Seit Jahren wirkt der Autor an Ausgrabungen in Emmaus, dem Ort der Offenbarung des Auferstandenen, mit. Im folgenden Beitrag berichtet er über die gemachten Funde und über das, was Emmaus bedeutet - für die dort Wirkenden, für uns.
Fünf Orte im Heiligen Land sind es, an denen sich Jesus als der auferstandene Herr seinen Jüngern gezeigt hat: am leeren Grab des Josef von Arimatäa (Joh 20,16), im Abendmahlsaal (Lk 24, 36), auf der staubigen Straße nach Emmaus (Lk 24,31), am See Genesaret (Joh 21, 15), an der Stätte der Himmelfahrt (Apg 1, 9).
Vielleicht geht uns keiner der fünf Berichte so nahe wie die Erzählung von den beiden Emmaus-Jüngern. Denn wir alle sind unterwegs nach Emmaus: Mit unseren endlosen Fragen und Nöten, unseren verbrannten Illusionen und aufkeimenden Hoffnungen. Emmaus, eine Herausforderung für unser Leben.
Vielleicht gehörten die beiden zu jenen 72 Jüngern, die Jesu zu zwei und zwei ausgesandt hatte, um die Großtaten vom Reich Gottes zu verkünden. Sie hatten auf die Ankunft eines politischen Messias gewartet. Er würde doch sicherlich der Fremdherrschaft der Römer ein Ende setzen. Hingegen mußten sie Sein eigenes Ende als ein Scheitern am Kreuz miterleben.
Ihr Reiseziel ist das bescheidenen Dorf Emmaus, weg vom Schauplatz des Geschehens. Sie haben endgültig ihre Illusionen aufgegeben, daß Jesus der sei, der Israel erlösen werde. Sie waren einst aufgebrochen, voller Hoffnung. Nun erwartete sie zu Hause das gleiche kleinkarierte Leben wie vorher: Leere, Öde und Stumpfsinn.
Während sie miteinander reden, hat sich ihnen ein Fremder beiläufig genähert. Er geht einfach mit. Er fragt sie nach dem Grund ihrer Niedergeschlagenheit, und die beiden schütten Ihm ihr Herz aus. Sie wollten einen Jesus erleben, der ihrem Bild von ihm entspricht. Dieser Gesalbte Gottes sollte sich doch als irdischer Herrscher erweisen, jenseits vom Leiden, und erst recht weit entfernt von einem schmählichen Tod.
Jesus hatte ihnen lange zugehört. Jetzt greift er ihre Ängste, ihre Unruhe auf und ordnet sie in einem neuen Zusammenhang. “Begreift ihr denn nicht?" Er verschönert nichts. Ja, der Messias hatte Furchtbares erlitten. Das Böse schien zu triumphieren. Aber all das mußte so kommen, wie es die Schriften vorausgesagt hatten. Jedoch bedeutete das Ende einen neuen Anfang. Der Tod hat jetzt nicht mehr das letzte Wort, weil er durch den Auferstandenen endgültig besiegt ist.
Je näher die beiden dem Erkennen kommen, desto mehr verlangen sie nach Gemeinschaft mit diesem Fremden. “Bleib mit uns! Es geht ja gegen Abend..." Und Jesus geht auf ihre Bitte ein, schenkt ihnen Seine Gemeinschaft, wird ihr Gast. Die Weggemeinschaft wird zur Hausgemeinschaft. Gott offenbart sich im Mahl unter dem Zeichen der Gastfreundschaft. Und der Gast wird zum Gastgeber. “Er nahm das Brot, sprach den Segen, brach es und gab es ihnen." Beim Brechen des Brotes offenbart Jesus die Neuigkeit, die am meisten die Welt bewegt hat: Er ist der Auferstandene für immer, der ewig Gegenwärtige. Mit ihm ist der neue Tag angebrochen.
Sie erfahren es jetzt hautnah: An ihrer Tischgemeinschaft wächst Liebe, Friede, Hoffnung. Das ist Emmaus: Ein Haus, ein Tisch und ein Mahl. Den Jüngern stehen die Freudentränen in den Augen, Tränen der Umkehr, Tränen einer neuen Hoffnung, Tränen des Glücks. Doch als sie Ihn festhalten wollen, entzieht Er sich ihren Händen. Aber eines wissen sie: Die Erscheinung des Auferstanden ist kein parapsychologisches Phänomen, sondern Begegnung mit Christus, dem erhöhten Herrn.
Auch für uns, die “Emmausjünger zweiter Hand" gelten die Berichte der Urzeugen und das Indiz des leeren Grabes als Garant der Auferstehung. Dabei wird deutlich: Der Mensch Jesus hat für uns alle diese Erfahrung gemacht: der Tod ist besiegbar. Weil einer von den Toten auferstanden ist, dürfen wir von einer historischen Wirklichkeit sprechen. Einer hat es geschafft. Wir brauchen uns nicht mehr vor dem Sterben zu fürchten.
Der erste, der in der Neuzeit das vergessene Emmaus-Nikopolis identifiziert, ist der amerikanische Palästinaforscher Eduard Robinson. Am 27. April 1843 besucht er das arabische Dorf Amwas. Dort entdeckt er neben Resten von Marmorsäulen und Sarkophagen die byzantinische Kirchenruine. An jenem denkwürdigen Tag schreibt er in sein Tagebuch: “Dieses Amwas ist identisch mit dem antiken Emmaus oder Nikopolis".
Unabhängig davon kommt die palästinensische Mystikerin, die Karmelitin Mirjam Baouardy zu der gleichen Entdeckung. Es war am 10. Mai 1878 während einer Reise von Bethlehem nach Nazareth. Als der Wagen bei dem Dorf Amwas-Latrun anhielt, geriet die “Kleine Araberin", wie man sie nennt, in eine mystische Verzückung und rannte über Feldwege und Äcker zu einer kleinen Anhöhe. Dort lag zwischen Dornen und Gestrüpp im hohen Gras eine verwahrloste Ruine. Erschüttert blieb sie wenige Schritte davor stehen und rief: “Hier ist der Stein, und das ist wirklich der Ort, wo der Herr nach der Auferstehung mit seinen Jüngern gegessen hat".
Zwischen 1924 und 1930 unternahm die Jerusalemer Bibelschule Ecole Biblique die ersten systematischen Grabungen, die überraschende Ergebnisse zu Tage brachten: zwei Basiliken aus der byzantinischen Zeit und eine Kreuzfahrerkirche.
Dann lag Emmaus über 70 Jahre lang in einer Art Dornröschenschlaf. Erst seit 1993 machen sich junge Menschen aus Deutschland, Finnland, den USA, England und anderen Nationen auf den “Weg nach Emmaus", um mit Hacke, Schaufel und Pinsel dieser untergegangenen Stadt ein Stück näher zu kommen.
Zusammen mit Fach-Archäologen werden sie zu “Detektiven der Vergangenheit", indem sie Indizien ausgraben, die vergangene Epochen mit ihren Menschen und deren Lebensgewohnheiten ihnen lebendig vor Augen stellen: Menschliche Skelette in Richtung Osten, mit verkreuzten Armen bestattet, signalisiern den christlichen Glauben frühchristlicher Mönche. Vor 1.600 Jahren waren sie als “Freunde von Emmaus" im Glauben an den auferstandenen Herrn entschlafen: Die Mauern eines größeren Hauses, Kalkböden, eine Feuerstelle mit dem Fragment eines Topfes sprechen für menschliche Wohntätigkeit in diesem Teil der Stadt.
Die Restaurierung der wertvollen, ans Tageslicht gebrachten Mosaiken aus dem 5. Jahrhundert gewährleistet die Erhaltung eines unersetzbaren Kulturgutes für die Nachwelt.
In der täglichen Arbeit auf dem Grabungsfeld erfahren die freiwilligen Helfer, was es heißt, als internationales Team ein gemeinsames Ziel vor Augen zu haben. Es geht dabei nicht nur um ein archäologisches Suchen nach dem versunkenen Emmaus-Nikopolis. Es ist auch ein Stück Weges, den die jungen Menschen dort gemeinsam zurücklegen dürfen in Richtung der Quellen ihres Glaubens. Viele haben in Emmaus die innere Sicherheit gewonnen, daß dies ein Ort ist, der den Christen aller Konfessionen auch heute Augen und Herz öffnen will. Sie machen die Erfahrung, daß das “Buddeln" in der sengenden Sonne zum “Gottesdienst" wird, weil es ein Dienst für Gott ist.
Eine Grabungsteilnehmerin formuliert es so: “Was habt ihr denn in Emmaus gefunden? Das war die meist gestellte Frage nach unserer Rückkehr von Israel. Die Antwort fällt gar nicht so leicht; denn zwei Wochen bei Ausgrabungen lassen sich nicht an den Funden messen, obwohl wir auch in dieser Hinsicht einiges vorzuzeigen hätten: Scherben aus byzantinischer Zeit, römische Münzen, römische Tränengläser und vieles mehr.
Es war ein Abenteuer besonderer Art, das wir mit 26 jungen Teilnehmern aus Deutschland und einer gleichgroßen älteren Gruppe aus Finnland eingegangen sind: Leben auf engsten Raum, frühes Aufstehen, Arbeit in der Hitze, frustrierende Erfahrung mancher erfolgloser Grabungstage, Verständigungsprobleme. Einige erlebten ihre persönlichen Grenzen. Doch die Grabungen in unserer Seele zeigten uns einen erstaunlichen Fund: Jesus ist mittendrin.
Was haben wir also in Emmaus gefunden? Den Schatz der Gemeinschaft, der nicht in einem Museum ausgestellt werden kann, sondern der durch Teilen wächst. Das Graben hat sich also gelohnt!"
Das Ausgrabungsprojekt in Emmaus geschieht also nicht um seiner selbst willen. Der geplante archäologische Park mit seinen Kirchen aus verschiedenen Zeitepochen bedeutet ein Indiz für die nahtlose Verehrung des Ortes durch die Jahrhunderte hindurch. Dort will das “Haus des Kleopas" dem ganzen pilgernden Gottesvolk erneut seine Türen öffnen, damit an dieser Stätte der Herr das Brot für alle brechen kann, indem Er sich selbst austeilt und indem alle den Reichtum ihrer Traditionen miteinander teilen.
So bleibt Emmaus ein Fanal dafür, daß Gott sich in die Geschichte der Menschheit inkarniert hat: zu einem bestimmten Zeitpunkt, in ein bestimmtes Volk und Land. Der Auferstandene stellt eine geschichtliche Realität dar. Deshalb laufen die Christen keinem Mythos nach. Sie dürfen sich vielmehr auf die Spuren des Mensch gewordenen Gottessohnes begeben, die in Betlehem in der Geburtsgrotte ihren Anfang nehmen und in Emmaus in der lebendigen Begegnung mit dem verklärten Herrn weitergehen in alle Welt und durch alle Epochen hindurch bis zum Ende der Zeiten.