Im Frühsommer hat sich mir der zweite Petrusbrief aufgedrängt: „Bemüht euch noch mehr darum, daß eure Berufung und Erwählung Bestand hat“ und „die gewaschene Sau wälzt sich wieder im Dreck“. Das war unangenehm deutlich! Wo ich gerade mit meiner Kirche zerfallen war. Wo ich eben das Abonnement einer „kritischen“ Kirchenzeitschrift gekündigt hatte, ein paar Wochen später aber wieder erneuert, weil ich sonst mein Gebet um Einheit für unehrlich gehalten hätte. Wenn ich nicht bereit sei, Schritte zur Einheit zu setzen, so dachte ich, darf ich es wohl von andern auch nicht verlangen. Wenn wir es nicht einmal innerhalb der eigenen Konfession mit der Goldenen Regel schaffen, würde „Ökumene“ zum Geschwätz, meine ich. Manche Freunde sehen das anders.
So kam ich mir inmitten meiner christlichen Umgebung voll Selbstmitleid recht allein vor. Fromme Worte auf der einen Seite, beißende Kritik auf der andern. In diesen Seelenzustand kam die Nr. 4 dieser Zeitschrift: „Kehrt um“. Umkehr? Schon wieder – ich? Wieder ein Trick der Linientreuen, um von Reformen abzulenken? Ich recherchierte genau. Die Recherche bestätigte mir allerdings: „Metanoia“ traditionell übersetzt mit „Umkehr“ ist das zentrale Anliegen Jeschuas, nicht „Reform“. Das gilt für uns alle, ob „kritisch“ oder „linientreu“, ob Laikos oder Klerikos oder alles Mögliche dazwischen.
Mein Sommer war durchwachsen, Sonne, viel Regen. So fand ich Zeit zum Lesen tausender Buchseiten, zum Beten in den Bergen, zum Schreiben langer Briefe an meine besonderen Freunde, damit ich meine Berufung und Erwählung wieder in den Blick bekomme. Wie auf einer Wanderung, wo eine unerkannte Umgebung zur Um-Kehr bis zur letzten verläßlichen Weggabelung zwingt. Mehr noch: „meta-noia“, bedeutet auch „Meinung ändern“, „über-denken“, „über-geistigen“, vielleicht so etwas wie „blitzkneissen“!
Christa Meves hat mir in Nr. 5 so richtig bewußt gemacht, was mich im Tiefsten irritierte: Ich möchte nicht zu denen gehören, die „einen Sparren“ haben. Sparren ist ein Dachträger. Bei uns in Österreich ist das der Vogel. In der Weltverkehrssprache Englisch haben Sparren- oder Vogelbesitzer „a screw lost“. Paulus hat sich vornehmer ausgedrückt: den Juden ein empörendes Ärgernis, den Griechen eine Torheit (1 Kor 1,23). Den aufgeklärten Geistern des 21. Jahrhunderts halt eine „lockere Schraube“, uns heutigen Christen eine tägliche Herausforderung.
Im Nachsommer ist mir am liebevollen Gegenüber meiner beiden nahen Freunde meine Berufung mit eigenen Worten wieder bewußt geworden als „ausgleichender, um Objektivität bemühter Teamspieler mit einem Mix aus musischen und praktischen Fähigkeiten, unaustauschbar als Gerlindes Ehemann, Brigittas Vater, Thomas’ Schwiegervater und Ruth & Agnes’ Großvater, in Ruhe (i.R.) als Lehrer, Manager und Sachverständiger“ genau in dieser Reihenfolge.
Das ist zwar weder „fromm“ noch spektakulär, aber zumindest wahr.
Helmut Hubeny