VISION 20003/2004
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Wir lieben sie, weil sie in unseren Augen wertvoll sind

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Es ist in der Tat schwer, besonders nach einer spannenden und herausfordernden Tätigkeit, plötzlich zu Hause nur noch “kleine Brötchen zu backen". Frau glaubt, diese Zeit der “Einzelhaft" mit einem schreienden Winzling in einer kleinen Wohnung ginge nie zu Ende. Frau weiß auch noch nicht, daß diese Zeit unwiederbringlich vorübergeht, und sie das, was sie hier verpaßt im Umgang mit den zärtlichen, vertrauensvollen, charmanten und genialen, kleinen Komikern nie mehr nachholen kann.

Sehr gut erinnere ich mich noch an die Zeit, als wir kurz nach meinem Examen in die fränkische Rhön zogen, in ein verschlafenes Nest, wo ich keine Menschenseele Kannte. Dort kam unser zweites Kind auf die Welt. Und plötzlich war ich, obwzar mit herrlichem Wissen vollgestopft, den lieben langen Tag ausschließlich von zwei kleinen Analphabeten umgeben...

So sehr ich damals manchmal das Gefühl hatte, mir fiele die Decke auf den Kopf, so wuchs in mir doch auch das Entzücken über diese beiden kleinen Menschen, die mit ihrer Liebe und ihrem bedingungslosen Vertrauen mein Leben in Besitz nahmen - vorübergehen, der “Belagerungsring" wird mit jedem Jahr durchlässiger.

Wie froh war ich, unseren kleinen Sohn selbst versorgen zu können, ihn und sein langsames Erwachen bewußt genießen zu können, ohne den Zeitdruck außerfamiliärer Termine, die über jedem Füttern und Wickeln, über jedem Schmuse- und Schwätzstündchen wie ein Damoklesschwert dräuen und allzu oft den noch unsicheren Dialog zwischen Mutter und Kind jäh abschneiden.

Als der Kleine das erste Mal, obwohl er ansonsten schluckte wie ein Bierkutscher, zu trinken aufhörte und mir stattdessen ein schüchternes, aber total verliebtes “röderöööh" widmete, war ich stolz, als hätte man mir soeben das Bundesverdienstkreuz umgehängt. Wenn ich die “Große" vom Mittagsschlaf holte und sie, soeben aufgewacht, mich anstrahlte, als sei gerade die Sonne ihres Lebens aufgegangen, dann wußte ich, daß Geborgenheit und Lebensfreude dieser Kinder im Moment wichtiger waren als die theologische Mitarbeit in einem Exerzitienhaus, die mir angeboten worden war. Mehr noch, ich entdeckte Glaubenszusammenhänge, die mir zwar theoretisch bewußt, nun aber im Umgang mit den Kindern lebendig wurden. (...)

Es gibt eine wunderschöne Stelle im ersten Teil der Heiligen Schrift, im Alten Testament. Dort spricht Gott: “Weil du in meinen Augen teuer und wertvoll bist und weil ich dich liebe" (Jes 43,4). Diese Worte beschreiben genau die Liebe von Eltern zu ihren so kleinen Kindern. Wir lieben sie nicht wegen bestimmter Eigenschaften, etwa weil sie eines fernen Tages gut in der Schule, tolle Sportler, besonders hübsch oder Spitzenverdiener wären. Nein, ganz einfach: weil sie in unseren Augen teuer und wertvoll sind. Nur so, ganz ohne Vorbedingung.

Michaela Freifrau Heereman

Aus: Zur Freiheit erziehen, Besprechung: Lesenswerte Bücher

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