemeinschaften. Jahre später zog er mit einigen Mönchen nach Montecassino (zwischen Rom und Neapel), wo er an der Stelle eines heidnischen Tempels ein Kloster erbaute, seine Ordensregel schrieb und bis zu seinem Tod blieb.

Diese Stationen Benedikts sind für Papst Gregor der äußere Rahmen, um die innere Reise des “Gottesmannes" nachzuzeichnen. Die Geschichten, die er erzählt, bilden Mosaiksteinchen für ein geistliches Lebensbild. Dabei treten seine menschlichen Züge ebenso hervor wie sein Verlangen nach Gott.

Gregor der Große schreibt, daß sich in der Regel Benedikts nur findet, was er selbst vorlebte. “Denn der Heilige konnte nicht anders lehren, als er lebte." Benedikt zeigt sich daher durch die Regel nicht weniger als in den Erzählungen Gregors. Beide Quellen bilden ein Ganzes. Trotz des Abstands von 1.500 Jahren spricht uns durch sie unmittelbar ein Mensch an, dessen Zeit vielfach der unseren glich.

Benedikt lebte in den Wirren der Völkerwanderung, in der die griechisch-römische Welt zusammenbrach. Niemand wußte zu sagen, woran sich die entstehende multikulturelle Gesellschaft neu orientieren könnte. In dieser unruhigen Zeit wurden Traditionen über den Haufen geworfen, nichts konnte uneingeschränkte Geltung beanspruchen. Alles wurde hinterfragt, auch der christliche Glaube. Die Kirche war tief gespalten zwischen Arianern und Katholiken.

Benedikt geht gelassen ans Werk, bestellt mit seinen Mönchen die Felder in einer Zeit, in der die Bauern jedes Jahr fürchten mußten, daß ihre Ernte von durchziehenden Horden zunichte gemacht würde. Er zieht nicht über den Verfall der Welt her und beklagt nicht den Unglauben außer- und innerhalb der Kirche. Vielmehr sieht er das Murren als größtes Übel im Kloster und will, daß “niemand im Hause Gottes verwirrt oder traurig ist".

Seine Gemeinschaft sieht er als Ruhepol in einer zerissenen Welt, in der Gäste jeder Art zum Alltag gehören und wie Christus aufgenommen werden sollen. Selbst der arianische Gotenkönig Totila erweist Benedikt Ehrerbietung und bittet um sein Gebet. Gregor beschließt die Szene wie beiläufig mit der Bemerkung: “Von da an war Totila nicht mehr so grausam."

In diesem Satz verbirgt sich eine Grundhaltung benediktinischen Lebens. Im Kloster finden nicht nur perfekte Menschen Platz, die ständig vom Glauben entflammt sind. Man kann nicht immer gleich die spektakuläre Bekehrung, den absoluten Lebenswandel erwarten. Das Kloster soll inneren Frieden und Orientierung geben, wie sie die Welt nicht zu geben vermag. Nichts soll verkrampft angegangen oder erzwungen werden. Denn Benedikt weiß: Mensch zu werden ist ein langer Weg. Er kostet Mühe, und Rückfälle bleiben nicht aus.

Das rechte Maß zu finden, ist für Benedikt die Mutter aller Tugenden. Die feste Ordnung, die nicht ständig hinterfragt werden kann, soll dafür den Rahmen bieten. Maßvoll geht der Mönchsvater auf Unterschiede und persönliche Bedürfnisse ein und versteift sich nicht auf ein asketisches Ideal. Er will, daß die Brüder bei den Mahlzeiten zwischen zwei gekochten Speisen wählen können und daß bei aller Arbeit die Mönche nicht entmutigt werden. Wer den Mittagsschlaf braucht, darf von den anderen nicht gestört werden.

Aber auch bei Fehlverhalten bewahrt Benedikt das gute Maß. Selbst bei schweren Verfehlungen droht nicht sofort der Ausschluß. Benedikt ist gerecht und zugleich barmherzig; er will das geknickte Rohr nicht zerbrechen, sondern geduldig und doch entschieden auf eine Heilung hinwirken. Von dieser Haltung zeugt, daß Brüder, die das Kloster verlassen haben, bis zu dreimal zurückkehren können.

Benedikts Therapie für seine wirre Zeit liegt im Abstandnehmen von der Welt und in der neuen Verankerung in Gott. Von dieser Dynamik zeugt die fruchtbare Spannung zwischen Zurückgezogenheit und Sammlung des einzelnen auf der einen und Leben in der Gemeinschaft auf der anderen Seite.

Der Mönch steht allein vor Gott. Im Schweigen des Alltags, in der Einsamkeit seiner Zelle ist er auf sich zurückgeworfen. Auch wenn er heute mehr redet und über Internet mit der ganzen Welt in Verbindung steht, bleibt dem Mönch aufgetragen, in seinem Herzen die Erfahrung der Wüste zu pflegen; er soll in der Welt nichts haben, an dem sein Herz hängt.

Das Kloster ist für Benedikt daher keine Familie und auch keine lässige Bruderschaft von ewigen Junggesellen. Sucht jemand in der Gemeinschaft vor allem Nestwärme, kann er ebenso enttäuscht werden, wie wenn er nur das Engagement für eine Sache vor Augen hat, selbst wenn es die des Evangeliums ist.

Und doch weiß sich der Mönch von den Rhythmen und Ritualen seiner Gemeinschaft getragen. Sie ist für ihn Korrektiv, damit er sich nicht zum verschrobenen Einzelgänger, zum merkwürdigen Kauz und Eigenbrötler entwickelt. Davor können ihn die regelmäßigen Gebets- und Essenszeiten ebenwo bewahren wie die gemeinsame Arbeit. Der Abt und die Gemeinschaft müssen darauf achten, daß keiner dieser Bereiche sich verselbständigt; ungeteilte Aufmerksamkeit gebührt nur dem Schöpfer des Lebens.

Daher ist im benediktinischen Tagesablauf keineswegs vorgesehen, daß jemand die ganze Zeit nur betet. Benedikt sagt sogar, man könne erst dann wirklich von Mönchen reden, wenn sie von ihrer eigenen Hände Arbeit leben. Aber er sieht auch die Gefahr, daß die Arbeit alles wird, der Mönch ganz in seinen Tätigkeiten aufgeht.

Die Gemeinschaft soll Halt in einer orientierungslosen Zeit geben, ein Ort des gemeinsam gelebten Glaubens sein, aber nicht Selbstzweck. Volle Beheimatung und Bestätigung bietet nur ein Anderer. Benedikts Leben und seine Ordensregel zeigen: Der Mensch steht letztlich allein vor Gott, aber er ist in Gemeinschaft mit anderen auf sein Ziel hin unterwegs. Er schärft seinen Mönchen ein, dem Gottesdienst nichts vorzuziehen, denn im Lob Gottes und in der Eucharistie sind sie ihm besonders nahe.

Zugleich mahnt er, den gewöhnlichen Alltag nicht gering zu schätzen. Nicht nur beim Gebet stehen die Mönche im Angesicht Gottes. Vielmehr müssen sie lernen, in allem Ihn zu suchen.

Die Mitte benediktinischen Lebens ist so am besten mit den Worten “damit in allem Gott verherrlicht werde", umschrieben. Die lateinischen Anfangsbuchstaben dieses Mottos "u.i.o.g.D." stehen bis heute über vielen Klosterportalen.

Für Benedikt kann jeder und alles Verweis auf die Gegenwart Gottes sein. Jede auch noch so bedeutungslose Geste und Arbeit kann durch den Glauben zum Wiederschein der Liebe Gottes werden. So können wir auch seine Weisung verstehen, Gegenstände des Klosters wie heiliges Altargerät zu behandeln.

Gott zu suchen und in seiner Gegenwart zu leben - darin liegt Benedikts Einladung und seine Verheißung nicht nur für Mönche. Wer sich in solcher Weise in den Dienst Christi rufen läßt, “dem wird das Herz weit, und er läuft mit unsagbarem Glück der Liebe den Weg der Gebote Gottes."

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