Am Anfang des 3. Jahrtausends befinde sich die Kirche in einer ähnlichen Situation wie zu ihrem Beginn, so hält der Autor fest. Daher sei die Rückbesinnung auf die Anfänge notwendig.
Die heutige Generation der Jünger Jesu steht, genauso wie die erste Generation, vor einer heidnischen Welt, die sich der christlichen Botschaft gegenüber ziemlich gleichgültig verhält, manchmal sogar offen oder latent feindlich.
Trotzdem müssen sie, genau wie alle Generationen vorher, das Gebot Jesu erfüllen: “Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!" (Mk 16,15)
Daraus ergibt sich für die heutigen Christen die Grundfrage: Wie kann man, in dieser modernen heidnischen Welt das Interesse am Evangelium neu wecken? Von der Antwort auf diese Frage hängt die Möglichkeit der Neuevangelisierung dieser Welt ab. (...)
Das erste und fundamentalste Zeugnis ist die persönliche Überzeugung, das persönliche Ergriffensein von Jesus Christus. In diesem Sinn schreibt Paulus, was ihm das Leben mit Christus bedeutet: “Ich bin mit Christus gekreuzigt worden, nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir" (Gal 4,19-20). Auch der Autor des 1. Johannesbriefes schreibt, daß die ersten christlichen Verkünder reden und bezeugen, was sie persönlich gesehen und gehört, das heißt, was sie erfahren haben.
Es geht um ein Ergriffensein von Christus, das das menschliche Leben im Ganzen verändert. Jesus selbst macht darauf aufmerksam, wenn Er sagt: Die Menschen werden Ihn erkennen und Gott preisen, wenn sie die gegenseitige Liebe Seiner Jünger sehen. Daraus muß man schließen, daß die Menschen auf das Evangelium aufmerksam hören und in dem Maße interessiert werden, wenn sie Menschen begegnen, deren Leben das Evangelium tief verändert hat. (...)
Die zweite Voraussetzung ist das missionarische Bewußtsein. Es war bei den ersten Christen sehr lebendig. Erinnern wir uns nur an die Worte von Petrus und Johannes vor dem Hohen Rat: “Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben" (Apg 4,20), und an die Worte des heiligen Paulus, der allen alles werden möchte, um wenigstens einige für Christus zu gewinnen. Die missionarische Pflicht hat er so tief erlebt und so ernst genommen, daß er ausruft: “Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!" (1Kor 9,16).
In der heutigen Generation der Christen bemerkt man aber einen erheblichen Mangel an missionarischem Bewußtsein. Als Erklärung für diese Erscheinung kann man zwei Hauptgründe anführen.
Einmal geht es um den Einfluß der zeitgenössischen Auffassung, nach der jeder Mensch das unantastbare Recht auf seine Religion und Weltanschauung hat und es keine Kriterien gibt, nach denen man sagen könnte, die eine Religion oder Weltanschauung sei besser als die andere. Andererseits liegt der Grund in der mangelhaften persönlichen Glaubensüberzeugung, die kein missionarisches Bewußtsein wecken kann. Wenn es aber am missionarischen Bewußtsein mangelt, bleibt das Licht des Evangeliums für die Welt verborgen, so daß es zu keiner Inspiration und zu keinem Potential für sie werden kann.
Darum behauptet Johannes Paul II.: “Wir müssen uns dessen bewußt werden, daß eine neue erfolgreiche Verkündigung unmöglich sein wird, wenn die missionarische Inspiration in unseren christlichen Gemeinden nicht neu lebendig wird." (...)
Die dritte Voraussetzung ist das Vertrauen auf das Wort Gottes und die leitende Gegenwart des Heiligen Geistes im Leben der Kirche und jedes einzelnen Christen. Die Gleichgültigkeit und Feindseligkeit der heutigen Welt gegenüber der Botschaft Christi kann Christen mit Angst vor der Welt erfüllen. Diese Angst kann noch größer werden durch das Bewußtsein unserer Schwäche und Unzulänglichkeit. Die Folge davon kann eine gewisse Mutlosigkeit sein, die jede Initiative hemmt und blockiert. Sie drückt sich in den Worten aus: “Alles ist umsonst."
Es scheint, daß dies eine dominante Erfahrung der heutigen Christen ist. Aber man darf nicht vergessen, daß es um eine Erfahrung geht, die der ersten christlichen Generation genauso bekannt war. Darum hat sich Jesus viel Mühe gegeben, Seine Jünger zu ermutigen. In diesem Sinn hat Er mit ihnen von Seinem Sieg über die Welt gesprochen, und über die Gabe des Geistes, der ihnen beistehen wird. Er hat von ihnen verlangt, daß sie Seinen Worten glauben, bzw. daß sie auf Sein Wort hin einen neuen Anfang machen, obwohl es ihnen scheinen mußte, daß alles umsonst und sinnlos ist.
Man kann ohne Übertreibung sagen, daß das Selbstvertrauen der ersten Christen in dem Augenblick geboren wurde, als sie ihr ganzes Vertrauen in Jesus, in Sein Wort und Seinen Geist legten. In dem Augenblick hat sie die Mutlosigkeit verlassen, und sie konnten sich voll Vertrauen der Zukunft Gottes öffnen. Das zeigen die Worte, die Petrus an Jesus richtet: “Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen. Doch wenn du es sagst, werde ich die Netze auswerfen" (Lk 5,5).
Der Glaube an die Macht des Wortes Gottes kommt besonders in der Apostelgeschichte zum Ausdruck. Hier ist das Wort Gottes nicht nur Objekt, sondern vor allem das eigentliche Subjekt der Verkündigung und ihrer Früchte. Dieses Vertrauen auf die bleibende Gegenwart des Herrn in Seinem Wort und in Seinem Geist, das durch keine Technik und Organisation ersetzt werden kann, muß auch die heutige christliche Generation in sich neu wecken, wenn sie ihrer Aufgabe in der Welt nicht untreu werden will.
Man kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, daß das Evangelium keine Inspiration für das neue Europa sein wird, wenn diese drei Voraussetzungen nicht vorhanden sind. Wenn sie aber vorhanden sind, werden die Christen mit vollem Mut und mit großer Kreativität das große Werk der Neuevangelisierung aufnehmen.
Der Autor ist Metropolit der Erzdiözese Rijeka, sein Beitrag ein Auszug aus seinem Vortrag beim Symposium “Potentiale für Europas Zukunft" im März 2003, veröffentlicht in Was macht Europa zukunftsfähig? Von Herbert Pribyl und Helmut Renöckl (Hrsg.).