Am 20. Dezember 2003 hat der Heilige Vater seine Unterschrift unter das Dekret über den positiven Ausgang des Wunderprozesses gesetzt und damit den Abschluß des sorgfältigen Seligsprechungsverfahrens markiert. Am 3. Oktober wird Kaiser Karl in Rom seliggesprochen. Die Ergebnisse der internationalen Historikerkommission haben das von Forschung und Journalisten bisher gezeigte Bild des Kaisers in vielem als verfälscht entlarvt. Die Veröffentlichung neuester Dokumente wird das Bild dieses Kaisers richtigstellen.
Wer also war Kaiser Karl? Er kommt als Erzherzog Karl Franz Joseph am 17. August 1887 auf Schloß Persenbeug in Niederösterreich zur Welt. Erzherzog Otto, ein Enkel des letzten Kaisers des Heiligen Römischen Reiches Franz II, ist sein Vater, eine Tochter des Königs von Sachsen seine Mutter. Österreichs Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand ist sein Onkel und vor ihm in der Thronfolge.
Die Ehe der Eltern Karls ist von Anfang an problematisch. Sein Vater führt einen exzessiven Lebenswandel und stirbt mit 41 Jahren. Seine Mutter ist überaus fromm und korrekt. Karl liebt beide und bemüht sich, durch besondere Liebenswürdigkeit ausgleichend zu wirken.
Er erhält eine solide katholische Erziehung: betont werden Verantwortungs- und Pflichtbewußtsein, Frömmigkeit, Friedensliebe, Versöhnungsbereitschaft. In der Erziehungstradition des Hauses Österreich spielt die Verehrung der Eucharistie eine bestimmende Rolle. Neben dem Unterricht durch Privatlehrer besucht er das Schottengymnasium in Wien für naturwissenschaftliche Fächer. Anschließend schlägt er die Offizierslaufbahn ein und erhält eine universitäre Ausbildung: Jurisprudenz, Geschichte und Ökonomie. Der letzte k.u.k. Außenminister Ludwig von Flotow beschreibt Kaiser Karl später als “offenen Kopf", überdurchschnittlich intelligent und mit einem fabelhaften Gedächtnis, fähig, exakt und essentiell Sitzungsergebnisse zu resümieren.
1911 heiratet Karl Prinzessin Zita von Bourbon-Parma, eine Liebesheirat. Seiner Braut sagt Karl am Vorabend der Hochzeit: “Jetzt müssen wir uns gegenseitig in den Himmel helfen".
Mit der Ermordung desThronfolgers Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 in Sarajewo wird Karl Thronfolger. In die Entscheidung über die Kriegserklärung wird er dennoch nicht eingebunden. Ab 1915 wird Karl von Kaiser Franz Joseph in die Amtsgeschäfte eingeführt und an der Front eingesetzt. Er ist der einzige der damals Regierenden, der den Krieg aus nächster Anschauung kennt.
Am 21. November 1916 stirbt Kaiser Franz Joseph. Bei seiner Thronbesteigung erläßt Kaiser Karl ein Manifest, dessen wichtigster Satz lautet: “Ich will alles tun, um die Schrecknisse und Opfer des Krieges in ehester Frist zu bannen und die schwer vermißten Segnungen des Friedens meinen Völkern zurückzugewinnen." Von Anfang an bemüht er sich um die Beendigung des Krieges und die Umgestaltung der Monarchie nach föderalen und demokratischen Maßstäben.
Auch die Friedensbemühungen von Papst Benedikt XV. werden letztlich nur von Kaiser Karl aufgegriffen. Der Deutsche Kaiser Wilhelm II. aber setzt bis zum Schluß auf einen “Siegfrieden". Feldmarschall Ludendorff droht mehrfach wegen Karls Friedensbemühungen mit einer Besetzung Österreichs. Unter deutschem Einfluß hintergeht sein eigener Außenminister Graf Ottokar Czernin Kaiser Karl und trägt sich 1918 sogar mit Putschgedanken. Alle Friedensversuche scheitern letztlich an den militärischen Wahnideen der Deutschen und der Rivalität der Hohenzollern mit den Habsburgern um die Vormacht.
Historiker sind jedenfalls der Meinung, Karls Bemühungen um den Frieden seien die substantiellsten der Kriegszeit. Bis Oktober 1918 wären sie gar nicht so aussichtslos gewesen, wie sie vom Ergebnis her erscheinen.
Als die Monarchie zu Ende geht, ruft Kaiser Karl zur Bildung von Nationalräten auf, um einen friedlichen Übergang in die neuen Staaten zu ermöglichen. Nach dem Zerfall der Monarchie verzichtet er auf seinen Anteil an den Regierungsgeschäften, dankt aber nicht ab. Er legt seine Aufgabe nicht einfach ab, da er sie als ihm von Gott übertragen versteht.
Nach seiner Landesverweisung aus Österreich und zwei Restaurationsversuchen in Ungarn, wo er abbricht, bevor es zum Bürgerkrieg kommt, wird er ins Exil nach Madeira verbannt, wo er völlig mittellos mit seiner Familie in einem feuchten Sommerhaus wohnt. Auf eine fürstliche Abfindung aus Wien für seine Abdankung geht er nicht ein. Entkräftet stirbt er am 1. April 1922 an einer Lungenentzündung.
Bis zuletzt trägt er seine qualvolle Krankheit und sein furchtbares Schicksal in Gottvertrauen. Kurz vor seinem Tod ruft er seinen ältesten Sohn Otto zu sich. Er soll Zeuge seines Glaubens angesichts des Todes sein: “Ich will, daß er sieht, wie ein Katholik und ein Kaiser stirbt". Kaiserin Zita hatte ihn aufopfernd gepflegt.
Was aber sagt uns der Diener Gottes Karl heute? Der wachsende Spalt zwischen einem christlich geführten Leben und den öffentlich propagierten, von den Medien grell verstärkten Lebensweisen ist unübersehbar. Dazu kommt, daß viele Angst haben, ein christliches Zeugnis vor der “Welt" abzugeben. Uns Christen, besonders den Regierenden, ist es peinlich, im täglichen Leben für Christus einzutreten.Hier sehe ich den ersten Ansatz für eine Stärkung der Christen mit Heiligen wie Kaiser Karl. In exponierter Stellung hat er sich nicht gescheut, seinen Glauben öffentlich zu leben und ihm in schwierigsten Situationen treu zu bleiben. Als sein Außenminister mit Selbstmord droht, falls der Kaiser ihn in der Öffentlichkeit bloßstellt, gibt Karl nach und schweigt.
Als oberster Heerführer hatte er schwierige Gewissensentscheidungen zu treffen. Der Einsatz von Kampfgas war im 1. Weltkrieg bald von allen Seiten erfolgt. Kaiser Karl aber verbot ihn. In der verzweifelten Lage vor der 12. Isonzoschlacht verhinderte er den Einsatz durch ein deutsches Granatwerfer-Bataillon dann allerdings nicht mehr zugunsten der Schonung der eigenen, ausgebluteten Kräfte. Daß nach dieser Schlacht de facto ein Waffenstillstand bis zum Eingreifen der Amerikaner eintrat, hat sicher hunderttausenden Soldaten auf beiden Seiten das Leben gerettet.
Auch der Begriff des Gottesgnadentums - die politische Berufung eines Herrschers von Gott - wird heute nicht mehr verstanden, war aber für Kaiser Karl tiefste Überzeugung. Der Herrscher ist - so die mittelalterliche Königstheologie und -liturgie - Abbild Gottes und wie jeder Christ Abbild Christi. Er hatte, wie jeder Christ, seine Berufung zu leben. So wurde er auch in den Krieg der Freimaurer gegen das göttliche Recht der Könige verwickelt. Bei einem Freimaurerkongreß 1917 in Paris wurde beschlossen, den Krieg bis zum Sieg der Demokratien in Europa fortzusetzen und keinen “unreifen" Frieden zu schließen. Das dynastische Prinzip war zu stürzen - mit ein Grund, warum die Friedensbemühungen nicht erfolgreich werden konnten.
Ein entscheidendes Feld des christlichen Lebens ist die Familie, bestes Exerzierfeld für gelebtes Christentum, gegenseitige Liebe und Hingabe. Das Modell der christlichen Familie ist den ideologischen Zerrbildern von Familie haushoch überlegen. Wir sollten nicht warten, daß der liebe Gott Wunder tut, sondern uns in Sachen Familie “outen". Auch hier hilft uns das Vorbild Kaiser Karls. Die ungeheuren Anstrengungen eines regierenden Kaisers haben ihm sicher nicht ermöglicht, viel Zeit für die Familie zu erübrigen - eine Situation, die mit der vieler Familienväter heute vergleichbar ist.
Und doch stellt unser Heiliger Vater Kaiser Karl in diesem Punkt als vorbildlich hin. Auch während dringender Regierungsgeschäfte kümmert er sich um die sorgfältige Erziehung seiner Kinder. Im Exil widmet er sich aufopfernd dieser Aufgabe. Vor allem betet er viel für seine 8 Kinder, von denen das letzte posthum geboren ist.
Ein drittes ist die Fixierung unserer Gesellschaft auf äußerlichen Erfolg. Seitenblicke-Präsenz ist heute der Wertmaßstab. Wie geht man aber mit Mißerfolgen, Scheitern, aufkommender Resignation, die ja zu jedem Leben gehören, um?
Die Kirche schenkt uns in Kaiser Karl jetzt einen ganz “Prominenten", der sein großes Ziel, den Frieden der Völker, nicht erreicht hat. Auch die Monarchie konnte er nicht retten, aber er ist konsequent den richtigen Weg gegangen. Der politisch unverdächtige französische Schriftsteller Anatol France schrieb 1918: “Unter den Staatsmännern unserer Zeit hat sich ein einziger ehrlicher, kluger und gerechter Mann gefunden, Kaiser Karl von Österreich. Unsere Demokratien haben weder Herz noch Verstand für die armen blutenden Völker. Ja, ein Herrscher wie dieser hätte auch uns verstanden."