VISION 20004/2004
« zum Inhalt Lesenswerte Bücher

Die Seele eines Löwen

Artikel drucken Portrait von Dietrich von Hildebrand

Biographien haben immer einen zeugnishaften Charakter: Sie stellen dar, auf welche Werte und Entscheidungen die beschriebene Person ihr Leben gestellt hat. Daher sind sie nicht nur spannender als theoretische Abhandlungen, sondern auch konkreter.

Eine beeindruckende Biographie ist der zweiten Gattin und Witwe des bedeutenden Philosophen Dietrich von Hildebrand (1889-1977) gelungen. Alice von Hildebrand-Jourdain ist ebenfalls Philosophin und publizistisch überaus aktiv, etwa für das US-amerikanische katholische Monatsmagazin Crisis (www.crisismagazine.com). Sie konnte aufgrund umfangreicher Notizen des Portraitierten und ihrer Seelenverwandtschaft mit ihm ein ausführliches Bild seiner ersten Lebenshälfte erstellen.

Hildebrand wird in Florenz in die Familie des Bildhauers Adolf von Hildebrand als jüngstes Kind nach fünf Schwestern geboren. Schon früh empfängt er viele Anregungen menschlicher, künstlerischer und wissenschaftlicher Natur und blieb “dank [seines] bevorzugten Familienhintergrundes verschont von heute so verbreiteten psychischen Störungen, wie Minderwertigkeitskomplexen ..., Mangel an Objektivität, ungesunder Selbstbezogenheit". Der Glaube ist im (formal protestantischen) Elternhaus aber kein Thema.

Hildebrand studiert Philosophie in München und Göttingen und wird Schüler bedeutender Philosophen: Edmund Husserl, Max Scheler, Adolf Reinach. In dieser Zeit zeigt sich sein Charakter, die “Seele des Löwen", immer deutlicher. “(Für) Dietrich, der etwas Don Quixote-Haftes an sich hatte, spielten persönliche Interessen überhaupt keine Rolle, wenn es um Wahrheit oder Falschheit, um Recht oder Unrecht ging."

1912 heiratet er Margarete Denck. Durch Scheler kommt er mit der Katholischen Kirche in Berührung, zu der er 1914 konvertiert: “Für Dietrich stand fest, daß er durch Gottes unendliche Barmherzigkeit und Güte in eine Welt der Heiligkeit eintreten durfte, nach der er sich unbewußt immer gesehnt hatte. Er war Mitglied der heiligen katholischen Kirche ... geworden und konnte durch sie eine so innige Vereinigung mit Gott erlangen, wie sie zuvor nicht möglich gewesen war. Er war ’zu Hause' im tiefsten und erhabensten Sinne des Wortes. Wie oft hat er mir gesagt, daß es keinen strahlenderen und glücklicheren Konvertiten gegeben habe als ihn."

Als der Nationalsozialismus aufkommt, durchschaut Hildebrand sofort dessen böses Wesen und versucht erst gar nicht, sinnloserweise irgendwelche “Brücken zu bauen". Seine unversöhnlich ablehnende Haltung trägt ihm den Haß der neuen Machthaber ein. Von Wien aus schleudert er in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Der Christliche Ständestaat dem Nationalsozialismus sein unverhandelbares Nein entgegen.

Er war daher maßlos enttäuscht, daß “die deutschen Bischöfe, die ... Exkommunikation, die vorher mit der Zugehörigkeit zur NS-Partei verbunden war, kurz nach der Machtergreifung Hitlers wieder aufgehoben hatten. ... Kirchenführer sind dazu berufen, Wächter zu sein, und die Bischöfe hätten die Ersten sein sollen, Alarm zu schlagen und ihre Gläubigen ... zu warnen. Es hätte absolut klar sein müssen, daß man nicht katholisch sein und gleichzeitig die antichristliche, materialistische und atheistische Ideologie ... akzeptieren könnte." Diese Enttäuschung wiederholt sich später bezüglich der österreichischen Bischöfe.

Seinen wichtigsten Verbündeten findet Hildebrand in Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, der die NS-Ideologie kompromißlos und prinzipiell bekämpft. Durch die gleichzeitige marxistische Bedrohung, die sich aufgrund der blutigen Revolutionen seit 1917 als mindestens so gefährlich darstellte wie der Nationalsozialismus, wurde Dollfuß allerdings politisch entscheidend geschwächt. Schließlich fiel er am 25. Juli 1934 einem Mordanschlag der Nazis zum Opfer. Hildebrand ist untröstlich.

Als sich der deutsche Einmarsch in Österreich abzeichnet, kann er - schon länger auf der Todesliste der Gestapo stehend - im letzten Augenblick in die CSR fliehen. Danach geht er in die Schweiz und nach Frankreich, bis er sich nach dramatischen Monaten im Untergrund und nach intensiven Erfahrungen der Vorsehung Gottes endgültig dem deutschen Zugriff durch Emigration in die USA entziehen kann.

Hier bricht der Bericht ab, übrigens die einzige Schwachstelle des überaus spannenden Buches: Gerne hätte man etwas über die restlichen, ebenfalls dramatischen Lebensjahre gelesen.

Daß Hildebrand heute einer breiteren Öffentlichkeit nicht bekannt ist, liegt daran, daß der Propagandaaufwand für Modeautoren meist umgekehrt proportional zu deren wirklicher Bedeutsamkeit steht. Es lohnt sich die Beschäftigung mit Leben und Werk Hildebrands. (Von dem freilich die fachphilosophischen Abhandlungen z. T. etwas mühsam zu lesen sind.) Von allgemeinem Interesse sind Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes und Der verwüstete Weinberg, die die Situation der Kirche nach dem Konzil analysieren. Wie eingangs gesagt, eine Biographie legt Zeugnis für eine bestimmte Werthaltung ab.

Hildebrand hat sich von Liebe, Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeitssinn leiten lassen. Dabei ist er oft auf Ablehnung durch den Gegner wie durch die eigenen Bischöfe gestoßen. So kann er Suchenden und Glaubenden Vorbild und Ansporn, den Publizisten und Hirten aber auch Weisung und Mahnung sein. Unsere Zeit könnte mehr “Löwen" vom Schlage eines Dietrich von Hildebrand gut gebrauchen.

Wolfram Schrems

Die Seele eines Löwen - Dietrich von Hildebrand. Von Alice von Hildebrand, VDM Verlag Dr. Müller, Düsseldorf, 2003.

Diese und andere Bücher können bezogen werden bei: Christoph Hurnaus, Waltherstr. 21, 4020 Linz, Tel/Fax: 0732 788 117; Email: hurnaus@aon.at

 

© 1999-2024 Vision2000 | Sitz: Hohe Wand-Straße 28/6, 2344 Maria Enzersdorf, Österreich | Mail: vision2000@aon.at | Tel: +43 (0) 1 586 94 11